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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Kleinlichkeiten, Lügen und Erbärmlichkeiten unserer und aller Zeit auf, entschleiert die endlos scheinenden Gegensätze von Natur und Geist, Freiheit und Nothwendigkeit, Leben und Tod; dann aber erweist er wiederum ihre tägliche, endliche Versöhnung und Ineinsbildung in Natur und Leben zu einer seelenvollen Weltordnung und Harmonie. Er deutet uns Schritt vor Schritt in unserer Entartung und Verordnung unsern übernatürlichen Geist und übernatürlichen Ursprung, und erhebt uns so zu einem freudigen Thun und Schaffen aus dem Ganzen und Vollen hinaus.

Mir war, Dank des Autors Freundlichkeit, gestattet, behufs einer kurzen Lebensbeschreibung Einsicht zu nehmen von einigen seiner Originalaufsätze. Ich werde mich daher auf das Nothwendigste beschränken, und so weit möglich ihn selbst redend einführen, um damit zugleich eine Probe seiner körnigen Denk- und Schreibweise zu geben.

„Ich kam,“ sagt Goltz, „1801 den 20. März in Warschau zur Welt, woselbst mein Vater (zur preußischen Zeit) den Posten eines Stadtgerichtsdirectors bekleidete, und drei Meilen von der Stadt das schöne Landgut Milanowk besaß. In meinem siebenten Lebensjahre wurde ich einer meinen Eltern befreundeten Familie übergeben, die nach Königsberg in Preußen verzog. Dort besuchte ich das Kneiphöfische Gymnasium unter dem originellen Director Lehmann zwei Jahre lang, kam dann in die Obhut eines unverheiratheten Landpfarrers in dem freiherrlichen Dorfe Klein-Tromnau bei Marienwerder, wo ich die glücklichsten Tage meiner Kindheit genoß, und durch den freien Verkehr mit Bauersleuten, die ihren guten Pfarrer verehrten, unverlöschliche Eindrücke vom Landleben, von einem friedlichen Menschendasein wie von den Naturscenen unseres preußischen Vaterlandes erhielt. –

Der Pfarrer war ein Mann von einer unbeschreiblichen und unergründlichen Gemüthsunschuld; still in sich vergnügt vom frühen Morgen bis in die Nacht; mit verhaltenem Jubel darüber, daß er auf dieser schönen Gotteswelt sein durfte; ein unverwüstlicher Freund der Thiere und Menschen, fleißig, frugal, gewissenhaft und schweigsam, wie die verhexten Prinzessinnen im Märchen, die auf Erlösung warten; ohne Begriff vom Gelde oder von irgend welchen Leidenschaften und Lastern; ganz erschrocken, desorientirt und voller Scham über jeweilige Nichtswürdigkeiten seiner Nebenmenschen, die ihm zu Ohren kamen; so verschämt an Leib und Seele wie ein Kind, und so glückselig beim Spaziergehen, daß er uns Pensionairen an einem hohen Rohrstocke voraushopste, was wir ihm harmlos nachmachten, glückselig, wie der Mann Gottes selbst. Es war eine Paradieseszeit, eine Lebensempfindung, die ich bis zu diesem Tage nicht ergründen kann, deren Poesie ich nicht mit Worten anrühren kann, und die mich bis in die reifen Mannesjahre hinein zu einem Träumer und Grübler gemacht hat. – Aber diesem Dorfidyll verdanke ich auch meinen frühen Ekel vor jeder Prosa und säcularisirenden Methode, vor jeder materialistischen Lebensanschauung und gewinnsüchtigen Weltgeschäftigkeit.

Meinem kindlichen Idealismus arbeitete weiterhin die elterliche Erziehung nachdrücklich entgegen. Der Vater war ein Urbild von Weltverstand, Biederkeit und Lebenshumor; Herz und Mutterwitz hielten sich in ihm, wie in meiner Mutter, die Wage. Arbeit, Naturgenuß und Verkehr mit Hausfreunden bildeten die mir sichtbare Genugthuung unserer Familie. – Vater und Mutter bewährten sich als ausgeprägte Charaktermenschen; der Vater war ein Verehrer der Bibel und des Buches Hiob; ein Mann mit einer spaßigen Herzlichkeit und prononcirten Wahrheitsliebe, delicat und voller Mitleidenschaft für jeden bedrängten Ehrenmann, aber derb und kurz angebunden mit aufdringlichen Narren und zweideutigen Subjecten, sie mochten Excellenzen oder Damen sein. Die Mutter steht mir als eine Frau vor Augen mit einem offenen Enthusiasmus für Freundinnen und für das Landleben, welches sie im mehrjährigen Besitze unseres Landgutes Milanowk bei Warschau kennen gelernt hatte.

Unter solchen Eindrücken dachte ich an nichts Anderes, als daran, wie ich einmal ein Landwirth werden konnte. Mein Vater übergab mich also, nachdem ich bis zu meinem siebenzehnten Lebensjahre die Gymnasien zu Marienwerder und Königsberg besucht hatte, einem befreundeten Amtmann in Polen, ehemaligem preußischen Officier. Ein inneres Bedürfniß jedoch nach wissenschaftlicher Ausbildung und die Ambition, mehr als ein professionirter Wirthschafter oder Pächter zu werden, trieb mich zu Studien an. Ich bezog 1821 nach gut bestandener Prüfung die Breslauer Universität, ließ mich zur theologischen Fakultät einschreiben, – hörte aber nur Humaniora bei Wachler, Braniß, dem Philologen Schneider, dazu bei Steffens Anthropologie etc.

