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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

sondern schützt und verehrt ihn sogar, je nach der Culturstufe, auf der er sich befindet, ohne Rücksicht auf die sonstigen moralischen Eigenschaften, die man dem Bundesgenossen etwa zuschreiben könnte. Ist der Ibis, den die alten Aegypter verehrten, oder der Storch und die Schwalbe, die wir in Deutschland und der Schweiz schützen, sind diese nützlichen Thiere, die sich nur von anderen lebenden Thieren nähren, etwa weniger grausam, als der Hühner- und Taubenhabicht, die wir in jeder Weise verfolgen?

Ich beschränke also den Gegenstand dieser Vorlesungen durchaus auf die dem Menschen nützlichen und schädlichen Thiere; aber auch hier muß ich den Stoff, der über die Kürze der zugemessenen Zeit weit hinaus gehen würde, noch weit enger umgrenzen. Ich schließe die Schmarotzerthiere des Menschen, sowie die sämmtlichen Hausthiere aus; ich beschäftige mich nicht mit den jagdbaren Thieren; ich überlasse diejenigen Bestien, welche im Walde hauptsächlich ihr Wesen treiben, den Forstmännern, welche ihr Beruf zwingt, sich damit abzugeben. Ich fasse hauptsächlich nur diejenigen Thiere in das Ange, die für Feld- und Gartenwirthschaft im weitesten Sinne Interesse haben.

Selbst in so enge Grenzen eingeschlossen, ist der Gegenstand noch außerordentlich weitschichtig und erlaubt nur mehr aphoristische und willkürliche Behandlung. Es ist unmöglich, in dem Raume weniger Vorlesungen alle großen und kleinen Freunde und Feinde der Landwirthschaft auch nur zu nennen und kurz zu charakterisiren. Ich bin also genöthigt, eine Auswahl zu treffen, welche mir, auch abgesehen von den speciellen Verhältnissen unserer Umgegend, noch wesentlich durch einige besondere Betrachtungen aufgenöthigt wird.

Es geht in der Thierwelt wie in der menschlichen Gesellschaft: es giebt Thiere, welche besser sind, als ihr Ruf; es giebt andere, welche mit Unrecht geschätzt und geschützt werden und die Pflege oder Schonung nicht verdienen, welche der Mensch ihnen angedeihen läßt. Ich werde ganz besonders auf die verleumdeten Thiere Rücksicht nehmen, welchen ihr geheimnißvolles nächtliches Treiben, ihre häßliche Gestalt, ihr unangenehmer Geruch oder selbst die Fortspinnung alter, aus anderen Ländern und von anderen Arten übertragener Legenden und Sagen grundlosen Abscheu und unberechtigte Verfolgung zugezogen hat. Ich werde nicht minder das Vorurtheil des Guten zu zerstören suchen, das andere Thiere unverdienter Weise sich zu erwerben das Glück hatten. Trotz aller Belehrungen, die seit Jahrzehnten ausgestreut wurden, ist hier dennoch stets fort ein reiches Feld für denjenigen, der sich bemüht, die Thatsachen, welche die Wissenschaft beobachtet hat, in das Volksbewußtsein überzuführen.

Es gilt mir mehr darum, die Selbstbeobachtung zu wecken, als Beobachtetes mitzutheilen. Wer einmal den eigenthümlichen Reiz kennen gelernt hat, welchen Beobachtungen über das Leben und Weben der kleinen Geschöpfe gewähren, die im Feld und Garten sich umhertreiben, der wird nicht leicht von solcher Beschäftigung sich wieder abwenden, wenn sie gleich schwierig und zeitraubend ist. Geduld ist hier die erste Eigenschaft, mit welcher sich der Beobachter waffnen muß; Geduld, um stundenlang regungslos in glühender Sonnenhitze dem rastlosen Treiben eines unmherschwirrenden Insectes zu lauschen; Geduld, um ein Käferchen, das sein Ei in die Schosse einer Pflanze unterzubringen sucht, bei der Beobachtung mit der Lupe nicht zu stören; Geduld und kritische Sichtung des Beobachteten, das durch Vernachlässigung scheinbar geringfügiger Nebenumstände zu einem der Wirklichkeit gerade entgegengesetzten Resultate führen kann.

Die größte Gewissenhaftigkeit des Beobachters kann selbst solche Fehler nicht verhindern, die aus der mangelhaften Kenntniß der Naturgeschichte hervorgehn. Ein eifriger Landwirth findet an gewissen Gartengewächsen, die ihm lieb sind, Auswüchse und Knollen, die von Larven und Würmchen bewohnt sind. Um das Uebel in seinem ganzen Umfange kennen zu lernen, pflegt er seine Knollen sorgfältig bis zur Verpuppung der Würmchen und hat endlich die Freude, ein herrliches, goldschimmerndes Wespchen aus diesen Puppen zu erzielen. Welcher Schluß ist gerechtfertigter, als der, daß dieses Wespchen es gewesen sein müsse, welches durch seinen Stich den Auswuchs erzeugt und in das Innere desselben seine zu Würmchen und Püppchen entwickelten Eier abgelegt habe? Und dennoch ist dieser Schluß durchaus falsch in dem speciellen Falle. Das erzogene Wespchen gehört in die Gattung der Schlupfwespen, welche ihre Eier in die Eier und Larven anderer Insecten legen, damit sie sich auf deren Kosten schmarotzend ernähren. Die Mutter des erzogenen Wespchens hat mittelst ihres langen Legestachels, von unserem Beobachter unbemerkt, nicht nur den von einer wirklichen Gallwespe erzeugten Auswuchs, sondern auch die darin lebende Larve des rechtmäßigen Besitzers angebohrt, in die sie ihr Ei gelegt, und so ihre Nachkommen statt derjenigen der Gallwespe zur Entwicklung gebracht.

