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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Das Leben einer Frau.

Von R. Godin
(Fortsetzung.)


Welly sah von seinem Fenster aus Emiliens leichte Gestalt über die steinerne Brücke schweben und dann den abschüssigen Fußweg einschlagen, der von der Mühle aus in eine enge Thalschlucht hinabführte. Von abenteuerlichen Gruppirungen des Sandsteinfelsens eingefaßt, mit einem Teppich von üppigem Grün bekleidet, schien diese Stätte so still, so heimlich und entfernt von aller Welt, daß man dort die Nähe menschlicher Wohnungen kaum vermuthet hätte. Mit einem raschen Entschluß sprang Eduard auf und verließ das Haus. Mit der Gegend durch seine häufigen Streifereien genau bekannt, gelang es ihm leicht, einen Spaziergang, den er vom Schlößchen aus in entgegengesetzter Richtung einschlug, durch Umwege nach der Mühle zu wenden, und bald hatte er Emiliens Asyl aufgefunden.

Als er sie zuerst erblickte, bannten mächtige Empfindungen seinen Fuß für einen Augenblick, und mit klopfendem Herzen richtete er seinen Blick auf sie.

Die junge Frau kniete mehr, als sie saß, auf einer leichten, mit Moos überkleideten Erhöhung des Bodens. Dicht vor ihr öffnete sich in einem natürlichen, durch zwei ineinander zweigende Bäume gebildeten Rahmen ein herrliches Panorama der fernen Ebene mit ihren farbenreichen Bildern und freundlichen Ortschaften.

Aber obgleich die aufgeschlagene Mappe auf Emiliens Knieen und der Griffel in ihrer Hand ruhte, war doch ihr Auge dem reichen Bilde, das sich vor ihr ausbreitete, nicht zugewendet. Sie sah lieblicher aus als je. Ihr Kleid von blaßblauem Mousselin hob die schlanken graziösen Formen ihrer Gestalt weich hervor und harmonirte mit der frischen Weiße ihres Teints und ihren glänzend schwarzen Haaren. Ihr Strohhut lag neben ihr, der wellige Scheitel beschattete ihr Gesicht nicht so sehr, um die träumerische Schwermuth der zarten Züge zu verdecken, die dort zu lesen war.

Das Bewußtsein, daß dieses holde Wesen ihm seine Liebe geschenkt hatte, überfluthete in diesem Augenblick Welly’s Herz mit einem solchen Triumph, daß er sich in den Himmel erhoben fühlte.

Rasch eilte er vorwärts. Das Geräusch seiner Schritte weckte sie aus ihrer Träumerei, sie wandte den Kopf und hohe Röthe übergoß ihr schönes Gesicht. Ihre erste Bewegung war, sich zu entfernen, plötzlich aber hielt sie an und erwartete Welly, während die Gluth ihrer Wangen einer tiefen Blässe Platz machte. Er trat zu ihr, faßte ihre beide Hände in die seinigen und sagte mit bebender Stimme: „Nein, Emilie, jetzt dürfen Sie nicht mehr vor mir fliehen! Ich komme zu Ihnen mit einem Vertrauen, das Sie nicht täuschen werden. Das Glück, das Sie mir gestern gegeben, bedarf keiner Bestätigung mehr. Ich weiß, ich fühle es, Sie werden nicht widerrufen. Du mein Engel,“ fuhr er mit ausbrechender Gluth fort, sprich es aus, daß Du mein bist, daß Dein Leben mir gehört, wie diese Stunde!“

Emilie sah ihm lange schweigend in’s Auge, endlich sagte sie zitternd, aber mit fester Stimme: „Nein, ich widerrufe nicht! Meine Liebe ist eine Wahrheit, die ich nie wieder verleugnen werde. Ich habe mit Allem abgeschlossen, was mir bis hierher lieb und theuer war, habe alle Besitzthümer meines Lebens von mir abgestreift, um mir zu sagen, daß Ihre Liebe mir höher steht als Alles; deshalb giebt es auch nun für mich nichts mehr auf der Welt als diese Liebe. Nicht wahr, Eduard, Sie verstehen mich,“ fuhr sie fort, indem sie ihre feine Hand auf seinen Arm legte, „nicht wahr, Sie begreifen, daß ich ihn verlassen, daß ich frei werden muß? Und wenn dann auch das Leben immer trennend zwischen uns stehen sollte, so kann ich dennoch ganz und ungetheilt Ihnen angehören, jeder Gedanke für Sie, jede Thräne für Sie, nichts, nicht einmal meine Gegenwart für einen Andern!“

„So viel Liebe mein!“ flüsterte Welly. „Alles willst Du hingeben, mein Engel, um nur mir zu gehören! Aber sei getrost – mein Leben hat fortan nur einen Zweck, Deiner werth zu sein, Dich einst mein zu nennen vor Gott und der Welt. Du willst um meinetwillen einen schweren Weg gehen; was Du schon gelitten hast, was Du noch leiden wirst, kann meine Begeisterung für Dich nicht erhöhen, aber Deine Thränen sollen sich Dir einst in tausend Blumen des Glücks verwandeln, baue nur fest auf meine Liebe, meine Treue.“

„Wenn ich daran nicht glaubte wie an Gottes Verheißungen, so wäre ich verloren!“ sagte Emilie erbleichend. „Sie wissen nicht, was in mir vorgegangen ist bis gestern – seit gestern. Die Erinnerung an diese Stunde mag mein Beistand sein, wenn ich erbebe unter der Aufgabe, die mich erwartet. Gott erbarme sich meiner, wenn ich ihm sagen werde – aber es muß bald geschehen! Ich verlasse Sie jetzt, mein Freund; wenn wir uns wiedersehen, ist meine Zukunft entschieden, mein Urtheil gesprochen. Hüllen Sie mich ein mit Gedanken Ihrer Liebe, sie ist meine einzige Stütze.“

Sie schieden. Als Emilie zurückgekehrt war, schloß sie sich unter dem Vorwande eines Unwohlseins vor Jedermann ein. Ihr Entschluß stand fest, noch diesen Abend die Entscheidung über ihr Schicksal herbeizuführen, denn sie ertrug den Gedanken, nach der heutigen Zusammenkunft mit Welly ihrem Manne unter die Augen zu treten, nur dann, wenn sie sich gelobte, daß er Alles wissen sollte. Die Abendstunde nahte. Jeden Augenblick war Herr von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_113.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)