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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

in jeder Blumenknospe ein kleines Elfenkind, das webte den Blüthenkelch aus seinen langen, seidigen Haaren, von seinen Wangen giebt es ihm die Farbe, und Glanz und Schmelz von seinen Augen, und wenn es so die Blume aus sich selbst herausgebaut hat, dann weht es ihr mit seinem Athem ihren süßen Duft zu. Wenn aber die Blume welkt, dann ist es der Elfe, der das Köpfchen senkt. Ich konnte dies Märchen nie vergessen, und so oft ich eine Blume breche, sehe ich das kleine Feenkind darin ersterben.“

„Ah, meine gnädige Frau, Sie schwärmen!“ rief Herr von Welly mit einem seltsamen Lächeln. „Wer ließe sich träumen, daß Sie dem Zauberspuk Ihrer Lieblinge so ganz entgangen sind und noch genug von Ihrem Herzen übrig behalten haben, um die Leiden der Blumen mitzufühlen!“ Der höhnische Zug, der ihm eigen war, glitt bei diesen Worten über sein Gesicht, und sein sprechendes Auge traf Emilien mit einem Blick voll Aufregung. Sie wandte sich erbleichend ab und trat an das Fenster.

„Nun, sehen Sie, Herr von Welly, da haben Sie meine Frau böse gemacht,“ sagte Emiliens Gemahl, Herr von Werner, scherzend. „Schnell eilen Sie, sich Vergebung zu erbitten, sonst giebt es einen Friedensbruch in unserm kleinen Hofcirkel, und das würde unsere Königin und Hausfrau nicht gestatten,“ fügte er mit einer Verneigung gegen sein vis-à-vis hinzu.

Welly folgte Emilien in die Fensternische. Ohne ihre Stellung zu verändern, fühlte sie seine Nähe; sie bebte an allen Gliedern, und als seine brennenden Blicke auf ihrem Gesicht ruhten, hob eine magnetische Gewalt ihre Augen zu den seinigen empor. Eine flehentliche Bitte um Schweigen lag in diesen großen, bescheidenen Augen, aber Welly wollte sie nicht verstehen.

„Emilie,“ sagte er in gedämpftem Tone, „wollen Sie mich zur Verzweiflung treiben?“

Sie blieb stumm, während ihr Blick mit einem fast irren Ausdruck auf ihn geheftet war.

„Nun, kaltes Herz,“ sprach er mit Bitterkeit, „so wiederholen Sie denn Ihre früheren Worte, heißen Sie mich gehen, Sie niemals wiedersehn – diesmal werde ich Ihnen gehorchen.“

„Nein,“ erwiderte die junge Frau, während ihre Hand zuckte und ihre Wange todtenbleich ward, „nein, denn ich will und kann Sie nicht verlieren!“

Mit einer stürmischen Bewegung von Glück und Triumph beugte er sich, um seine Lippen auf ihre Hand zu drücken, in diesem Augenblicke ließ sie das Fensterbret los und sank besinnungslos zur Erde.


Die älteste Tochter einer vornehmen, aber mittellosen Familie, war Emilie in ihrem sechzehnten Jahre, zwar ohne Zwang, aber nicht ohne Widerstreben die Frau eines ältlichen Mannes geworden. Einfach erzogen und von ernster Gemüthsrichtung, war ihre Phantasie noch nicht mit selbstgeschaffenen Träumen angefüllt, und sie trug Herrn von Werner, einem bewährten Freunde ihres Vaters, herzliches Vertrauen, selbst Zuneigung entgegen; dennoch fühlte sie, als sie ihr Jawort gab, daß sie damit Vielem entsagte, und die Stimmung, womit sie das elterliche Haus verließ, war keine freudige. Bald aber sollte sie ihr neues Leben lieb gewinnen. Die herzliche Zuvorkommenheit ihres Mannes verschönerte ihre Tage durch viele angenehme Stunden, das Bewußtsein, ihm sein Haus zum angenehmsten Aufenthalt gemacht zu haben, that ihr wohl, sein gebildeter Geist entwickelte den ihren, und sein unbeschränktes Vertrauen gab ihr Zuversicht zum Leben überhaupt. Nur vermißte sie zuweilen mit einem Gefühl von Unbefriedigung bei ihm die Theilnahme für manche Dinge, die einen Theil ihrer inneren Existenz ausmachten – vermißte eben unbewußt die Jugend mit ihrem lebhaften Gefühl, mit ihren süßen Uebertreibungen. Klar, wie ein Thautropfen, lag ihr ganzes Sein und Wesen immer vor dem Auge ihres Gatten, der in ihr den Schmuck seines Lebens sah, ohne jemals ihr und der Welt gegenüber aus der ruhigen Haltung zu kommen, die dem älteren Manne an der Seite einer jungen und schönen Frau so wohl ansteht.

