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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

„Feuer! Feuer!“ riefen die Officiere. Ein Schrei, der auf unsre Salve folgte, bewies, daß wir getroffen hatten. Die Dänen flohen wild vor uns über die Haide, wir hinterher. Die Jäger warfen Käppi’s, Gewehre und Hirschfänger, Alles, was sie im Laufe hindern konnte, von sich und verfolgten die fliehenden Dänen, von denen sie manchen mit den Händen ergriffen. Ich habe nie eine größere Aufregung unter Menschen gesehen, als an dem Tage herrschte, von welchem ich hier erzähle. Ein preußischer Militär sagt in seiner Abhandlung über den schleswig-holsteinischen Krieg, daß W. seine Truppen nicht zu beurtheilen verstand, weil er an jenem Tage nicht Schleswig erstürmte. Er verglich den Angriff der Jäger mit dem der französischen Garde bei Waterloo. Ich glaube, daß unsere Truppen bei Stenten einen fünffach überlegenen Feind vor sich hatten; sie warfen sich mit solcher Wuth und ohne einen Schuß zu thun, auf die Dänen, daß diese beim ersten Angriff zurückprallten und erst dann wieder zum Stehen kamen, als unsere Nachtmütze von einem General „Hahn in Ruh“ blasen ließ.

Es war ungefähr sechs Uhr Abends, als das dritte Jägercorps wieder versammelt war. Die Leute standen lachend und schwitzend bei den Gewehren, die Officiere sprachen mit dem Major, der freudestrahlend seine „Kinder“ lobte und den General tadelte, weil er uns nicht vorwärts marschiren lassen wollte.

„Wenn wir nur bald abmarschirten,“ sagte der alte Lieutenant, „damit wir doch Abendessen vorfänden. Mir soll’s heute Abend nach der verfluchten Laufpartie doppelt schmecken! Herrgott von Mannheim! habe ich einen Hunger.“

M. hatte einen Streifschuß am Arm erhalten und freute sich auf Mariechens Pflege; T. war durch den Arm geschossen, grinste aber vor Vergnügen, weil er den „Forbanda de Danska“ durch und durchgerannt hatte; sonst war keiner von uns verwundet, und auch von unsern Leuten waren sehr wenig leicht verwundet. Wir konnten uns aber über den Ausgang des Gefechtes doch nicht recht freuen, denn erstens war es nutzlos gewesen, wie alle unsere Kämpfe, und zweitens das Dîner fin! – Was war aus den Pächtern, den Mama’s, den Minchen und Trinchen geworden? Wie befand sich der Caviar? Wo waren Hühner- und Entenpasteten? Wo war Wein und Ananas? Hielten die reizenden Pausbäckchen Wache bei unsern Schätzen, oder war ihnen Uebles widerfahren? Lauter Fragen, die wir Alle stellten und die Niemand beantworten konnte.

Endlich gegen 7 Uhr erhielten wir Befehl, wieder in unser Bivouac zu marschiren. Hungrig und durstig, wie wir waren, legten wir den Weg nach Bissensee schnell zurück, immer ängstlich nach vorn lugend, ob wir nicht einen Blick auf unser Heiligthum werfen könnten; aber es ward dunkel, bevor wir unsere „Heimath“ erreichten, und als wir sie erreichten, was fanden wir da?

Die Bauern von Breckendorf, des langen Fastens müde, hatten sich an den Bissensee begeben und nach kurzem Proceß mit den Pächtern und deren „verehrten Familien“ eine heillose Razzia angestellt, so daß auch nichts, sage gar nichts von unsern schönen, wunderschönen Delicatessen nachgeblieben war. Ja, wenn nur Brod, oder Erbsen, oder Bohnen dagewesen wären; aber nichts, partout nichts war zurückgelassen, als der Epheukranz; sogar die Fensterscheibe war von ihrem egoistischen Besitzer wieder abgeholt worden. Was sollten wir anfangen? Etwas muß der Mensch essen, wenn er hungrig ist, das lehrt die Erfahrung. Wir zogen daher auf Raub aus, melkten die Kühe auf einem nahegelegenen Gute, stahlen Kartoffeln und schossen einen Schafbock, den wir nachher nicht essen konnten, weil er zu polizeiwidrige Düfte gen Himmel sandte.

„Singen Sie doch,“ spöttelte der alte Oberlieutenant. „Singen Sie doch, Herr M.“ – „Ja,“ antwortete dieser, „tractiren Sie doch! wie hat die Messerspitze voll Caviar geschmeckt? He?“




Eine mecklenburgische Colonie in Nordamerika.

