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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Werner von einer Jagdpartie zurück zu erwarten, die er mit einigen Herren unternommen hatte. Emilie saß in ihrem Zimmer, in brütendem Nachsinnen über das, was kommen sollte, versunken.

Mit jeder Minute stieg die Todesangst der unglücklichen Frau, ihr Muth begann zu schwinden. Sie wollte Trost und Kraft im Gebet suchen, aber so wie sie an ihren Mann dachte, diesen edlen, liebevollen Menschen, der sie stets auf den Händen getragen hatte, und dem sie einen unheilbaren Schmerz zuzufügen im Begriff stand, so wagte sie nicht mehr zu beten. Gott war fern von ihr in dieser verhängnisvollen Stunde, denn sie fürchtete sich davor ihn zu finden. Furchtbare Zweifel bemächtigten sich in diesem Augenblick der Entscheidung ihrer Seele – ach, die trügerischen Bilder, die ihre Leidenschaft ihr vorgegaukelt hatte, schwanden vor der siegenden Macht des Rechtes und der Wahrheit! Sie sagte sich nicht länger, daß ihr Entschluß schuldlos wäre, sie fühlte nur zu tief, daß nichts auf Erden im Stande sei, sie von der Verantwortung all der Schmerzen freizusprechen, die sie auf den Mann häufen wollte, dessen Namen sie trug, der ihr nie Ursache zur leisesten Klage gegeben hatte, dem sie Treue und Ergebung bis zum Tode gelobt hatte. Aber ihr Loos war geworfen – sie widerrief nicht mehr.

Seit sie mit Einstimmung ihres Willens, mit glühendem Durst die Liebesworte Welly’s angehört hatte, war ihr Gefühl für ihn zu einer Stärke angewachsen, die kein Hinderniß mehr gelten ließ. Um seinetwillen glaubte sie sogar das Bewußtsein der Schuld ertragen zu können. Der Gedanke, ihm Schmerzen zu bereiten, ihn zur Verzweiflung zu treiben, erschien ihr so wahnsinnig, so unmöglich, daß jede andere Rücksicht vor dieser schwieg. Selbst der tiefe Schmerz, den sie erst gestern bei seinen bittern Worten empfunden hatte, war eine Fessel mehr für ihr Herz, – wie, nachdem sie seinen bloßen Zweifel in ihrer Liebe so schwer empfunden hatte, wie sollte sie es ertragen, diesen Zweifel in seinen Augen zu rechtfertigen? Immer glühender wandte sich bei diesem Gedanken ihr Herz dem geliebten Manne zu, und ihre Seele verlor sich in leidenschaftliche Träumereien, aus denen sie endlich der Eintritt ihres Mannes jäh emporschreckte.

Sie fuhr hastig empor und erbleichte so sehr, daß Herr von Werner besorgt hinzueilte sie zu unterstützen. Zum ersten Male gab er den Besorgnissen Worte, die sie ihm seit längerer Zeit einflößte. „Was ist Dir, Emilie? mein liebes, gutes Kind?“ sagte er mit dem Ton der innigsten Theilnahme. „Willst Du mir nicht endlich vertrauen, was Dich seit längerer Zeit so sichtlich niederdrückt? Warum dies Schweigen mir gegenüber, der keinen anderen Wunsch hat, als Dich froh und zufrieden zu sehen?“

„Nein! ich kann, ich darf nicht länger schweigen,“ flüsterte die junge Frau, indem sie ihr in Thränen gebadetes Gesicht von seiner Brust erhob. „Aber wie, mit welchen Worten soll ich Dir sagen, welche Schmerzen mein Innerstes zerreißen? Habe Erbarmen mit mir, mein Freund,“ fuhr sie fort, indem sie an ihm niederglitt, „komm mir zu Hülfe, errathe meine Verzweiflung, meine Schuld! – ja, meine Schuld, denn ich habe Dir die Treue gebrochen, und mein Herz und mein Schwur gehört einem Andern!“

Unfähig weiter zu sprechen, begrub Emilie ihr zuckendes Gesicht in beide Hände. Werner hob sie auf und zog sie an sein Herz. Stumm beugte er sich über sie, und langsame, glühende Tropfen fielen über sein erbleichtes Gesicht auf ihre geschlossenen Augenlider. Endlich sagte er mühsam: „Wer?“

„Eduard Welly,“ war die tonlose Antwort.

Er sah sie lange an und sagte tief bewegt: „Armes Kind, so hat all meine Liebe Dich doch nicht schützen können! Aber Dein Vertrauen spricht Dich heilig vor mir, es sagt mir, daß Du Muth hast, daß Du den Kampf bestehen wirst. Die Hülfe, die Du bei mir suchst, soll Dir werden! Du sollst nicht vergehen an verheimlichten Thränen, ich werde Dich weit hinwegführen, werde Dich mit der Zärtlichkeit eines Vaters behüten; Du wirst leiden, aber nicht allein und nicht ohne Trost!“

„Nein,“ unterbrach ihn Emilie, „nein, nicht diese Zukunft für mich, für uns Beide. Hast Du nicht gehört, nicht verstanden, daß ihm nicht allein mein Herz gehört, sondern auch mein Wort und meine Zukunft? Du bist gut gegen mich wie ein Engel Gottes, darum verdamme mich nicht, wenn ich Unerhörtes von Dir fordere – gieb mich frei! Ich kann Dir nichts mehr sein, kann Dir Deine unerschütterliche Zärtlichkeit nur mit Schmerzen lohnen, ich habe ja gerungen gegen diese fürchterliche Liebe mit allen Kräften meiner Seele, umsonst, umsonst! Laß mich frei, oder Du richtest mich zu Grunde!“

