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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Seine Stentorstimme donnerte diese Worte, während er bereits durch das Vorzimmer stürzte und den Treppenraum erreichte. „Die Ordonnanzen mit Licht herauf!“ rief er noch einmal, und zugleich flog er die Treppe hinunter, um die Leute unten aus dem Schlummer zu schütteln, wenn sie ihn nicht gehört hätten. Als er den Fuß der Treppe erreicht hatte, stürzten ihm ein paar Leute aus der Stube der Ordonnanzen entgegen.

„Folgt mir in das Quartier des Obersten Trenck,“ rief er diesen zu, „ich will sehen, ob er darin ist,“ und zugleich wandte er sich, um die Stiegen wieder hinauf zu fliegen. In diesem Augenblick wurde von außen heftig an die Hausthüre geschlagen. Frohn wandte sich zurück. „Das ist die Schildwache, die mit dem Kolben an die Thüre schlägt,“ rief er aus; „was will der Mann?“ und zugleich griff er hastig nach seinem Schlüsselbund, ließ sich von einer der Ordonnanzen, die ein Licht trug, leuchten und öffnete die schwere Eichenthüre. Draußen, auf dem Treppensteine vor der Thüre, stand in der That die Schildwache, die mit dem Kolben angepocht hatte.

„Was ist? was gibt’s?“ schrie Frohn sie an.

„Ja, ich verwundere mich halt,“ sagte der Mann, „ich hör’ eben drinnen den Herrn Oberstwachtmeister rufen, und der Herr Oberstwachtmeister ist doch vor nicht fünf Minuten an mir vorüber in den Hof gegangen.“

„Wer – wohin ist er gegangen?“

„Der Herr Oberstwachtmeister; just so hat er ausgeschaut und hat die Parole gegeben und ist über den Hof gegangen mit den Schlüsseln in der Hand, gerad’ so wie der Oberstwachtmeister.“

„Alle Teufel der Hölle!“ schrie Frohn außer sich, „so schlag Er doch Lärm, ruf Er die Posten an,“ und dann donnerte seine Stimme wie das Commandowort eines Capitains im Sturm, der sein Schiff einem Felsen zutreiben sieht:

„Posten, Achtung! Die Wache in’s Gewehr! Niemand passirt!“

Die Stimme des Commandanten fand augenblicklich einen weithin tönenden Nachhall. Der zehnfache, zwanzigfache Ruf: Achtung! tönte von Posten zu Posten durch die Stille der Nacht; zugleich wurde das laute Echo des Festungshofes durch das Rasseln der Gewehre geweckt, zu denen die Grenadiere der Wache stürzten. Unterdeß hatte Frohn sich von dem Posten vor seiner Thüre die Richtung bezeichnen lassen, in welcher der Flüchtige über den Hof geschritten; er eilte, von seinen Ordonnanzen gefolgt, in derselben Richtung davon; an der Hauptwache vorüberschreitend, befahl er dem Officier derselben: „Patrouillen sollen abgehen; lassen Sie die Lärmkanone abbrennen!“ und dann eilte er weiter, dem Winkel des Hofes zu, wo der Aufgang zu den Wällen war. Drei Ordonnanzen folgten ihm, ohne trotz aller Anstrengung gleichen Schritt mit ihm halten zu können. In der Ecke, zwischen den zwei Gebäudetheilen, die hier den Raum für den ansteigenden Weg zum Wall ließen, wollte ihn die Schildwache aufhalten; Frohn schlug ihr das Bajonnet zur Seite, indem er gebieterisch ausrief:

„Aus dem Weg da, ich bin’s, der Commandant; ist Jemand vorübergegangen?“

„Diesen Augenblick,“ stotterte der Mann erschrocken, „diesen Augenblick ist Einer vorübergegangen, und ich hab’ halt gemeint, es ist der Commandant, der visitirt!“

Frohn stürmte weiter, ohne das Ende dieser Worte abzuwarten. Er kam an eine Bohlenthüre, die den Zugang zu dem Wall verschloß; die Thüre stand offen; der eine Flügel war nur angelehnt. Eine Strecke weiter machte der Wall eine Biegung, er sprang hier in einem stumpfen Winkel ein.

Als Frohn diese Biegung erreicht hatte, donnerte die Lärmkanone. Es war ein furchtbares Krachen in der stillen Nacht; die Mauern der alten Veste schienen dabei in ihren tiefsten Fugen zu zittern. Frohn dachte an Agnes. Wie mußte sie erschrecken, – welche Nacht für sie!

Er war oben auf der Mauer, er folgte dem schmalen Pfade, der über diese Wallmauer fortlief; er strengte sein Auge an, um die nächtige Dunkelheit zu durchdringen, er sah eine Gestalt, die ihm entgegenschritt. Es war der Mann, der in der Mitte der Wallmauer Posten stand; und auf sein hastiges Fragen hatte er bald die Antwort, daß eine Gestalt, welche die Schildwache für den Commandanten gehalten, soeben vorübergeschritten, daß sie aber noch nicht weit vom Posten entfernt gewesen, als sie plötzlich verschwunden sei, wie in den Boden gesunken.

