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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Anfang der Reise ein reges Interesse an der ungewöhnlichen Erscheinung genommen, er hatte aber, als er bei Andern jede versuchte Annäherung vereitelt sah, sich fern gehalten und „bewunderte von Weitem, ganz Ritter Toggenburg,“ wie der Kupferschmied sich ausdrückte. Er mußte jetzt unwillkürlich lächeln, als er sich seiner augenblicklichen Stellung inne ward,

Blickte nach der Liebsten drüben,
Blickte stundenlang,

und doch konnte er sich nicht helfen, in dieser geheimen Beobachtung einen ganz eigenthümlichen Genuß zu finden.

Da richtete sich das Mädchen aus ihrer gebeugten Stellung auf und warf einen Blick auf ihre Umgebung; bei dem Anblicke des jungen Mannes, welcher allein an die Kajütenwand gelehnt dasaß, schien sie einen Augenblick zu zaudern, that dann aber einige Schritte ihm entgegen. „Herr Reichardt –!“ sagte sie halblaut.

Der Angerufene war im Nu auf seinen Füßen.

„Ich möchte mir eine Frage erlauben,“ sagte sie halblaut nach ihrem früheren Platze zurücktretend. „Wir werden morgen früh in New-York sein, und ich muß einen ziemlich entfernten Theil der Stadt aufsuchen, weiß aber kaum, wie ich meinen Weg dahin werde finden können. Sie sprechen bereits geläufig englisch, wie ich gehört habe –“

„Ich stelle mich mit allen meinen schwachen Kräften vollkommen zu Ihrer Disposition, Fräulein!“ erwiderte er eifrig, und die Nacht verbarg die in seinem Gesichte aufsteigende Röthe.

Ein Gepolter unterbrach das Gespräch. Aus der Luke zum Zwischendeck wälzten die Sänger ihre Matratzen herauf, und mit einem eiligen: „Ich rechne auf Sie!“ fühlte der junge Mann seine Hand gefaßt – nur leicht wie die Lüftchen um sie, nur einen einzigen Moment, aber er meinte die Berührung in allen Nerven zu spüren. Dann war sie wie ein Schatten an der Brüstung hingeglitten und verschwunden.

„Jetzt, ehrenwerther Professor, sprechen wir noch ein Wörtchen,“ sagte der Kupferschmied, zwei Matratzen zu Boden werfend, während die Uebrigen sich an der andern Seite der Kajüte Raum für ihr Lager suchten; „hier habe ich für Ihre Bequemlichkeit mit gesorgt, und nun sagen Sie mir, was Sie morgen nach der Landung zu thun gedenken. Sie sind zwar mit Ihrem blondwallenden Haare und rothen Backen noch etwas sehr jung gegen mich, aber ich habe mir so eine Idee gemacht, daß Sie gerade deßwegen Glück haben müssen in Amerika, und da ich vor der Hand meinem künftigen Schicksale durchaus nichts vorschreiben will, so habe ich beschlossen, mich Ihnen anzuschließen, bis unsere Wege von der unbegreiflichen Macht, die wir nicht kennen und nicht erklären können, von einander geschieden werden.“

„Kupferschmied, Sie fangen wieder an zu predigen!“ unterbrach ihn der Andere, sich behaglich auf die hingeworfene Matratze streckend.

„Ruhig! Des Menschen Bestimmung zeigt sich am ersten, wenn das volle Herz aus ihm spricht – und ich will Ihnen sagen, daß ich Sie lieb habe, Reichardt. Sie sind allerdings Kaufmann und haben noch andere Kunstfertigkeiten, wozu der Kupferschmied schlecht paßt; Sie können aber nicht sagen, was aus mir noch Alles werden kann – immer laufen lassen, was sich nicht halten läßt! Sie wissen ja! – und so sagen Sie mir, ob Sie schon einen bestimmten Plan für Ihr erstes Unterkommen haben, damit ich mich danach richten kann!“

„Wir werden uns jedenfalls in irgend ein Gasthaus werfen müssen, zu der Auswahl ist aber morgen noch Zeit,“ erwiderte der Jüngere gähnend – „aber warten Sie, Meißner,“ unterbrach er sich, „wir wollen im Shakespeare-Hotel zusammentreffen; ich werde erst nach einigen Stunden bei Ihnen sein können – das Warum lassen Sie sich einmal nicht kümmern – und dann mögen wir berathen, was weiter werden soll!“

„Ich glaube wahrhaftig, der Mensch hat schon eine Bestellung in der neuen Welt!“ rief der Kupferschmied kläglich, „ich würde mich kaum wundern und hätte auch nichts dawider – immer laufen lassen, was sich nicht halten läßt! – im Shakespeare-Hotel also, gut, und bis dahin gute Nacht!“ Er legte sich auf die Matratze zurück, und nach Kurzem deutete ein gewichtiges Schnarchen den Ernst an, mit welchem er sich dem Schlafe übergeben.

