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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)


ein besonderes Glück: die Garibaldi-Knallbüchse, die den quiekenden Ballon-Tamberlick mit Heidenknall verdrängt hat und als „Freude der Kinder, Ruhe der Familien!“ (sic) von den ambulanten Händlern ausgeschrieen wird, und eine große Puppe, die den kaiserlichen Prinzen als kleinen Grenadier mit einer Bärmütze und dem Großkreuze der Ehrenlegion darstellt. Eine neue Art von Propaganda für den Patriotismus. Die zeitgemäßen Umstände haben an einem dritten Spielzeug eine abermalige Metamorphose vorgenommen: es ist dies ein dicker, wohlgenährter Zuave, der, wenn man an einem Schnürchen zieht, zufrieden lächelnd einen elenden, grämlichen Mandarin, der vor ihm kniet, mit Sack und Pack verschlingt. Heuer ist es ein Chinese, im vorigen Jahre war es ein Oesterreicher, 1855 ein Russe, im nächsten Frühling wird es vielleicht ein Landsmann Arndt’s sein!

Gelegenheit macht Diebe! Daß es bei diesem Volksauflaufe, Gedränge und Gestoße nicht an ehrlichen Spitzbuben fehlt, ist offenbar. Das Haus Giroux allein, das bedeutendste Spielwaarenlager in Paris, schätzt die rechtlichen Entwendungen im Monat December auf 20,000 Franken Verlust.

Die dritte Kategorie der Geschenke bilden die Trinkgelder. Der Hausmeister, der uns im Regen und Schnee eine halbe Stunde vergeblich hat läuten lassen; der Tambour der Nationalgarde, der uns mit seiner Trommel das Trommelfell gesprengt; der Briefträger, der unsere recommandirten Briefe acht Tage im Sack herumgeschleppt hat; der Kellner im Café, der unsere mühsam culottirte Pfeife zerbrochen; der beim Restauranten, der die Suppe über unsere funkelnagelneuen, noch nicht bezahlten Beinkleider gegossen; der Barbiergehülfe, der, wie Jean Paul sagt, „sein Andenken in unsere Backen, wie in eine Birkenrinde geschnitten“ etc., kurz alle diejenigen, die wir 364 Tage gut bezahlt haben, um uns schlecht zu bedienen, verlangen am ersten Lage des jungen Jahres eine außergewöhnliche Gratification zur Aufmunterung und Besserung. Die Gesammtausgabe dieser Trinkgelder ist für den einfachsten, bedürfnißlosesten jungen Mann eine Börsenerleichterung von wenigstens 40–50 Franken. Ueberschreitet man die Grenze der äußersten Bescheidenheit um eine Spanne breit, so verdreifacht sich dieser Posten.

Leuten, denen man keine persönliche Neujahrsvisite schuldig ist, bringt man nur eine Visitenkarte; steht man ihnen noch ferner, so kann man dieselbe unter Enveloppe per Stadtpost befördern lassen. Nur verlangt der gute Ton, das Couvert mit der grünen Freimarke von einem Sou zu versehen. –