Frohn eilte an dem Posten vorüber; er fand dies Verschwinden nicht räthselhaft; etwa 150 Schritte von der Stelle, wo das Schilderhaus stand, entfernt begann die schwache Stelle der Citadelle, schwach in sofern, als die Felsen, auf welchen der Spielberg gebaut, einem kühnen und geübten Kletterer hier die Möglichkeit boten, hinan und hinab zu steigen. Es war immerhin ein Wagniß, da herunter zu steigen, und ein doppelt großes Wagniß, es bei Nacht zu thun; aber es war möglich. Trenck mußte sich also da herabgelassen haben. Er mußte genau die Oertlichkeit kennen, wie er sich Schlüssel verschafft haben mußte, wie er die Parole zu erfahren gewußt hatte!

Frohn war an der Stelle angekommen. Er beugte sich weit vor über die Brustwehr, er blickte angestrengten Auges hinab in die Tiefe. Der erste Gegenstand, den sein Auge entdeckte, war eine dunkle Gestalt, welche sich etwa zwanzig Fuß tief unter ihm auf einer schmalen Felsplatte befand und zugleich eine Bewegung machte, als wolle sie eben vorsichtig tiefer steigen.

„Heda, Herr Oberst,“ rief Frohn hinab, „wohin wollen Sie da?“

Der Oberst ließ augenblicklich ab von dem Bemühen, weiter hinunter zu klettern, und richtete sich hoch auf.

„Eine Million Teufel!“ rief er aus, „hat der Satan Sie schon da? Sie sind mein böses Schicksal! Was wollen Sie? was liegen Sie nicht bei …“

„Ich will Sie warnen,“ unterbrach ihn Frohn. „Es ist das kein Weg für Jemand, der frische Luft schöpfen will, weil er zu viel getrunken hat; kommen Sie zurück!“

Der Oberst schien sich einen Augenblick zu besinnen.

„Wenn Sie nicht sofort zurückkommen, lasse ich Feuer auf Sie geben, Oberst.“

„Sie sind im Stande dazu,“ antwortete Trenck mürrisch und begann wieder hinaufzuklimmen.

Er hatte bald wieder die Höhe des Felsens erreicht, die Kante, über der die äußere aufgemauerte Wallseite sich erhob; es war nur ein schmaler Raum zwischen dem Fuß der Mauer und dem Abhang gelassen, so schmal, daß er nur eben den Raum zum Stehen darbot.

„Ich kann die glatte Mauer nicht hinauf laufen,“ sagte der Oberst, indem er den Arm in die Höhe streckte und die Hand auf die obere Kante der Mauer legte.

In seiner Hast, sich seines Gefangenen wieder zu bemächtigen, ließ Frohn sich an der Mauer hinab neben den Obersten.

„Ich will Ihnen helfen, sich hinaufzuschwingen, die Leute oben können Sie dann unter die Arme fassen.“ Er streckte seinen Arm aus, um Trenck zu erfassen, dieser aber stieß ihn kräftig zurück.

„Halt, mein Herr Oberstwachtmeister von Frohn,“ sagte er, „wir stehen hier auf einem vortrefflichen Platze, um unsere alte Rechnung auszugleichen. Glauben Sie, ich hätte vergessen, was Sie seit Ihrer Giftmischerei bei mir auf dem Kerbholz haben? Und wenn ich’s vergessen hätte: was Sie in dieser Nacht an mir thun, ist genug! Es soll vom Trenck nicht gesagt werden, daß er ungerächt gelassen hat, was Du gegen ihn gewagt hast, Frohn; verflucht will ich sein, wenn ich Dich nicht da hinunter schicke, wo Du mich gehindert hast, hinunter zu gehen; vertheidige Dich!“

„Oberst, sind Sie toll? hier ist kein Platz zum Kämpfen, ein einziger Fehltritt und wir stürzen in einen Abgrund hinab; meine Leute würden Sie ja auch sofort niederstoßen, wenn Sie eine Widersetzlichkeit zeigen.“

„Und das Alles wird Dich nicht aus den Krallen des Löwen retten, den Du zum Aeußersten gebracht hast, Elender,“ versetzte Trenck zähneknirschend vor Wuth.

Frohn ergriff ihn kräftig an der Brust, um ihn an die Mauer zu drücken, und rief zugleich den Befehl hinauf:

„Faßt ihn von oben bei den Schultern und zieht ihn hinauf!“

In demselben Augenblick jedoch hatte Trenck in die Tasche seines Mantels gegriffen, ein Pistol hervorgezogen und es Frohn auf die Brust gesetzt.

Frohn wollte es wegschlagen – aber es war zu spät! Der Schuß hallte durch die Nacht – Frohn wankte, fuhr mit den Händen um sich, versuchte sich mit krampfhaft gespreizten Fingern an der Mauer festzuhalten, dann stürzte er zusammen und fiel hinterrücks an den Felsen hinunter, mit einem dumpfen Geräusch, von Absatz zu Absatz – bis sein Körper in der dunklen Tiefe verschwand.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_067.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)