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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Kopf mit Knotenstricken zusammen, und öfter noch wandte man die Tortur in einer entsetzlichen Weise an. Das Tragen von Waffen wurde durch öffentliche Stockschläge von der Hand des Henkers bestraft. Die Polizeicommissarien wandten diese Strafen ganz nach ihrem Gutdünken an. Endlich der heimliche Meuchelmord! Auf dem Polizeicommissariat von San Domenico fand man in den ersten Tagen der Revolution Skelette, Hirnschädel und Reste von Leichnamen, welche bereits in Verwesung übergegangen waren.“ –

„Die Verhaftungen fanden mit der größten Willkür statt, ebenso wie die Verurtheilungen mit der offenbarsten Ungerechtigkeit geschahen. Die Verhafteten wurden Monate und Jahre lang in schrecklichen Gefängnissen und in mörderischen Kerkern gefangen gehalten, und nur, wenn es der Polizei gefiel, wurden sie provisorisch in Freiheit gesetzt oder ohne irgend ein richterlichen Urtheil in die Bagno’s und in die Strafarbeitshäuser gesteckt, um dort in langsamer und schrecklicher Weise den Tod zu finden. Die Polizei stand über jedem Tribunal; keine Behörde konnte und durfte sich ihren Befehlen widersetzen, keine von ihr für ihre Handlungen der Willkür und Grausamkeit Rechenschaft verlangen. So respectirte die Regierung König Ferdinands das Leben und die Freiheit der Bürger. Um ähnliche Zustände zu finden, müßte man über das Mittelalter hinaus bis in die Zeiten eines Nero oder Tiberius zurückgehen.“[1]

Solchen Thatsachen und solchen Beweisen gegenüber kann man doch nicht von Uebertreibung sprechen, wenn das mehrmals von mir erwähnte Manifest der Völker Siciliens mit den Worten schließt: „Wenn wir gezwungen sind, nur noch wenige Jahre unter dieser Regierung weiter zu existiren, so wird das Königreich Neapel eine Wildniß werden, in welcher nicht Bürger, sondern Wilde leben, und Reisende werden weit herkommen, um sie anzustaunen, wie eine seltene Merkwürdigkeit.“ Gust. Rasch.




Rede bei der zweiten Lessing-Feier in Leipzig.
Gehalten am 22. Januar 1861.
Von Adolf Stahr.
Vorbemerkung.

Die Stadt, welche mit der Schillerfeier in Deutschland vorangegangen ist, hat jetzt auch das erste Beispiel eines regelmäßig wiederkehrenden Jahresfestes am Geburtstage Lessing’s, des großen Bewegers von Deutschland, aufgestellt.

Dieses Beispiel fordert zur Nachahmung auf. Möge es an derselben nicht fehlen! Lessing’s Wirken, seine Gestalt und seine Werke, seinen erhabenen Charakter, seinen freudigen Kampfesmuth, seine begeisterte Wahrheitsliebe und Wahrheitsforschung, sein unerschütterliches Ausharren im Kampfe um die höchsten geistigen Güter der Menschheit unserm Volke, das diesen seinen Helden noch weit nicht genugsam kennt, immer näher und näher zu bringen, dazu sind solche Erinnerungsfeste ein unschätzbares Mittel. Mögen sich alljährlich einmal in allen Städten deutschen Landes Männer und Frauen versammeln am Geburtstage des Dichters, der uns den Nathan gedichtet, um sich und andere daran zu erinnern was wir alle diesem Helden des Lichtes und der Wahrheit verdanken. Denn Lessing vor allen muß jetzt unser Führer und Vorbild sein in dem neuentbrannten Kampfe des Lichts wider seine Verdunkler von heute. Und in seinem Zeichen werden wir siegen!

Adolf Stahr.
Hochverehrte Versammlung!

Als wenige Monate nach der verhängnißvollen Schlacht von Jena der große Historiker Johannes Müller in der Hauptstadt des niedergeworfenen und gedemüthigten Preußenlandes die Gedächtnißfeierrede auf Friedrich den Großen, auf den einzigen Mann hielt, an dessen Erinnerung sich der Muth der Schwergebeugten wieder aufzurichten hoffen konnte, da pries er die Sitte, jährlich das Andenken unsrer großen Männer zu erneuern, mit folgenden Worten: „Wenn, mit jedem Jahre neuer Prüfung unterworfen, der Glanz ihres Verdienstes durch keinen äußeren Wechsel, nicht durch den Ablauf mehrerer Jahrhunderte gemindert wird; wenn ihr Name hinreicht, ihrem Volke einen Rang unter den Nationen zu behaupten; wenn immer neu, niemals zum Ueberdruß eine solche Lobrede keiner Künste bedarf, um die Theilnahme großer Seelen zu wecken und die Schwachen tröstend aufrecht zu halten, die im Begriffe sind sich selbst aufzugeben: dann ist die Weihe vollbracht! Ein solcher Mann gehört dann – nicht mehr einem gewissen Lande, einem einzelnen Volke, – er gehört der ganzen Menschheit an, die so edler Vorbilder bedarf, um ihre Würde aufrecht zu erhalten.“

