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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Fliegen halten, die wir bekanntlich zur Anfertigung unserer Blasenpflaster benutzen und die eben dieser ätzenden Eigenschaft wegen von keinem anderen Thiere gefressen werden. Lenz in Schnepfenthal stellte Versuche über sein Verhalten zu den giftigen Vipern an, von welchen ich einen aushebe.

Lenz hatte in einer großen Kiste ein Igelweibchen, das seine Jungen säugte. Er that eine große, kräftige Kreuzotter hinzu, welche sich in der entgegengesetzten Ecke zusammenknäuelte. Der Igel näherte sich langsam, beschnüffelte die Schlange, fuhr aber anfangs zurück, als diese sich aufrichtete und gegen ihn züngelte. Als er sich abermals unbedachtsam näherte, erhielt er einen Biß in die Schnauze, der ein Tröpfchen Blut hervorlockte, er wich zurück, beleckie sich die Wunde, drang wieder vor, erhielt einen zweiten Biß in die Zunge, ließ sich aber nicht irre machen und rückte der Schlange auf den Leib. Beide Gegner wurden nun zornig; der Igel pfauchte, schüttelte sich, die Schlange ihrerseits schleuderte Biß auf Biß und verwundete ebensowohl mehrfach den Igel, als sich selbst an seinen Stacheln. Plötzlich packte der Igel ihren Kopf, zermalmte ihn und verzehrte sodann ohne weitere Gemüthsbewegung die vordere Hälfte der Schlange, worauf er ruhig zu seinen Jungen zurückkehrte, um dieselben zu säugen, und am anderen Morgen den Rest der Schlange verzehrte. Dieselben Versuche wurden mehrfach mit demselben Erfolge wiederholt: weder der Igel, noch die Jungen kränkelten einen Augenblick. Ein neuerer Beobachter, Linck in Blaubeuren, drückt sich folgendermaßen aus: „Es ist in der That überraschend, mit welcher Gleichgültigkeit der Igel in der Hitze des Kampfes die Bisse der Kreuzotter hinnimmt, die er, ihm zum leckern Mahle, abzuschlachten bemüht ist. Daß er übrigens von den Bissen gar nicht litte, kann ich nicht bestätigen. Von einer frisch gefangenen Kreuzotter zweimal blutwund gebissen, kränkelte mir ein sehr kräftiges Thier dieser Art mehrere Tage lang. Ich bin jedoch überzeugt, daß ein Hund, vielleicht sogar ein Mensch, den beiden Wunden erlegen wäre.“

Ob indessen diese Giftfestigkeit soweit geht, daß ein Igel, wie Oken behauptet, ungestraft Blausäure, Arsenik, Opium und Sublimat fressen könne, wollen wir einstweilen noch dahin gestellt sein lassen und uns begnügen, die Physiologen aufzufordern, herüber Versuche anzustellen. Bedenken wir aber, daß der Igel sich gerne namentlich an solchen Orten aufhält, wo auch die Kreuzottern sich gefallen, so dürften schon die bis jetzt wohl constatirten Eigenschaften hinreichen, zu seiner Schonung und Pflege dringlichst aufzufordern und ihm ein Plätzchen unter denjenigen Thieren einzuräumen, die Jedermann, wie die Hausschwalbe, achtet und schützt.




Blätter und Blüthen.

New-Yorker Lehren. Die folgende Stelle aus dem Briefe eines jungen Mannes, auf dessen Wahrheitsliebe ich vertrauen darf, verdient vielleicht in weiteren Kreisen bekannt zu werden, da sie eine vortreffliche Lehre für alle die Tausende enthält, welche in Nordamerika eine neue Heimath gründen wollen. Es sei nur noch bemerkt, daß der Schreiber ein junger Mann von ungewöhnlich angenehmem Aeußeren war.

„Ich kam nach einer glücklichen Fahrt im Hafen von New-York an. Auf dem Schiffe hatte ich unter den Mitreisenden manche angenehme Bekanntschaft gemacht, aber seit wir das Land zu Gesicht bekommen, war Jeder mit den Anstalten zur Ausschiffung so vollständig beschäftigt, daß an ein gegenseitiges Antheilnehmen nicht mehr zu denken, und der Einzelne ganz auf sich angewiesen war. Zum ersten Male fühlte ich mich unter der großen Menschenzahl sehr einsam, aber ich folgte dem Beispiele der Andern, ließ mir mein Gepäck aushändigen, stellte es zusammen und mich als Wächter daneben.

