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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

in einander, dann zog sie leise ihre Hand aus der seinen und wandte den Blick nach der Straße hinaus.

Sie waren schweigend weiter gefahren, der junge Mann mit den Gedanken an das, was jetzt die nächste Zukunft nöthig machte, beschäftigt, bis der Wagen wieder am Hafendamme hielt. Reichardt bedeutete das sich erhebende Mädchen ihren Platz zu behalten und sprang allein in’s Freie. Ein rascher Blick durch den Wald von Masten zeigte ihm die Adelheid mit ihrer kleinen aufgesetzten Kajüte, und befriedigt wandte er sich an den Kutscher, zuerst den bedungenen Preis bezahlend und sich dann nach einem anständigen deutschen Boardinghause im Innern der Stadt, in welchem er mit seiner Schwester eine Zeitlang wohnen könne, erkundigend. Trotz allen Nachdenkens hatte er keinen andern Weg entdecken können, um für das Mädchen schnell ein Unterkommen zu finden und zugleich den übrigen mit ihnen angelangten Einwanderern aus dem Auge zu kommen. Bediente sie der Zufall schlecht, so war es am nächsten Tage noch immer Zeit, sich nach etwas Besserem umzusehen. Indessen versprach der Kutscher, sie nach einem Hause, das ihnen zusagen werde, zu bringen; die Koffer Beider waren schnell an’s Land geschafft und äußerlich auf dem Fuhrwerk placirt, während Reichardt einen fein polirten Violinkasten sorgfältig auf den Vordersitz in das Innere stellte, und bald rollte das Paar wieder in die Stadt hinein.

„Weißt Du wohl, Bruder Max,“ begann Mathilde mit einem hellen Lächeln zu dem jungen Manne aufsehend, „daß es meine liebsten Stunden auf dem Schiffe waren, wenn Du Abends Deine Geige herausholtest und zu phantasiren begannst? Da ist ein Lied von Proch: „Ziehn die lieben goldnen Sterne“, das sich ganz wunderbar schön in der Durcharbeitung machte, und ich habe oft das Thema secundirt, natürlich nur zwischen den Lippen – ich meinte erst, Du müßtest Musiker sein, bis es später hieß, Du wärst Kaufmann –“

„Und das schien Dir sich nicht mit einander zu vertragen? hat auch anderen Leuten schon so geschienen!“ lachte Reichardt auf, „ich glaube, die Violine trägt eine Hauptschuld, daß ich mich über das große Wasser gemacht habe, um einmal hier mein Glück zu versuchen. Wenn es mir auch nicht einfällt, meinem eigentlichen Berufe untreu zu werden, so ist man doch wenigstens außerhalb des Geschäfts sein freier Herr und kann so viel Musik und andere Alfanzereien, wie mein guter Prinzipal meine Studien titulirte, treiben, als man will. Brod ist vor der Hand natürlich die Hauptsache, aber ich denke, es soll nicht lange fehlen; ich bin doch in meinem Geschäfte gewiß ebenso taktfest als in dem, was ich zum Vergnügen treibe!“

Ueber Mathildens Gesicht ging es bei den letzten Worten ihres Begleiters wie eine trübe Wolke; sie wandte das Gesicht der Straße zu, und auch Reichardt’s Aufmerksamkeit wurde durch das niegesehene Treiben von Fuhrwerken und Menschen, wie es den Geschäftstheil der großen Stadt bezeichnet, in Anspruch genommen.

Vor einem leidlich anständig aussehenden Hause hielt endlich der Wagen, und der Kutscher lud ohne Weiteres das Gepäck ab. Ein warmer Speisegeruch empfing die Ankommenden beim Eintreten und vor ihnen öffnete sich ein großes, von vieler Benutzung zeugendes Zimmer, in dessen Hintergrunde sich ein abgebrauchtes Billard und ein mit Gläsern besetzter Schenktisch zeigten. Was den jungen Mann indessen mit dem ersten unangenehmen Eindrucke aussöhnte, war eine junge, knappe Frau, welche ihnen mit freundlichem Gesicht entgegentrat, und ein Piano, unweit des Fensters. Seine Fragen über ein passendes Logis waren bald zur Zufriedenheit beantwortet; für die „Schwester“ gab es ein hübsches Zimmer dicht neben der Schlafstube der Wirthsleute, Reichardt aber fand sein Unterkommen eine Treppe höher, und als nach Besichtigung der Räumlichkeiten ihm Mathilde bejahend zunickte, übergab er das Mädchen und das gemeinschaftliche Gepäck der Wirthin zur besten Fürsorge, ließ sich Straße und Nummer der neuen Heimath bezeichnen und machte sich dann nach dem Shakespeare-Hotel auf den Weg.