Welches Land, welche Nation hätte nicht ein Scherflein dazu beigetragen, diese eine große Nation der Vereinigten Staaten von Nordamerika zu bilden, in welcher alle Völker zu einem großen freien Brudervolke zerschmelzen! Leider vergessen diese verschiedenen Nationen sehr bald ihre Herkunft. Sie werden Yankee’s im vollsten Sinne des Wortes, alle Gewohnheiten, alle Sitten des alten Vaterlandes abstreifend; sie vergessen die Sprache, welche sie als Kind gelernt, um die Sprache dieses anderen neuen Vaterlandes zu sprechen; kurz Alle acclimatisiren sich, façonniren sich mehr oder weniger rasch, sie werden United States Citizen, und sind um so stolzer im Bewußtsein ihrer Freiheit, als sie im früheren Vaterlande unterdrückt und geknechtet worden sind. Nur ein Volk, oder vielmehr nur eine Spielart eines Volkes bewahrt seine Gewohnheiten, seine Sitten, bewahrt sogar seine Sprache, und dieses ist der Mecklenburger.

Wohl kein Land nächst Kurhessen, dieser anderen unglücklichen Provinz unseres schönen Deutschlands, hat verhältnißmäßig ein größeres Contingent zur Bevölkerung der Vereinigten Staaten gestellt als gerade Mecklenburg.

Wir fragen: weßhalb? und die Antwort liegt wohl nicht gar fern: Mecklenburg ist hinter dem übrigen Deutschland weit zurückgeblieben. Ein Rittergutsbesitzer in Mecklenburg und ein Raubritter des Mittelalters könnten wohl noch so ziemlich gleichbedeutend sein. Man kann sich eine Vorstellung von der socialen Stellung des gemeinen Mannes, des Arbeiters machen, welcher den fruchtbaren Boden Mecklenburgs in dem Schweiße seines Angesichts bearbeitet, wenn man ihn in Amerika die Luft der Freiheit so mit vollen Zügen einathmen sieht, und sich auf seinem Gesichte dies Glück ausprägt, welches seine biedere deutsche Seele erfüllt, endlich diesem Zwange, diesem ewigen Darben trotz zwölfstündiger harter Arbeit entronnen zu sein. Denn hier lacht ihm, wenn auch nicht gleich ein vorgefabelter Wohlstand und Reichthum, so doch ein sorgenfreies Leben; er sieht die Möglichkeit vor sich, in einigen Jahren das zu erwerben, wozu daheim ein ganzes Menschenleben kaum genügt hätte. Schon besitzt er einige Morgen fruchtbares Land und seine Hütte, und wenn diese auch kaum genügt, um der zahlreichen Familie ein Obdach zugewähren, so ist sie doch sein Eigenthum. Mit Stolz blickt er heute auf sein Arbeitszeug, auf seinen Spaten, seine Axt, welche ihm und seiner Familie das tägliche Brod geben, während er sie früher nur mit Mißmuth und Verdruß ansah und jeden Morgen seufzend wieder in die Hand nahm, um freilich auch zu arbeiten, aber nicht für sich. Was nützte es ihm, den fruchtbaren Boden seines Vaterlandes zu bearbeiten? Ein karger Lohn, welcher kaum hinreichte, um den nothwendigsten leiblichen Bedürfnissen zu genügen, ward ihm; er verließ mit blutendem Herzen seine zerfallene Hütte, welche der schmutzige Geiz und Egoismus des Besitzers zu einer wahren Ruine umgestaltet hatte, verfolgt von dem Geschrei seiner hungernden Kinder, während der Herr mit einem kalten, theilnahmlosen Lächeln auf seine zerlumpte, von jahrelanger harter Arbeit gebückte Gestalt die blanken Thaler für die goldenen Saaten einstrich, ja ihm vielleicht in demselben Augenblicke mit einem derben Fluche auf das hungrige Gesindel die Bitte um einen Scheffel Kartoffeln abschlug, das einzige Nahrungsmittel des armen Arbeiters, auf dessen Tische ein Stück Fleisch schon seit Monaten nicht mehr erschienen.

So rafft er denn das letzte ihm Gebliebene zusammen, wirft einen letzten traurigen Blick auf die Hütte, wo seine Wiege gestanden, und wandert mit dem geringen Bündel auf den nächsten Hafen los.

Wir finden ihn, sowohl den früheren Besitzer eines kleinen Bauerhofes, als auch den gewöhnlichen Arbeitsmann, der nichts als sein dürftiges Mobiliar, die große wurmstichige Gardinenbettstelle und den rothbraunen Tellerschrank, höchstens eine Kuh und einige Schafe sein eigen nennen konnte, im fernen Westen Amerikas wieder.

Ganz der Alte an Sitten und Gewohnheiten. Der lange blaubaumwollene Rock, die kniehohen Stiefeln mit den dicken Sohlen und den gleich Eselsohren zu beiden Seiten herausstehenden Strippen, das blau und roth gestreifte Halstuch, – wir erkennen ihn auf den ersten Blick. Die kurze Pfeife mit dem großen Porzellankopfe, auf welchem in den grellsten Farben das gelungene Portrait irgend eines berühmten Feldherrn, ja sogar ein ganzes Schlachtstück prangt, fehlt ebenfalls nicht, und lustig dampft er seinen Kneller, nachdem er ihn noch nach echter altdeutscher Sitte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_139.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)