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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

rührt, gleich vielen der ansprechendsten in seinen Stücken, von Raimund selbst her.

Unter dem Hügel, den seine einfach in Erz gegossene Büste ziert, schläft ein Mensch solch braven, treuen Herzens, solch’ edler, tüchtiger Gesinnung, solch’ hoher Begeisterung für das wahrhaft Schöne, und zugleich so namenlos elend, wie es Wenige nur gegeben; schläft ein Schauspieler, der bei den erhabensten Meistern genannt werden wird, wenn auch längst schon seine Gebilde mit denen begraben sind, die sie noch in lebendiger Erinnerung bewahren. Der Dritte aber dieser seltenen Vereinigung lebt noch und wird ewig leben – der Dichter. Seine entflammten Zeitgenossen nannten ihn den „neuen [[Shakespeare“, ein Ausdruck der Bewunderung, nicht der Beurtheilung; auf eine andere Bezeichnung dagegen hatte er die vollgültigsten Ansprüche: „Raimund ist der deutsche Molière].“ Fast wunderbar ist schon das Zusammenfallen der Aeußerlichkeiten: Beide stiegen aus den Anfängen eines aufgezwungenen Handwerkes zur höchsten Vollendung der Kunst empor, Beide schufen zweifach ihre Schöpfungen mit doppelter Meisterschaft, Beide, von äußerem Glanz umgeben, waren unglücklich durch unablässige Selbstqual. Beide kannten ihre trostlosen inneren Zustände so genau, daß sie künstlerische Anregung darin fanden, ohne durch die Selbstschilderung zur Selbstbemeisterung zu gelangen; Beiden ward die Ehe neuen Unheils Quell; ja, die Uebereinstimmung ist vom Beginn bis zu Ende so zutreffend, daß Beide in eigenen Stücken von den Bretern ewigen Abschied nahmen. Was aber hauptsächlicher und gewichtiger: Beide gingen als Dichter gleiche Bahnen zu gleichem Ziele; Beide sind Volksdichter im wahrsten und besten Sinne dieses oft gemißbrauchten und noch häufiger mißverstandenen Begriffes; Beide entwickeln die schönen Seiten der menschlichen Natur, indem sie ihre schwachen verspotten: Molière’s Geißel führt der unerbittliche Witz des Franzosen, der Raimund’s fällt die österreichische Gemüthlichkeit in den Arm. Auch Raimund ist ein Classiker auf seinem Felde. Was an seinen Stücken etwa befremdend auffallen könnte, die häufige Allegorie und manche läppische Zuthat, ist lediglich dem damaligen Publicum und dessen Geschmack zur Last zu legen, Raimund war hoch erhaben darüber, unterwarf sich aber, um zu beherrschen. „Der Bauer als Millionair“, „der Alpenkönig und der Menschenfeind“ und „der Verschwender“ bleiben ewige Zierden der deutschen Schaubühne. Seit freilich der „kladderadatsch“, dieser Witz in Waffen, auch die Breter sich eroberte und des Tages beißende Kritik dort übt, seit Kalisch für Deutschland das Couplet erfunden, den burlesken Leitartikel im Polka-Takt, ist die maßgebende Richtung eine andere geworden. Aber auch dadurch können Raimund’s Dichtungen nicht verdrängt werden. Ihre Zwecke fallen mit denen des Augenblicks nicht zusammen, es sind die ewigen menschlichen, sie verhöhnen nicht, sie versöhnen, und für uns, die Kämpfer im Strudel stets wachsender Gährung, haben sie noch den besonderen Reiz der Erinnerung an eine glücklichere Zeit. Wo ist es geblieben, das alte, lustige Wien, das gemüthliche, gedankenlose Oesterreich? Dahin – Alles dahin, verfallen jenem unerbittlichen Gesetz, das Raimund in den beiden Strophen ausgedrückt, die „seine Jugend“, Therese Krones, dereinst so hinreißend gesungen:

„Scheint die Sonne noch so schön,
Einmal muß sie untergeh’n!“




Aus dem Norden.
Von Brehm.
III. Eine Rennthierjagd auf dem Dovrefjeld.