Darf man sich bei solchen nur allzu häufig unterlaufenden Verwicklungen noch wundern, wenn selbst die Lebensgeschichte ganz gewöhnlich vorkommender Insecten, die durch ihre Verwüstungen bedeutenden Schaden anrichten, nur unzureichend gekannt ist, und wenn aus dieser Unkenntniß als nothwendige Folge für den Menschen die Ohnmacht hervorgeht, diesen Feind zu bekämpfen? Von hundert und aber hundert Arten kennt man hier nur die Larve, dort nur das vollkommene Insect oder selbst nur eines der verschieden gestalteten Geschlechter. Die Lebensbedingungen der meisten Arten in diesem oder jenem Zustande ihrer Verwandlung sind durchaus nur unvollständig gekannt. Von dem gemeinsten unserer kleinen Feinde, dem Maikäfer, weiß man an dem heutigen Tage noch nicht mit vollständiger Gewißheit, ob der ganze Umlauf seines Lebens eine Periode von drei oder vier Jahren umfaßt, oder ob er in der republikanischen Schweiz ein Jahr früher zur Reife und Zeugungsthätigkeit gelangt, als in dem monarchischen Deutschland, wo seine Entwicklung unter hoher obrigkeitlicher Vormundschaft vielleicht längerer Zeit bedarf.

Sie sehen also, es ist noch viel zu thun auf diesem Gebiete, und jeder Einzelne, der ein Stückchen Feld oder Garten begehen kann oder auch nur einige bescheidene Topfgewächse an seinem Fenster cultivirt, ist im Stande, wenn er nur Zeit und Mühe daran wenden will, seinen Beitrag zur Bereicherung der Wissenschaft zu liefern.

Ich habe für meine Vorträge die Reihenfolge der zoologischen Classification gewählt und setze die bekanntesten Thatsachen derselben auch in der That als bekannt voraus, indem es bei dem beschränkten Raume, der mir zugemessen ist, unmöglich wäre, in die naturgeschichtlichen Einzelnheiten einzugehen, welche ja ohnedem in jedem Handbuche zu finden sind. Indem aber das natürliche System, auf die Gesammtorganisation gegründet, diejenigen Thiere als verwandte zusammenstellt, welche die größte Summe von Eigenthümlichkeiten mit einander gemein haben, nähert es auch nothwendiger Weise diejenigen Thiere, deren Leben und Treiben in seinen allgemeinen Zügen mit einander übereinkommt. Denn dieses Leben ist ja nur ein Resultat der gesammten Organisation, nur der Ausdruck derselben in der Ausübung der verschiedenen Thätigkeiten. Was also in den Einzelheiten des Körperbau’s mit einander übereinstimmt, muß auch nothwendiger Weise übereinstimmende Lebensweise und gemeinsame Züge der geistigen Functionen besitzen. Ich gestehe zu, daß es für Manchen vielleicht angenehmer wäre, den Stoff vielleicht nach den verschiedenen Pflanzen, die man cultivirt, oder nach besonderen vorstechenden Gewohnheiten der Thiere vertheilt zu sehen. Allein dieser Eintheilung stellen sich um so mehr Schwierigkeiten entgegen, als einerseits sehr verschiedene Thierarten auf einer und derselben Pflanze hausen können und wiederum dieselbe Thierart einen höchst mannigfaltigen Wirkungskreis besitzen kann. Die Werre und der Engerling nagen alle Pflanzenwurzeln ohne Unterschied an, und die deutsche Eiche, dieser knorrige Sumpfbaum, hat mehr Schmarotzer, als alle übrigen Gewächse unserer Zone zusammengenommen.

Ich werde nur wenig von den zahlreichen Vorbeugungs- und Vertilgungsmitteln reden, mit welchen häufig ein unbegreiflicher Köhlerglaube die Welt beglückt hat. Kennt man die Thiere und die Eigenthümlichkeiten ihres Lebens einmal genau bis in die kleinsten Einzelheiten, so ergeben sich die Vertilgungs- und Pfegemittel gegen Feinde und für Freunde bei einigem Nachdenken ganz von selbst. Kennt man dieselben nicht, so wird man stets mit der Stange im Nebel herumfahren und bester thun, sich zu resigniren, als ungeschickte Mittel anzuwenden. Es ist unglaublich, wieviel in dieser Hinsicht schon gesündigt wurde und noch täglich gesündigt wird. Man wird einen Landwirth, der Maulwurfsfallen an den Aesten der Bäume befestigte, in der Hoffnung, daß die Maulwürfe dem dort aufgehängten Köder nachfliegen würden, unbedenklich für einen Narren erklären. Aber man macht mit großem Ernste den Vorschlag, die Erdflöhe dadurch von den jungen Saaten abzuhalten, daß man die Beete mitten in Grasplätzen anlegt, in welchen

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