Endlich waren wir an dem Landungsplatze angelangt, und der Menschenstrom ergoß sich über die Brücke auf den festen Boden. Auch ich ließ mich mit fortschieben und stand nun mutterseelenallein in dem fremden Lande, in einem Gewühl von lauter fremden Menschen, die nur gleichgültige, flüchtige Blicke auf mich warfen. Fürwahr, ich glaube, in menschenleerer Wüste wäre ich mir nicht so einsam vorgekommen! – Aber was sollte ich dem unangenehmen Gefühle nachhängen? Die nächste Sorge war, ein Unterkommen zu finden; ein Hotel am Broadway war mir zwar durch R. empfohlen, aber wie mich dahin finden? Ich sah mich nach einem Führer und Träger meiner Sachen um, und zufällig fielen meine Blicke auf einen müßig dastehenden Mann, der mich mit einiger Theilnahme zu betrachten schien und dessen Aussehen mein Vertrauen erweckte. „Wollen Sie meine Sachen nach –Hotel tragen?“ fragte ich ihn. – „Gern!“ war die Antwort. Er hob meinen nicht gar schweren Reisekoffer auf die Schulter, nahm den Reisesack in die Hand und ging voraus. Unterwegs fragte er, aus welcher Gegend von Deutschland ich komme, wie lange ich in New-York zu bleiben gedenke, und ob ich schon einen Plan für meine Zukunft entworfen habe. Es that mir wohl, ihm über Alles ausführlich Bericht zu geben, und auch meinen Namen nannte ich ihm. So war ich ihm herzlich gut geworden für seine Theilnahme, als wir in dem Hotel ankamen; er trug meine Sachen bis auf das angewiesene Zimmer, und ich drückte ihm eine Belohnung in die Hand, die ihm seinen Dienst, wie ich glaube, mehr als hinreichend vergalt. Er besah das Geldstück und sagte dann mit einer Unverschämtheit, deren ich ihn vor einer Secunde noch gar nicht fähig gehalten hätte: „Mein Herr, Sie werden mir fünf Dollars für meine Mühe geben.“ Als ich ihn ganz verdutzt ansah, fuhr er fort: „Wir sind nicht vorher über das Trägerlohn einig geworden, und nun darf ich es so hoch stellen, als ich will.“ – „Aber fünf Dollars sind doch eine ganz unverschämte Forderung!“ – „Einerlei; fragen Sie meinetwegen den Wirth; er wird Ihnen sagen, daß Sie zahlen müssen, was ich verlange.“ – Um ihn loszuwerden, gab ich ihm, was er forderte. Aber als er sich sehr artig verabschiedete, konnte ich mich nicht überwinden, ihm Adieu zu sagen. Ich gestehe, daß mein erstes Abenteuer in der neuen Welt mich nicht in die allerbeste Laune versetzt hatte. Aber ich kleidete mich schnell um, erquickte mich und hatte vor den vielen neuen Eindrücken, die mir von allen Seiten kamen, bald die ganze verdrießliche Geschichte vergessen.

Am nächsten Sonntag saß ich lesend auf meinem Zimmer, als mir von einem einfach, aber elegant gekleideten Bedienten eine Karte überreicht wurde, welche eine Einladung zum Abendessen auf heute enthielt. Mein vollständiger Name F. W. stand auf der Karte; dennoch sah ich den Ueberbringer erstaunt an, denn der Name des Einladenden war mir gänzlich fremd, und ich sagte daher, es müsse hier ein Irrthum obwalten und ein Namensgenosse gemeint sein. Als aber der Bediente fragte, ob ich nicht am letzten Dienstag mit dem Dampfboote angekommen sei, ob ich nicht von Anfang an dies selbe Zimmer, Nr …, bewohnt habe, konnte ich freilich nicht mehr zweifeln, daß ich gemeint sei, und sagte schon aus Neugier, zu erfahren, wie sich das Räthsel lösen würde, zu. Aber ich zerbrach mir bis zum Abend den Kopf, wie Jemand, dessen Name allerdings deutsch klang, mir dem ich aber sicher nie in Verbindung gekommen war, zu einer Einladung könnte bewegen worden sein.