Bei meinem ersten Aufenthalte in Fogstuen wurde ich mit einem norwegischen Jäger bekannt und befreundet. Fogstuen ist eine einsame Wechselstelle für Post- und Reisepferde. Der Hof liegt etwa 2000 Fuß über dem Meere und gegen drei Meilen vom Sneehätten entfernt. Ringsherum dehnt sich ein vortreffliches Jagdgebiet meilenweit aus, und deshalb ist gerade dieser Ort besonders zum Aufenthalte für Jäger geeignet. Erik Svensen, der Jäger, von welchem ich reden will, lebt hier bereits seit einer Reihe von Jahren. Er ist ein ganz prächtiger alter Kerl, und dem edlen Waidwerk mit Leib und Seele ergeben. Einen zünftigen Unterricht im Jagdhandwerk hat er allerdings nicht genossen und auch keine Forstschule besucht; er ist vielmehr Alles, was er ist, durch sich selbst geworden. Um so eigenthümlicher ist seine Jagd. Alle Künste, alle Liste, alle Schleichwege gelten bei ihm; Erik ist ein Raubthier in Menschengestalt oder ein Indianer des Ostens. Die meisten jagdbaren Thiere berückt er durch Nachahmung ihrer Lockstimme und versteht diese Kunst so meisterhaft, daß man dreist behaupten kann: er spricht die Sprache der Thiere. Außerdem aber kennt er auch andere Kniffe und Pfiffe und ist nie um ein neues Mittel zum Zweck verlegen. Er sucht sein Wild in den verborgensten Schlupfwinkeln auf, kriecht und läuft mit ihm um die Wette, folgt ihm meilenweit oder lauert wie ein Luchs stundenlang an einer und derselben Stelle oder gebraucht Schlinge und Falle, Köder und Gift, wie es eben gehn will. Seine Orts- und Sachkenntniß, seine Erfahrung und Schlauheit sind eben so bewunderungswürdig, wie seine Ausdauer und seine Abhärtung. Er kennt alle Plätze auf dem ganzen Gebirge, welche ergiebig sind; kennt alle jagdbaren Thiere und ihr Leben und Wesen von Grund auf, wandelt in leichten Schuhen durch Sumpf und Moor oder über Schneefelder und schüttelt sich den Schnee ebenso gelassen aus seinen Kleidern, wie er das Wasser aus seinen Schuhen gießt, welches diese in der ersten Viertelstunde seiner Jagd regelmäßig erfüllt. Die Worte Erkältung oder Ermüdung sind diesem Naturmenschen blos dem Namen nach bekannt: er selbst, obgleich nun bereits 60 Jahr alt, ist nie krank gewesen und beschämt noch heute Jeden, welcher es ihm gleich thun will.

Es versteht sich von selbst, daß mich Erik tagelang an Fogstuen fesselte und in kurzer Zeit so viel von meinem Herzen gewann, als solcher Graubart überhaupt gewinnen konnte. Trotz meiner gänzlichen Unkenntniß der Landessprache verständigten wir uns bald beide vortrefflich und wurden so nur immer mehr befreundet. Wir jagten tagtäglich und allnächtlich zusammen, zumeist zwar nur auf Schneehühner, dafür aber auch in der anziehendsten Weise – ich will später ausführlich davon reden. Allein unser Erik verstand auch die hohe Jagd.

Ich hatte in Christiania durch norwegische Jäger von der außerordentlichen Schwierigkeit der Rennthierjagd gehört und brannte deshalb darauf, eine solche Jagd wenigstens zu versuchen.

„Giebt es hier Rennthiere, Erik?“ fragte ich, diesmal durch freundliche Vermittlung meines jungen Reisegefährten Berghaus, welcher fertig norwegisch spricht.

„Rennthiere giebt es auf dem ganzen Gebirge in Menge,“ antwortete er.

„So laß uns eine Jagd darauf machen, Alter!“

„Ja, es geht aber nicht!“

„Warum nicht?“

„Weil er Strafe zahlen muß.“

„Wer?“

„Nun, Er!“

„Und wenn ich diese Strafen nun zahlen wollte?“

„Dann können wir auch Rennthiere jagen!“

Wir gingen also, stiegen etwa anderthalbtausend Fuß höher im Gebirge hinauf, wateten durch angeschwollene Waldbäche oder durch Schneefelder, kletterten über die abscheulichsten Geröllhalden, welche es irgendwo geben kann, hinweg, wurden naß vom Kopf bis zum Fuße und fanden endlich frische Fährten „einiger sehr alten und großen Thiere, welche heute hier gewesen waren.“ Mühsam folgten wir denselben auf Pfaden, welche meiner Beschreibung spotten, und sahen endlich drei Rennthiere auf einem Schneefelde unter uns gelagert. Der alte besonnene Erik wurde zu meiner Verwunderung vom Jagdfieber geschüttelt, wie ein Jägerlehrling; ich nahm ruhig die Büchse, zielte sicher, sah im Geiste den „Bock“ stürzen, sowie auch den Lehusmand sein Strafbuch aufweisen – und mußte zu meiner bitteren Täuschung erfahren, daß mir das sonst so sichere Gewehr drei Mal versagte! Freund B., der mir es geliehen, hatte mir ganz entschieden einen Waidmann gesetzt!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_088.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)