Reichardt sah noch eine Weile in den sternbesäeten Himmel über sich und grübelte, warum das „gnädige Fräulein“ gerade ihn, der ihr doch die wenigsten Aufmerksamkeiten erwiesen, zu ihrem Begleiter auserwählt, bald aber wurden seine Gedanken verworren und auch über ihn war der Schlummer gekommen, ehe er es nur vermuthete. – –

Am andern Morgen um zehn Uhr lag das Schiff im New-Yorker Hafen, und in buntem Gewühle, an allen Seiten bepackt, strömten die Einwanderer an’s Land. Während der ganzen morgendlichen Fahrt hatte sich Reichardt in der Nähe von Mathilde Heyer gehalten, ohne sich indessen bemerkbar zu machen; er sah, daß das Mädchen noch bleicher war als gewöhnlich, daß oft, wenn sie den Blick nach dem Lande wandte, es wie eine peinliche Spannung durch ihre Züge ging, und erst, als sie während des Durcheinanders der Schiffsbevölkerung von ihren bisherigen Begleitern Abschied nahm und, ihren Koffer fassend, einen suchenden Blick um sich warf, trat er heran, trug ihr Gepäck zu dem seinigen und reichte ihr dann den Arm. „Wir werden jedenfalls einen Wagen in der Nähe finden, der Sie schnell nach irgend einem Stadttheile bringt; natürlich begleite ich Sie!“ sagte er. „Wollen Sie Ihren Koffer gleich mit sich nehmen, so laden wir ihn auf!“

„Lassen Sie Alles vorläufig, bis ich sichere Auskunft erlangt habe!“ erwiderte sie und drückte seinen Arm leise, als wolle sie ihn zur Eile treiben. Reichardt schuf Bahn durch das Gewühl der Menschen; als er aber die Landungsbrücke erreicht hatte, brummte eine Stimme in seine Ohren: „Der Toggenburg ist gegen den Schiller’schen Text – aber nur immer laufen lassen. Drei Stunden werde ich im Shakespeare warten!“

Es hatte unter den landenden Zwischendeck-Passagieren wohl noch selten ein so bemerkenswerthes Paar das Ufer betreten, als Reichardt mit seiner Begleiterin. Beide mochten von gleichem Alter sein; während aber unter seinem Pariser Hute üppiges dunkelblondes Haar hervorquoll und ein Gesicht einsäumte, dessen märchenhafte Frische nur durch ein Paar blitzender, leicht zusammengezogener Augen einen Anstrich männlicher Bestimmtheit erhielt, bildete ihr Kopf in der Blässe des feingeschnittenen, von reichen schwarzen Flechten eingerahmten Gesichtes den lebendigsten Gegensatz. Und während in der Kleidung des jungen Mannes trotz ihrer Eleganz eine Art künstlerischer Nonchalance vorherrschte, zeichnete das einfache Kleid des Mädchens jede Linie des schlanken Oberkörpers ab, lag es über ihrer ganzen Toilette wie ein Duft von Ordnung und Sauberkeit.

Beide hatten die Reihe der wartenden Miethkutschen erreicht, und Mathilde zog einen Zettel, bezeichnet mit einem Namen und einer Straßennummer hervor. Reichardt versuchte unter den herandrängenden Kutschern sein Englisch, und bald befanden sich Beide in einem der geschlossenen Wagen, der angegebenen Richtung zurollend.

Das Mädchen saß, gerade aufgerichtet, mit einem Blick voll so viel Spannung auf ihrem Platze, daß es Reichardt für zudringlich hielt, jetzt ein Gespräch mir ihr zu beginnen; bald indessen schien sie selbst sich ihres Sichgehenlassens bewußt zu werden. Sie wandte den Kopf und lächelte ihrem Begleiter zu, während sich, alle ihre Züge verklärend, ein leises Roth über ihr Gesicht verbreitete.

„Ich habe mich noch nicht einmal entschuldigt, daß ich Sie so ohne Weiteres Ihren eigenen Angelegenheiten entreiße,“ begann sie, und durch Reichardt’s Kopf schoß es, welche wunderschöne Stimme in des Mädchens Kehle stecken müsse, die schon in den gesprochenen Worten ihm wie Musik in die Ohren klang, „ich bin aber in einer so eigenthümlichen Lage, daß ich selbst die allernächsten Dinge vergessen könnte –“

„Thun Sie sich in keiner Weise Zwang an, Fräulein,“ erwiderte er, „ich habe nichts zu versäumen und wäre glücklich, acht Tage lang zu Ihren Diensten zu sein. Haben Sie sich über irgend etwas auszusprechen?“ fuhr er mit einem Anfluge von Verlegenheit fort, „– ich bin freilich der Unbedeutendste von Ihren bisherigen Bekannten auf dem Schiffe –“

Ein leichtforschender Blick traf das Auge des Sprechenden, dann aber blitzte ein so eigenthümlich neckisches Lächeln in ihrem Gesichte auf, daß sich plötzlich der ganze Charakter desselben verwandelt zu haben schien. „Halten Sie sich wirklich selbst für so unbedeutend?“ fragte sie; schon im nächsten Augenblicke aber trat der frühere, sorgenvolle Zug wieder zwischen ihre Augen, und sie streckte dem jungen Manne die kleine behandschuhte Hand entgegen. „Ich danke Ihnen von Herzen – ich möchte Ihnen allerdings ein paar Worte sagen, die ich zu Keinem von den Andern hätte äußern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_146.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)