Zur bestimmten Stunde ließ ich mich nach dem auf der Karte bezeichneten Hause führen. Schon das Aeußere ließ einen wohlhabenden Besitzer vermuthen, mehr aber noch die Eleganz, die ich schon auf dem Vorplatze bemerkte. Der Diener von heute Morgen führte mich durch ein mit allen Komforts reichlich ausgestattetes Zimmer in ein größeres Gemach, wo ich einige Herren schon versammelt fand; Einer von ihnen trat mir mit ausgestreckter Hand begrüßend entgegen, es war – mein Kofferträger! „Sein Sie willkommen, Herr W.!“ rief er mir auf Deutsch zu; „ich sehe, Sie sind überrascht, gerade mich wiederzusehen, aber ich mußte doch den üblen Eindruck, den mein neuliches Benehmen auf Sie gemacht haben muß, wieder auszutilgen und zugleich einem gebildeten jungen Landsmann, dessen ganzes Wesen gleich einen angenehmen Eindruck auf mich machte, nützlich zu werden suchen.“ Nun stellte er mich den Herren vor und zog mich dann in eine Fensternische. „Ich sehe Ihnen an,“ sagte er, „daß Sie nach einer Aufklärung begierig sind. Ich war neulich, nicht eben sorgfältig gekleidet, in Geschäften ausgegangen. Ich bin noch nicht ganz veryankeet und nehme noch immer besondern Antheil an meinen Landsleuten; deshalb ging ich zum Landungsplatze, als das Dampfboot ankam. Sie standen, wie es mir schien, nicht in der angenehmsten Gemüthsverfassung, da; ich hatte Sie schon länger betrachtet, ehe Ihr Blick auf mich fiel, und als Sie mich zum Tragen Ihres Gepäcks aufforderten, nahm ich mir vor, Ihnen gleich die auf amerikanischem Boden überaus wichtige Lehre zu geben: daß man zu Allem, was man selbst thun kann, nie fremde Hülfe in Anspruch nehmen und sich keiner Arbeit schämen muß. Sehen Sie, ich kam vor 20 Jahren blutarm hier an; der Befolgung des eben ausgesprochenen Grundsatzes glaube ich, nächst Gottes Segen, es zu verdanken, daß ich jetzt ein wohlhabender Mann bin.“ – In diesem Augenblick wurden wir in das Eßzimmer gerufen. Herr N. wies mir den Platz neben dem seinigen an. Als ich die Serviette vom Teller nahm, lag eine Banknote von 5 Dollars darauf, die der Wirth mich lächelnd bat, wieder in meine Börse zu stecken, obgleich er glaube behaupten zu können, daß ich künftig finden würde, der Preis sei für die Lection nicht zu hoch gewesen.

An jenem Abende habe ich nicht nur die ersten glücklichen Stunden in der neuen Welt an der heitern Tafel des Herrn N. verlebt, sondern auch an ihm einen Freund gewonnen, der mir zu meinem ersten Unterkommen, wie ich schon gemeldet habe, behülflich gewesen ist, und dem ich habe versprechen müssen, ihm alle meine freien Stunden zu schenken.“




Von Gerstäcker sind wieder Briefe eingelaufen. Er schreibt uns (unterm 18. December) aus Lima, der Hauptstadt Peru’s, daß er wohl und munter sei, das Reisen aber bereits herzlich satt habe. Er gedenkt von dort aus nach der deutschen Colonie am Pozuzu zu gehen und zwar über die Cordilleren, – jetzt bei der Regenzeit eine bitterböse Reise, die viel Geld und Zeit kosten werde. Seine neuesten Erlebnisse schildert er in einem längeren Briefe: „Der neue Weg nach Quito und das Innere von Ecuador“, den wir in der nächsten Nummer unsers Blattes zum Abdruck bringen.[WS 1]



Anmerkungen (Wikisource)

  1. tatsächlich: Heft 10.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_128.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)