Auf diese Weise waren sechs Jahre vergangen, als diese harmonische Existenz durch einen mächtigen Sturm bedroht ward. Emilie lernte Herrn von Welly kennen, und von dieser Zeit an wich der Friede aus ihrer Seele. Eduard von Welly war einer jener Menschen, denen oft zu begegnen eine gefährliche Sache für eine Frau ist, deren Herz nicht die Liebe zum Wächter hat. Ohne Rang und Vermögen hatte ihm doch seine anziehende Persönlichkeit, sein glänzender Geist und eine unübertreffliche Art sich zu benehmen in der geselligen Welt eine oft beneidete Stellung erworben. Verwöhnt, gesucht, umhuldigt wie eine schöne Frau, hatte ihn dennoch sein scharfer Verstand vor der Klippe lächerlichen Uebermuthes bewahrt, und obgleich der Strudel seines äußerlichen Lebens seine Tage ausfüllte, so war er durch dasselbe keineswegs befriedigt. Eine glühende, wandernde Phantasie, ein schwärmerischer Enthusiasmus, den er vor Aller Augen verbarg wie eine Lächerlichkeit, im Innern seines Herzens aber hegte und pflegte wie ein Paradies, fanden nirgends hinreichenden Stoff. Trotz mancher galanten Verbindungen war sein Herz nie ausgefüllt worden, und er war sich bewußt, in dessen Tiefe Schätze zu tragen, die kein Ungeweihter zu heben fähig war.

Emilie weckte zum ersten Male diese schlummernden Mächte in ihrer ganzen Kraft und Gluth. Sobald er sie sah, liebte er sie. Die klare Lauterkeit, die ihr ganzes Wesen umgab, die ruhige, anmuthige Heiterkeit, die einen Hauptzug ihrer Erscheinung ausmachte, gaben ihm ein süßes Gefühl von Glück und Befriedigung, so oft er in ihrer Nähe war. In der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft ruhte er in dieser wonnigen Empfindung aus wie ein Kind am Busen der Mutter, und forderte vom Leben und von Emilien nichts weiter, als häufig um sie zu sein. Bald aber wurde dies stille Gefühl durch eine Leidenschaft verdrängt, die durch keine Schranke gehemmt ward, selbst nicht durch das Bewußtsein, Emiliens Glück für immer zu untergraben.

Während der ersten Monate ihrer Bekanntschaft, wo Welly sich Emilien mit achtungsvoller Auszeichnung genähert hatte, wo weder Blick noch Wort, man könnte sagen, kein Gedanke seines Herzens ihr Bangigkeit einflößen konnte, überließ sie sich dem Zauber seiner Unterhaltung mit sorglosem Vergnügen. Zwar empfand sie von Anfang an ihm gegenüber eine instinctartige Scheu und Zurückhaltung, die einem weniger arglosen Herzen wohl eine Ahnung von Gefahr hätte geben können. Ihre Gedanken waren aber so entfernt von jedem Unrecht, die letzten Jahre, während welcher mancher vergebliche Versuch gemacht worden war, ihr Herz zu gewinnen, hatten ihr eine solche Sicherheit gegeben, daß sie voll Zuversicht auf ihr eigenes Gefühl geworden war. Ach, sie hatte vergessen, daß das Herz jenem alten Märchen gleicht, wo eine Prinzessin den tausendjährigen Schlaf schlafen muß, bis der Ritter mit der Springwurzel kömmt, die Pforte zu sprengen und sie zu erlösen. Gar Viele kommen gezogen mit dem Glauben zu siegen und finden sich getäuscht. Da endlich erscheint aber der Rechte, der den Zauber besitzt, vor dem die Thüren sich öffnen und der des Schlosses Schätze und der Prinzessin Hand gewinnt. Dies goldne Schloß, was ist es anders als das Herz mit seinen reichen Schätzen, und die Prinzessin drinnen ist die Liebe! Gar Mancher kann an die goldnen Pforten klopfen, fehlt ihm aber der Zauberspruch, der sie öffnet, so zieht er unbefriedigt heim. Aber wenn der rechte Ritter kommt, wenn seine Stimme ruft: Wach’ auf, um mir zu gehören! dann vermögen die alten süßen Wiegenlieder von Ruhe und Glück das erwachte Herz nicht mehr einzuschläfern.

Als Eduard Welly das erste Wort der Leidenschaft vor Emilie aussprach, taumelte sie vor sich selbst zurück, wie vor einem Abgrunde. Ach, Alles, was in ihr schlief, war vor dem Zauber dieser klangvollen Stimme schon längst erwacht, ohne daß sie es wußte, und als er ihr sagte, daß er sie liebte, fühlte sie an dem brennenden Entzücken, das sie umfaßte, welche Riesenschritte sie schon auf dem Wege der Leidenschaft zurückgelegt hatte, doch noch fand sie Kraft genug, ihm nicht zu zeigen, was in ihr vorging. Mit zitternden Lippen und fliegender Farbe, aber mit ernsten Worten hieß sie ihn gehen und nie wagen, ihr solche Worte zu wiederholen.

Er wagte es aber doch. So muthig sie sich zu beherrschen strebte, war ihm doch ihre Aufregung nicht entgangen. All ihre erzwungene Heiterkeit konnte die Blässe ihrer Wangen, die Müdigkeit ihrer Augen nicht verstecken, als sie ihm wieder begegnete. Er fühlte, er wußte, daß er geliebt ward.

Der Anblick dieser zarten Blume, die eben noch so hold geblüht und Jedermann mit den Düften ihres süßen Wesens erfreut hatte, und die nun wie gebrochen schien, hätte ein großmüthiges Herz zur Entsagung bestimmen müssen. Aber Eduard von Welly trug in sich ein Gegengewicht für all seine glänzende Liebenswürdigkeit, das um so furchtbarer war, als er die Geschicklichkeit besaß,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_098.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)