P. L.




Der Rabe von St. Jakob. Nach der mündlichen Mittheilung eines sehr hochbetagten Herrn, des quiescirten Patrimonialrichters Forster, besaßen vor etwa zwanzig Jahren die Benedictiner des Schottenklosters zu St. Jakob in Regensburg einen gezähmten Raben, der einige Worte nachsprechen konnte. Dieser Vogel war der Liebling des ganzen Klosters. Im Winter war sein gewöhnlicher Platz vor dem Empfangzimmer oder auch in diesem, im Sommer dagegen im Garten bei der Kegelbahn. Am deutlichsten pflegte der Rabe, wenn ein Fremder in’s Kloster trat, zu rufen: „Pater Joseph, Pater Joseph!“ oder auch: „Was willst Du?“ Da geschah es eines Abends, das ein befreundeter Gutsbesitzer, der einen Hühnerhund bei sich hatte, durch die Gartenthür bei der Kegelbahn eintrat. Bevor noch die freundlichen Klosterbruder die Anwesenheit des Hundes bemerkten, hatte dieser den Raben schon jagdgerecht gestellt. Indem der Rabe sich widersetzte, that der Hühnerhund ein Gleiches, ohne ihn aus dem Auge zu verlieren. Die Klosterbrüder hatten Sorge, es möchte ihrem Lieblinge etwas widerfahren, und baten den Besucher, seinem Hunde zu rufen. Dieser aber entgegnete, es geschähe dem Raben sicherlich nichts. Da diese Fixirung in der Länge dem Raben nicht zusagte, so stand er endlich auf und ging dem Hunde entgegen, indem er plötzlich fragte: „Was willst Du?“ Mit einem Satz machte der Hühnerhund kehrt, schlich mit eingezogenem Schweife in einen Winkel des Gartens und war lange nicht zu bewegen, wieder hervorzukommen.

H. W.





Hans Sachs, das Vorbild der späteren Meistersänger, geboren am 5. November 1494 zu Nürnberg, dichtete sein erstes Meisterlied als Schuhmachergesell an seinem 20. Geburtslage auf der Wanderschaft zu München, sein letztes am Sylvesterabende des Jahres 1569 als ehrsamer Meister und „Rathsverwandter“ zu Nürnberg, hat also volle 55 Jahre lang den Pegasus geritten. Wie wacker er das Musenroß, das er am gedachten Sylvesterabende in den wohlverdienten Ruhestand versetzte (er selbst starb am 25. Januar 1576, im 82. Lebensjahre), getummelt, geht daraus hervor, daß er nicht weniger als 4275 Meisterlieder, 208 „traurige Tragedie“ und „fröhliche Comedias“ und 1565 „kurtzweilige Schwänke und Reimspiele“, in Summa also 6048 größere und kleinere poetische Piecen, fertigte. Mit dieser gewaltigen Productivität, die uns doppelt unbegreiflich ist, wenn wir bedenken, daß Hans Sachs während des größten Theiles seines Lebens neben dem Meistergesänge auch fleißig Pfriemen und Ahle handhabte, steht der Nürnberger Meister jedoch keinesweges vereinzelt da. Er ward an Productivität, wenn man nämlich nicht sowohl auf die Zahl, als aus das Volumen der Werke sieht, von Don Pedro Calderon de la Barca (geboren im Februar 1600 zu Madrid, gestorben daselbst am 25. Mai 1681) erreicht, und von dessen Landsmann und zum Theil Zeitgenossen Felix Lope de Bega (geboren 1562, gestorben 1635) noch übertroffen. Ersterer, dessen poetische Thätigkeit allerdings einen sechsundsechzigjährigen Zeitraum, vom 14. nämlich bis zum 80. Lebensjahre, umfaßt, schrieb 128 mehractige Dramen (zumeist Intriguenstücke und historische Schauspiele), größere Frohnleichnams-Stücke und Passionsspiele, etwa 200 Vorspiele und über 100 Divertissements; Lope de Bega aber, welcher etwa die gleiche Zeit wie Hans Sachs dichterisch thätig war, schrieb 2 große Epopöen, 5 mythologische Stücke, 4 große historische Gedichte, 8 Novellen in Prosa, an 1500 Comödien, mindesten 500 Autosacramentales, Loas, und Saynetes, ein großes komischen Heldengedicht, ein Dutzend größerer didaktischer und beschreibender Gedichte und eine Unzahl von Sonetten, Oden, Romanzen, Elegien und Episteln. Eine „beschränkte Auswahl“ seiner Werke, welche im letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts in Madrid erschienen, füllt einundzwanzig ziemlich starke Bände!

X.




Nicht unser Fürst!

