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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Bagno „con empara di polizia“ zur Disposition der Polizei zugebracht. Der berühmte Märtyrer, den ich in Turin kennen lernte, machte mir dort diese Mittheilung, welche mich doch einigermaßen staunen machte. Daß derselbe durch Verordnung des Polizeiministers vom 27. December 1858 mit neunzig andern Leidensgefährten nach Amerika deportirt wurde, ist bekannt, vielleicht aber nicht, daß die Deportation in dem neapolitanischen Strafgesetzbuch abgeschafft worden ist, also auch hier auf einer Polizeiverordnung beruhte, welche in offenem Widerspruch mit der Gesetzgebung des Landes war.[1] Am 2. November 1859 brachte die officielle Zeitung des Königreichs beider Sicilien an ihrer Spitze einen Artikel, der im Namen des jungen Königs nach seinem ausdrücklichen Befehl die Beamten jedes Standes und jeder Kategorie aufforderte, die Landesgesetze auf das Strengste zu beobachten und diesen Landesgesetzen gemäß ihren Pflichten als Beamte nachzukommen. Es heißt in diesem officiellen Artikel wörtlich: … „Mitten in den so zahlreichen Sorgen der Regierung hört Seine Majestät nicht auf, allen Chefs der Verwaltung und der Justiz ausdrücklich anzubefehlen, daß die Gesetze auf das Genaueste und Sorgfältigste beobachtet werden.“

Der Intendant der Provinz Catanea in Sicilien schrieb in Folge dieser officiellen Kundmachung an den königlichen Statthalter der Insel folgenden Brief:

Catanea, 8. November 1859. 

Excellenz!

In der Regierungszeitung von Sicilien vom 2. November findet sich folgende Kundmachung: (nun folgt der ebenerwähnte Artikel) In Anbetracht der officiellen Wichtigkeit dieser Kundmachung denke ich, daß es meine Schuldigkeit ist, mich an Ew. Excellenz mit der Frage zu wenden, ob die Beamten in den Provinzen Siciliens von nun an der discretionären Gewalt, mit der sie bekleidet sind, entsagen und sich streng an die Gesetze halten sollen? Der Intendant, Prinz v. Fitalia.

Es erfolgte auf dies Schreiben folgende Antwort:

Mein Herr!

In Beantwortung Ihres Briefes vom 8. d. Mts. beeile ich mich Ihnen zu antworten, daß, wenn die Regierung es für nöthig hält, sich an ihre Beamten zu wenden, sie dies direct thut und auf ministeriellem Wege.

Sie werden also, wie früher, fortfahren, sich einzig und allein an die Befehle zu halten, welche von der Statthalterschaft ausgehen.

Für den Statthalter  
der Generalpolizei-Director Maniscalco.

Palermo, den 16. November 1859.

Bedarf es, solchen Documenten gegenüber, wohl noch eines weiteren Wortes, um die allmächtige Stellung der Polizei in Neapel und Sicilien zu charakterisiren? Bedarf es daneben wohl noch irgend eines weiteren Beweises, um die Thatsache festzustellen, daß die Polizei in diesem unglücklichen Lande über allen Behörden stand, daß der Wille jeder andern Behörde neben ihrem Willen rein illusorisch war? Der Generalstatthalter von Sicilien war eine Null, eine Hofcharge, welche nicht so viel Macht hatte, in den Straßen von Palermo einen Pflasterstein auf einen andern Fleck zu legen. Der einzige allmächtige Regent von Sicilien, der Vicekönig der Insel, war Maniscalco, der Generalpolizeidirector, sowie der eigentliche Vicekönig von Neapel der Polizeipräsident Ajossa war. Beide correspondirten direct mit dem Könige, Beide erhielten direct ihre Befehle von ihm, Beide standen über dem Gesetz, über allen Beamten der Justiz und der Administration; Beide waren allmächtig; für sie gab es nur ein Gesetz: der Wille Seiner Majestät.

Und wer waren diese Subjecte? Ich will nur den Erstern, den Maniscalco schildern – denn dieser war der grausame Erfinder der Folterqualen, welche in Neapel und Sicilien angewandt worden sind –; man wird mir dann wohl die Schilderung des Andern ertlassen.

Maniscalco war der Sohn eines Lohnbedienten in Neapel. Noch sehr jung, wurde er Gensd’arm. Der Zufall brachte ihn mit dem wilden del Carretto in Verbindung, dem blutbefleckten Henker Siciliens, dessen Name auf ewig gebrandmarkt ist in der Geschichte aller civilisirten Völker, dieser wahren Vorsehung aller Hallunken und Spitzbuben. Die Talente Maniscalco’s gefielen seinem Chef. Er verwandte ihn zu mehreren schwierigen politischen Missionen. Er wurde provocateur in der Armee und mußte die nicht ganz zuverlässigen Officiere ausspioniren. Der Gensd’arm entledigte sich dieser Aufträge mit seltener Geschicklichkeit. Er wurde nun Sergeant – dann Officier. Carretto’s Sturz im Jahre 1848 unterbrach seine Carriere für einen Moment. Es war damals sogar die Rede davon, ihn für gewisse Unregelmäßigkeiten in der Ausübung seiner Pflichten, z. B. Diebstahl, Fälschungen, Räubereien u. s. w., auf die Galeeren zu schicken.