Im Jahre 1823 wurde ich auf den Antrag meines hochbetagten Vaters von dem Gerichte mündig gesprochen, und erkaufte dann das Rittergut Lissewo an der russisch-polnischen Grenze, vier Meilen von Thorn; – heirathete ein Fräulein von Blumberg, die Tochter eines Gutsbesitzers und Husaren-Officiers; – hatte viel Unglück als Landwirth mit Mißwachs und Viehsterben; – mein Betriebscapital war dem Areal des Gutes und seinen durch frühere Pächter devastirten Verhältnissen nicht angemessen; ich quittirte also die Gutsbesitzerschaft, übernahm Pachtungen in Polen und Preußen, die ich mit Vortheil wieder abfand; – machte kleinere und größere Reisen in Polen, Deutschland, Frankreich, England, Italien und Aegypten, zuletzt in der Provence und Algerien, – und widmete mich den Studien, von denen meine literarischen Arbeiten Zeugniß geben.“

Es mag den Leser mit Grund befremden, wie in diesem biographischen Abriß sie letzten Jahre, voll von reichen Ereignissen und dem ruhigen Thun gewidmet, so flüchtig angedeutet werden. Doch ist dies überhaupt eine Eigenthümlichkeit unseres Autors, daß er im mündlichen Verkehr vorzugsweise seiner reiferen Jahre gedenkt, während er als Schriftsteller sich mit besonderer Vorliebe in den Paradiesestraum der Kindheit versenkt, bis er in seinen neuesten Büchern den Kreis über die breite Menschenwelt hinausgedehnt hat.

Seine Erlebnisse als Gutsbesitzer, als Pächter in Polen, als Reisender, haben viel Abenteuerliches; doch sind auch andern Leuten wunderliche Dinge genug vorgekommen, ohne daß sie daran sonderlich viel profitirten. Es ist das Charakteristische an Goltz, daß er sich in jede Situation gewissenhaft vertiefte. Er füllte seinen Geschäftskreis jedesmal vollständig aus, er suchte und fand darin, was nur irgend vorhanden war. Damals philosophirte er nicht, er handelte und wußte nicht nur jeder Schwierigkeit speciell zu begegnen, sondern auch sehr prosaische Affairen und Verhältnisse auszubeuten.

Daß seine Bemühungen nicht zu einem glänzenden Resultate führten, lag nicht daran, daß er ein unpraktischer Träumer gewesen wäre. Nicht nur Unglücksfälle, mangelndes Betriebscapital und die Entwerthung der Producte standen ihm entgegen, sondern noch mancherlei andere Verhältnisse, und es ist damals so manchem, der in ganz trivialem Sinne praktisch genannt wurde, noch übler ergangen. Goltz gab in allen Ehren seine fruchtlosen Bemühungen auf und rettete noch genug hinüber, um in Einsamkeit fortan seine Bücher auszuarbeiten, die er so fast am treffendsten „eine Metaphysik und Aesthetik des Werktagslebens“ nannte, – und die seine Recensenten bald mit Lichtenberg, Fischart und Abraham a Santa Clara, und dann wieder mit Hippel, Hamann und Jean Paul verglichen haben, aber das X der Gleichung ist damit nicht dechiffrirt.

In Gollub, einem kleinen preußischen Städtchen unweit Thorn an der polnischen Grenze, begannen mit dem Jahre 1830 jene geregelten Vorarbeiten, die unsers Autors Fruchtbarkeit seit 1847 erklären. Wie Goltz heute mitunter über sein Stillleben in jenem Grenzstädchen empfindet, zeigen die nachstehenden Zeilen.

„Als ich noch in dem kleinen Neste particularisirte, dachte ich nicht an Erwerb und Ruhm; denn das Leben, die Poesie des Scheins bespeisete mich von innen heraus. Ich wußte an schönen Frühlings- und Herbsttagen nicht wohin mit meiner Lebenslust. Ich war schon ein Dreißiger, als ich manchmal auf dem Markte des Städtchens hätte Rad schlagen[WS 1] mögen, – so war es da namentlich am Sonntag Vormittag, wenn die Masse der polnischen Landleute aus der Kirche kamen und in bunten Gruppen mit einander conversirten.“ –

– – „Seitdem ich in die Welt getreten bin, ist alle Freude und Unschuld dahin! – Sonst machte ich Landreisen zu meinen Bekannten, um ihnen lustige und ernsthafte Geschichten zu erzählen, und fand mich geehrt, wenn es gelang. – Heute sitzt mir ein Groll im Herzen, seit ich hinter die Coulissen geschaut habe. – Mit dem lichten Schein und leichten Sinn ist’s vorbei.“

Aus solchen Worten redet die tiefsinnige Melancholie eines echten Humoristen, von Wenigen erfaßt und begriffen, wie denn überhaupt Bogumil Goltz die schlimme Mission zu Theil geworden ist, in der Literatur wie im Privatleben einen Charakter zur Geltung

  1. Vorlage: schagen
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_134.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)