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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Ludwig Tieck als Vorleser.
Nach einer Originalzeichnung von A. von Sternberg.

von Bülau und Baron Stackelberg, der die interessanten Forschungen in Griechenland unternahm und herausgab, Rumohr u. A. Ganz vorn in einem Lehnstuhl saß ein bekannter Engländer, ein großer Verehrer Shakespeares und Tieck’s, der, wenn er in Dresden war, nie einen Abend verfehlte bei dem Letztern dem Vorlesen zuzuhören, obgleich er äußerst schwer hörte und nur mit Mühe der vorgetragenen Pièce folgen konnte. Das Haus, wo Tieck damals wohnte, lag an der Ecke des Altmarkts, später zog er in das Haus des Major Serre, von dort kam er nach Berlin.

Der Ruf, den die Abende gewannen, war ein außerordentlicher. Nach Amerika drang ihr Ruhm, später war es ganz unmöglich, in Dresden gewesen zu sein, ohne bei Tieck einen Vorlese-Abend genossen zu haben; man riß sich um die Einlaßkarten, und eine große Anzahl, die hingekommen waren, um Tieck zu hören, mußten abreisen, weil sich kein Abend für sie fand. Viele wußten nicht, wer der Mann war, den sie hörten, noch was er geschrieben hatte; sie verwechselten ihn mit Tiedge und priesen laut mit vielen Lobeserhebungen die Urania in seiner Gegenwart. Uebrigens war der Cirkel, wo Tiedge herrschte, ganz abgesondert von unseren Vorlese-Abenden. Tiedge befand sich bei der Frau von der Recke, und was hier geduldet wurde, war gänzlich verschieden von dem, was im Tieck’schen Hause Sitte war: bei Tiedge galt eine altväterische Frömmigkeit, die bei Tieck gänzlich außer der Acht gelassen wurde; man konnte nicht zwei der Literatur dienende Geister sehen, die mehr von einander abwichen, als Tieck und Tiedge.

Später hat der Aufzeichner dieser Skizze Tieck auch in Berlin gesehen, ebenfalls vorlesend, doch wie ganz verschieden von seinen Vorträgen in Dresden! Hier gab es kein so großes Publicum, und dieses Publicum war nicht einzig und allein wegen Tieck da, sehr Viele gingen hin, weil sie wußten, daß sie dadurch dem Könige schmeichelten. Auch war Tieck’s Kraft im Abnehmen. Er las oft nur, wie er selbst eingestand, aus Gesundheitsrücksichten, weil ihm dadurch die fehlende Bewegung ersetzt wurde. Der Schreiber dieses fand ihn manchmal ganz allein mit der schlafenden Gräfin, wie er laut donnernd eines seiner Lieblingsdramen vorlas.

Tieck als Vorleser wird immer eine höchst beachtenswerthe Erscheinung bleiben, wenn wir auch nichts Anderes an ihm schätzten. Es ist sehr zu bezweifeln, ob sich Aehnliches je wieder finden wird. Es wird etwas Anderes, nicht dasselbe sein; schon Tieck’s eigenthümlicher Körperbau trieb ihn dazu, diese Virtuosität soweit als möglich auszubilden.

A. v. Sternberg. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_117.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)