Der Staatsstreich des 15. Mai rettete auch ihn. Der König machte ihn, zur Entschädigung für die ausgestandene Angst, zum Capitain und empfahl ihn Filangieri, der ihn nach und nach zum Chef der Polizei von Palermo machte. Er zeichnete sich in dieser Stellung durch seine nichtswürdigen Streiche so aus, daß der König mit ihm in directe Verbindung trat und ihn zum Generaldirektor der Polizei und im Ministerium des Innern ernannte.

Als solcher herrschte er durch seine Directoren, Commissarien und Inspectoren despotisch im ganzen Lande; vor seinen allmächtigen Befehlen beugten sich alle Präfecten, alle Civil- und Criminalgerichtshöfe; er stand über Allen und war nur dem Könige verantwortlich.

In Sicilien stand Maniscalco trotz seiner hohen amtlichen Stellung in größter Verachtung. Die alte Prinzessin von Montevago, die einzige Dame, welche in Palermo zu den neapolitanischen Behörden noch einige Beziehungen hatte, gab Ende des Carnevals 1859 einen Kinderball. Die ganze vornehme Gesellschaft von Palermo war in ihren Sälen versammelt. Da erschien plötzlich Maniscalco, der seine Kinder begleitete. Der Unwille und die Erbitterung war allgemein. Den Ball plötzlich zu verlassen, war schwierig. Was that man? Nicht ein Kind wollte mit den Kindern Maniscalco’s tanzen. Niemand sprach mit ihm selbst ein Wort. Wollte er mit Jemandem eine Conversation anknüpfen, wurde ihm sofort, ohne alle Antwort, der Rücken gedreht. Wuth im Herzen, verließ der Chef der Polizei den Saal.

Man muß die Exclusion und allmächtige Stellung der Polizei in Neapel und die Persönlichkeiten kennen, durch welche dieselbe ausgeübt worden ist; sonst ist es nicht möglich das zu begreifen, was ich schildern werde. Es sind so unmenschliche und entsetzliche Dinge, daß das Menschenherz zu seinem Troste sich immer wieder von Neuem sagt: Es ist nicht wahr; diese Entsetzlichkeiten können im Jahrhundert der Civilisation und der Humanität in Europa nicht stattgefunden haben. Und doch sind sie wahr! In Neapel, in Palermo, in Catanea, in Messina kann man sie sich auf jeder Straße erzählen lassen.

Während der letzten zehn Jahre ist die Tortur in Neapel und Sicilien von jedem Polizeicommissar in den Polizeigefängnissen selbstständig angewendet worden. Von der Anwendung des Stockes und der Peitsche spreche ich hier gar nicht, sondern nur von bestimmten Torturwerkzeugen. Als solche sind angewendet worden: Knotenstricke, welche, um den Kopf des Gefangenen herumgeschlungen, vermittelst eines Stockes so fest zusammen gedreht wurden, daß sie die Haut zerschnitten und den Unglücklichen die Augen aus den Augenhöhlen traten; ferner eiserne Stühle mit durchbrochenen Böden, unter denen sich Kohlenbecken mit glühenden Kohlen befanden, welche sich vermittelst eines Mechanismus auf und ab bewegten; sodann eiserne, spitze Nägel, welche im Feuer glühend gemacht und zwischen Fleisch und Nägel der Finger getrieben wurden. Einer von den Handlangern Maniscalco’s, der Kerkermeister Bruno, wandte alle diese Mittel gar nicht an. Er ließ den Gefangenen gänzlich entkleiden, und band ihm dann den Kopf zwischen die Beine. Ein Verwandter Maniscalco’s, Ludovico Maniscalco, gebrauchte als Torturmittel eiserne Ringe, welche vermittelst einer Feder sich immer enger zusammenschraubten und die Glieder des Gefangenen zusammenpreßten. In manchen Polizeigefängnissen von Neapel, Palermo und solchen Städten, welche am Meere lagen, wurde der Gefangene in einen


  1. Siehe Manifest der Völker des Königreichs beider Sicilien, welches im Februar d. J. allen europäischen Cabineten mitgetheilt worden ist. Es heißt darin an der betreffenden Stelle: „Durch Decret vom 27. December deportirte man nach Amerika (und die Deportation existirt nicht mehr in dem neapolitanischen Strafgesetzbuch) 91 Personen. Aber indem man das Leben der Menschen für nichts rechnete, waren in diesem Deportationsdecret 14 Todte mit inbegiffen, und unter den 60, welche wirklich eingeschifft wurden, waren 5, welche ihre Strafe beinahe verbüßt hatten.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_119.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)