Die Sykomore rauscht, ein blondgelockter Knabe
Mit leichtem Schritte rennt durch die Prairie,
Hell klingt sein Lied im Takt mit seinem muntern Trabe,
Im fernen West die deutsche Melodie:

5
„So weil die deutsche Zunge klingt,

Und Gott im Himmel Lieder singt – “
Aus vollem Herzen stimm’ ich ein:
„Das ganze Deutschland soll es sein!“

Nicht weit, an einer klaren Quelle, lehnt im Schatten

10
Ein Mann, nicht alt, doch schon gebleicht das Haar,

Zur Seit’ ein junges Weib, die Hand dem theuren Gatten,
Die treue Brust dem Säugling reichend dar.
Zu Füßen schlummert süß und mild
Ein Mägdlein noch, der Mutter Bild,

15
Zum Pfühl hat’s Nero’s Hals gemacht,

Der knurrend ob dem Liebling wacht.

Der Knabe naht – „ich bringe,“ ruft er, „frohe Kunde
Euch, Vater, Mutter, aus der Hafenstadt;
Der lang’ und heiß ersehnten Heimkehr sel’ge Stunde

20
Erscheint, les’t nur dies deutsche Zeitungsblatt.

Ein deutsches Fähnlein weht vom Mast,
Der trug die Botschaft, sonder Rast
Schon eilt, schon drängt man froh zum Strand,
Zur Fahrt in’s liebe Vaterland!

25
Das Aug’ des Mannes strahlt, er möcht’ die Welt umarmen.

Die Gattin schmiegt sich selig an sein Herz.
„So wär’s denn wahr? das Leid, das schwere, fand Erbarmen?
O Kinder, hört’s, vorbei ist aller Schmerz!
Vorbei die namenlose Pein,

30
Ohn’ Vaterland, ohn’ Heimath sein! –

O, reicher Segen, ström’ herab
Auf ihn, der solche Gnade gab!

Die Heimath winkt, schon hör’ ich ihre Eichen rauschen,
Seh’ Burgen, Dome, sehe Dorf und Heerd,

35
Den lieben alten Liedern werd’ ich wieder lauschen.

Die schon der Knabe einst so gern gehört!
Auch mancher Hügel wohl im Sand
Mich grüßt statt warmen Drucks der Hand. –
Und ich – das alte Herz bring’ ich,

40
Ob auch die dunkle Locke blich.“ –


Er nimmt das Blatt aus Sohneshand – es zuckt ein Beben,
Dem Auge langsam eine Thrän’ entrollt. -
Dann spricht er leis: „Ein and’rer Fürst ist’s, der vergeben,
Deß Herz, so groß als edel, nicht mehr grollt. –

45
Uns gilt dies nicht – ein Traum gar schön,

Ein Irrthum war’s, ein Mißversteh’n.
Geduld’ Dich, Herz, noch sollt’s nicht sein -
Ach, wann wird unser Fürst verzeihn?!“

Die Sykomore rauscht, sonst rings ein tiefes Schweigen,

50
Verstohlen rinnt manch’ Thränlein in den Sand,

Des Säuglings Augen nur ein holdes Lächeln zeigen,
Ihm ist der Mutter Schooß noch Vaterland,
Und was hat wohl der Mann verübt?
Sein Vaterland zu heiß geliebt,

55
Groß sollt’s und einig wieder sein.


„O Gott von, Himmel, sieh’ darein!“

Leopold Böhmer.




Für „Vater Arndt“

gingen in den letzten Wochen bei dem Unterzeichneten ein: 1 Thlr. L. u. M. P. in Oelsnitz. – 13 Thlr. ein deutscher Singverein in Warschau. – 2 Thlr. Benniger in Kochnovka – 1 Thlr. A. B. – 2 Thlr. 5 Rgr. Wettiner Männer-Liedertafel. – 10 Thlr. Adolf Schröder in Leipzig.

Ernst Keil.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_096.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)