„Nein, Emilie, nein!“ erwiderte Werner erschüttert, aber mit tiefem Ernst. „Nicht um meinetwillen beschwöre ich Dich, von dieser Forderung abzulassen – für mich hat das Leben nun doch keine Blüthen mehr. Aber Du! Unterliege diesem Sturm nicht, wenn er Dich auch noch so tief beugt, rette Dir Deine Zukunft! Ich sage Dir nichts über Welly, Du liebst ihn, es würde unnütz sein. Aber wenn er Dich überwachte, wie eine Mutter ihr Kind, so kann doch Niemand auf Erden Dich vor dem Urtheil der Welt, und ach! verzeihe was ich Dir sagen muß, vor den Vorwürfen Deines eigenen Herzens erretten. Du, so stolz, so rein, wie würdest Du es tragen, alle Welt mit spöttischen Worten über das Heiligthum Deines Herzens verhandeln zu sehen, und allein zu stehen jeder Verleumdung gegenüber? denn es wird lange dauern, bis er ein Recht erhält Dich zu beschützen. Um Deine Zukunft zu retten, will ich gern auf Alles verzichten, Du sollst die Freiheit, die Du suchst, bei mir, an meiner Seite finden. Du kannst von mir keinen Vorwurf fürchten, verzichte nur auf ihn, auf diese Hoffnung, die Dir jetzt ein Ersatz für alle Schmerzen scheint, die aber tausend neue in ihrem Schooße trägt. Bleibe bei mir, meine Emilie, mein Kind! Denke, ich sei Dein Vater, dessen einziger Gedanke, dessen einziger Wunsch Dein Glück ist. Um Deines besseren Selbst willen glaube mir, höre mich, bleibe bei mir!“

Emilie weinte heftig. „Schone mich!“ rief sie außer sich, „ich kann, ich darf nicht. Wie Du an mich denkst, so denke ich an ihn! Die Schmerzen, die Du für mich fürchtest, die fürchte ich tausendfach für ihn – o treibe mich nicht dazu, daß ich Dir sage, was es heißt, meine Liebe zu Welly, daß ich Dir sage, wie Dein Edelmuth mir zum Fluch wird, wenn Du mein Flehen nicht erhörst! Merke wohl auf!“ fuhr sie fort, indem sie ganz nahe zu Werner trat und ihre glühende Hand auf die seinige legte, „höre mich und begreife, daß ich bis zum letzten Hauche meines Lebens nicht anders fühlen werde als in dieser Stunde. Ich habe sechs Tage lang Tag und Nacht mit meinem Herzen gerungen, habe ihn, den ich liebe, mit erheuchelter Kälte zur Verzweiflung gebracht. Ich habe gebetet und geweint, und Alles hat nur immer neue Gluth in meinem Herzen aufgehäuft, und als eines Tages mein Gefühl stärker war als mein Wille, und er erfuhr, wie es in mir stand, – selbst da noch wollte ich die Hoffnung festhalten, mich von dieser Liebe zu befreien.

Aber jetzt ist es vorüber. Seitdem habe ich ihn angehört, und wenn seine Worte Gift waren, so haben sie mich zum Leben getroffen – ich kann nicht mehr vergessen! Wenn Du mich nicht frei geben willst, so sei Dein die Verantwortung, Dein die Schuld! Wenn ich leben könnte, ohne Tag und Nacht an ihn zu denken: glaubst Du, ich wäre zu Dir gekommen, um alle Wunden meines Herzens in das Deinige zu drücken? Glaubst Du, ich fühle es nicht, welches Verbrechen es ist, Dir zu sagen, was ich Dir gesagt, von Dir zu begehren, was ich begehrt habe? Bei aller Liebe, die Du mir bewiesen, bei Allem, was Dir heilig ist, beschwöre ich Dich: laß mich frei!“

„Nun denn – es sei!“ rief Werner, kaum seiner selbst mehr mächtig, „und Gott erbarme sich Deiner!“

Emilie machte einen Schritt gegen ihn hin, als sie aber das Auge zu seinem veränderten, verstörten Gesicht erhob, entrang sich ihrer Brust ein dumpfer Schrei, sie wandte sich um und floh in ihr Schlafzimmer.

Am nächsten Morgen verließen Herr und Frau von Werner das Landgut ihrer gastfreundlichen Wirthin. Emilie war körperlich so angegriffen, daß Werner alle seine Sorgfalt aufbot, um jede neue Aufregung von ihr fern zu halten, und während der Reise mit keinem Wort auf das Vorgefallene hindeutete. Seine Besorgnisse waren auch nicht ungegründet; kaum langten sie in Berlin an, so warf ein heftiges Gehirnfieber Emilie auf das Krankenlager und brachte sie dem Tode nahe.

Unter tausend widerstreitenden Qualen saß der unglückliche Mann am Bette seiner Frau und horchte auf die wilden Fieberphantasien, die regellos diesem schönen Munde entflohen – ach! einen Zusammenhang hatten sie doch, Welly’s Name kehrte immer und immer in den Bildern wieder, die ihr aus den Fugen gerüttelter Geist ihr vormalte.

Einmal hatte Welly, von unerträglicher Angst getrieben, einen Versuch gemacht, bis zu Werner vorzudringen, um zu erfahren, wie es um die Kranke stehe. Die Aufregung, die Emiliens Gatten erfaßte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_114.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)