„Das ist mir ein sauberer Anfang für die amerikanische Cameradschaft,“ rief ihm der Kupferschmied entgegen, als er nach manchem Irregehen und Wiederzurechtfragen endlich am rechten Orte in das allgemeine Gastzimmer trat; „jetzt hierher, es giebt ganz erträgliches Bier, was mich schon einigermaßen über die Zukunft tröstet, und nun ordentlich mit der Sprache heraus – wenn sich das nämlich thun läßt, sonst mag meinetwegen laufen, was sich nicht halten läßt!“

Reichardt ließ sich nach einem unbesetzten Tische führen, erfrischte sich und sah dann lächelnd in das gespannte Gesicht des Andern. „Haben Sie schon ein festes Logis, Meißner?“ fragte er.

„Sie wissen doch, daß ich seit drei Stunden hier auf Sie warte?“

„Gut, so kommen Sie nach dem obern Theile der Stadt; ich weiß dort etwas Passendes – ich wohne schon dort mit meiner Schwester.“

Der Kupferschmied sah ihn eine Weile mit weit aufgerissenen Augen an und ließ dann einen leisen, langen Pfiff hören. „Mit der Schwester – so?“ sagte er endlich; „ich will Ihnen sagen, Professor, jetzt gebe ich den Glauben an die Menschheit auf und nenne mich selber einen Esel!“

Reichardt faßte halb lachend, halb ärgerlich seinen Arm. „Denken Sie denn, ich käm’ zu Ihnen, wenn in der Sache Schlimmeres wäre, als der ersten Klatscherei unter den Uebrigen aus dem Wege zu gehen? Ihnen sage ich’s, weil Sie eine treue Haut sind, Meißner, und wir möglichst lange bei einander zu bleiben gedachten.“ Er begann in kurzen Umrissen den Sachverlauf seit seiner Bestellung am Abend zuvor zu erzählen und die verlassene Stellung der Verwaisten, die von selbst seine Unterstützung beansprucht, darzulegen.

„Sagen Sie mir nur,“ frug der Andere, das Kinn in die Hand stützend, „sind Sie in das Mädchen verliebt?“

Reichardt sah zwei Secunden wie nachdenkend vor sich hin. „Verliebt nicht, Meißner, auf mein Wort nicht,“ erwiderte er dann, „ich hatte vom Anfange ein lebendiges Interesse an ihr genommen, weil sie etwas so Besonderes war; das ist aber auch jetzt noch Alles!“

„Gut, so ist sie verliebt in Sie – glauben Sie mir! und ich möchte Sie doch fragen, was am Ende daraus werden soll. Haben Sie denn noch nicht an die schwachen Stunden gedacht, die bei einer solchen Bruder- und Schwester-Geschichte ganz von selber kommen werden? Laufen lassen, was sich nicht halten läßt, nicht wahr? Es möchte Ihnen freilich für den Anfang schmecken; aber was denn dann? Heirathen in Ihren jungen Jahren und sich aus purer Menschenliebe die ganze Zukunft verderben?“

Reichardt schüttelte den Kopf; „’s ist keine Gefahr von der Seite, Meißner,“ erwiderte er; „wenn ich auch einmal schwärme, so bin ich doch im nähern Umgang mit Frauen mehr als kalt, und ich kann Ihnen sagen, daß ich, trotz meiner zwanzig Jahre und trotz mancher gebotenen Gelegenheit, es noch nicht zu einem einzigen wirklichen Liebesverhältniß habe bringen können.“

„Auch gut, wenn Sie das auch einem Andern nicht erzählen dürften!“ brummte der Kupferschmied, „ich will’s Ihnen glauben, und um so eher kann ich Sie fragen: Haben Sie denn schon an den Lebensunterhalt über die nächsten paar Wochen hinaus gedacht? Sie selber haben mir einmal gesagt, daß bei Ihnen das Geld eben so wenig dick sitze, als bei mir, und daß Ihre Empfehlungsbriefe Ihr Haupthalt seien - wissen Sie denn, ob sie etwas hat und ob sie irgend eine Arbeit versteht, die hier zu Lande sich bezahlt? Ich habe in beiden Punkten meine leisen Zweifel; sie war auf dem Schiffe so wenig verproviantirt, daß ich eigentlich kaum weiß, wie sie hat durchkommen können – und wenn die andern Frauenzimmer die faule Zeit benutzten, um zu stricken oder sonst für sich etwas zu arbeiten, war sie immer das „gnädige Fräulein“, das spazieren ging oder die Sterne bei hellem Tage suchte – wollen Sie sich denn aus purer Gutmüthigkeit eine Last auf den Hals laden, der Sie, wenn Sie nicht sehr viel Glück haben, kaum gewachsen sein können?“

„Werden das Alles sehen, Meißner; heute wenigstens will ich mir noch keine Sorge darüber machen!“ erwiderte Reichardt, seine Haare zurückstreichend, „jetzt ist nur die Frage: wollen Sie mit mir zusammenwohnen, bis jedes seinen rechten Weg gefunden hat?“

„Soll mich der Himmel bewahren, ich bin kein Mensch für Frauenzimmer und würde der Gnädigen meine Meinung gleich ganz grob heraussagen!“ erwiderte der Kupferschmied in sichtlichem Aerger; „man geht nicht nach Amerika, ohne daß man nur weiß, was dort anfangen, und hängt sich endlich an den ersten hübschen, jungen Menschen –“

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_148.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)