Diese Worte, – auf wen können sie mit größerem Rechte angewendet werden, als auf den großen Deutschen, dessen Erinnerungsfest wir heute an seinem Geburtstage begehen? Von wem können sie mit vollerer Wahrheit gesagt werden, als von dem Manne, dessen Name in der That schon hinreicht, unsrem Volke seinen Rang unter Europa’s Culturnationen zu behaupten? Von dem Manne, dessen Lobredner in Wahrheit keiner Künste bedarf, um die Theilnahme starker, großempfindender Seelen zu erwecken, und die Schwachen und Verzagenden von heute tröstend aufzurichten durch den Hinweis auf sein kampferfülltes, mit Ruhm und Dornen gleichmäßig gekröntes Heldenleben? Von dem Manne endlich, der schon lange nicht mehr blos seinem Volke, sondern der ganzen Menschheit angehört, von Gotthold Ephraim Lessing, der da vor uns steht als –

Das echte Abbild von der Menschheit Adel,
Der treuste Ritter aller Geisteswahrheit,
Ihr Spiegelbild Er Selbst in Sonnenklarheit,
Der Freiheitskämpfer ohne Furcht und Tadel!

Jene Sitte, das Andenken großer Männer durch Jahresfeste zu erneuern, ist jetzt in unserem Volke von den irdischen Königen auch, und mit vollstem Rechte, ausgedehnt worden auf unsere Könige im Reiche des Geistes, auf die großen deutschen Geistesfürsten des achtzehnten Jahrhunderts, diese wahren und echten „Herrscher von Gottes Gnaden.“ Mehr und mehr fühlt sich unsere Zeit von einem tiefen, halb unbewußten Drange getrieben, das berüchtigte Wort von der „Umkehr“ des Geistes und der Wissenschaft auch ihrerseits anzuwenden und zu einer Wahrheit zu machen, das heißt: um und zurückzukehren zu den erhabenen und leuchtenden Gestalten unsrer großen Geisteshelden des verflossenen Jahrhunderts, und aus der vertieftern Erkenntniß ihres Lebens und Strebens, aus dem erfrischenden Born ihrer unsterblichen Freiheitsgedanken Erhebung und Stärkung in schwüler, dumpfer Gegenwart, Vertrauen auf den Genius unserer Nation und Hoffnung auf den endlichen Sieg der Idee, auf den Sieg der Humanität, der Freiheit, Schönheit und Wahrheit zu schöpfen. Solch eine „Umkehr“, die ein Fortschritt zugleich ist, ist auch die Umkehr zu Lessing!

Jemehr ein anderer Hang und Zug unserer Zeit unwidersprechlich als ein Hang zu rohem Materialismus bezeichnet werden muß, je mehr die sich am meisten auf die Oberfläche des Zeitstroms drängende Thätigkeit und das vorwiegende Interesse einer großen Anzahl unserer Zeitgenossen – unbekümmert um die edelsten Güter der Menschheit, auf das Sinnliche und Materielle, auf Gewinn, Vergnügen und eitlen Glanz gerichtet erscheint: um so nothwendiger bedarf unsere Zeit „zur Aufrechthaltung ihrer Würde“ des immer erneuten Hinweises auf jene erhabenen Vorbilder, bedarf sie der Katharsis, der sittlichen Reinigung ihrer niedern Leidenschaften und Triebe durch die immer erneute Aufstellung jener edlen und erhabenen Menschheitsziele, für welche die großen deutschen Geisteshelden des achtzehnten Jahrhunderts, deren verpflichtete Epigonen wir sind, gekämpft und gelitten haben. Denn diese Helden sind es, welche Ernst gemacht haben mit jenem heiligen


  1. Memoire, pour la reconnaissance des droits de la Sicile comme Etat indépendant, par le baron Ventura.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_121.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)