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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

jenes Thal Sebahjeh, das in seiner amphitheatralischen Form völlig geeignet war, um das zur großen Stunde „aus dem Lager Gott entgegengeführte“ Volk in sich aufzunehmen. Schroff fällt in dieses Thal der Sinai ab; er wird gleichsam zu einer abgeschlossenen Persönlichkeit, die in der That, wie es der Ausdruck der Schrift verlangt, sich „anrühren“ läßt.

Aber wir sind der Sitte frommer Wanderer untreu geworden, indem wir den Sinai erstiegen, ehe wir in’s gastliche Kloster am Fuß des Berges eingetreten. Als ich am letzten Jänner des Jahres 1859 zum dritten Male vor dieser dem Frieden geweihten kleinen Festung mit meinen Kamelen hielt, wurde ich nicht wie die meisten Reisenden genöthigt, am Seile mit dem Querholze zu der gegen 30 Fuß hohen Thüröffnung mich hinaufwinden zu lassen, nur meinen Effecten und meinem Dragoman blieb diese Wanderung vorbehalten, während ich selber zu Ehren des mich geleitenden kaiserlichen Auftrags vom Oekonomen sogleich bewillkommnet und durch ein für Ankömmlinge selten geöffnetes Pförtchen in’s Kloster geführt wurde.

Die Großartigkeit der Anlage dieses ein längliches Viereck bildenden Gebäudes wird schon aus unserer bildlichen Darstellung ersichtlich sein. Seine 40 bis 50 Fuß hohen Mauern bestehen größtentheils aus massiven Granitblöcken. Das Innere ist in mehrere Höfe abgetheilt, um welche ringsum die Zellen, Kapellen, die Vorrathskammern, verschiedene Werkstätten, auch eine kleine Rüstkammer, die Fremdenzimmer und alle ähnlichen Baulichkeiten laufen, theils im Erdgeschoß, theils in den beiden Stockwerken. Die letztern, größtentheils mit hölzernen auf den Hofranm gerichteten Pfeilergängen versehen, sind jedoch von ungleicher Ausführung. In den Höfen befinden sich Anpflanzungen von Wein, einzelne Bäume, selbst Blumengärtchen, besonders aber zwei vortreffliche Brunnen; außerdem besitzt sein eigenes Wasser der große durch einen langen unterirdischen Gang mit dem Kloster an der Nordseite verbundene, in Terrassen angelegte Garten. Dieser letztere grüßt schon weit in die Ferne das Auge des Ankömmlings mit seinen herrlichen, dunkelgrünen Cypressen; seine üppigen Fruchtbäume aber liefern Orangen und Citronen, Mandeln und Feigen, Granaten, Aprikosen, Aepfel, Birnen und anderes Obst; auch mancherlei Gemüse wird darin gezogen.

Fremde kann das Kloster in großer Anzahl beherbergen; die vorzüglichsten Gastzimmer, die sich durch einen an drei Wänden fortgesetzten wohlgepolsterten Divan auszeichnen, befinden sich im oberen Stocke des westlichen Flügels, gegenüber demjenigen mit der hohen Thüröffnung. Tritt man aus diesen Zimmern auf die schon genannte Gallerie hinaus, so ruht der Blick unmittelbar auf einem etwa 1000 Fuß hohen Granitberge im Osten des Klosters, dessen Scheitel die Hand der Mönche mit mehreren Kreuzen geschmückt hat. Noch lieber jedoch genießt der Fremdling die noch freiere Fernsicht von der breiten nördlichen Klostermauer aus.

Von der größten Einfachheit sind die engen Mönchszellen, womit die strenge Lebensweise in Einklang steht, welche die vom Kloster befolgte Regel des heil. Basilius vorschreibt. Während der Genuß von Fleisch auf sehr wenige Festtage beschränkt ist und der bei weitem größere Theil des Jahres eine solche Fastenkost mit sich bringt, welcher Uneingeweihte schwerlich Geschmack abgewinnen, bietet ein aus Datteln bereiteter Liqueur den Brüdern die einzige regelmäßige Erquickung, die auch Wandersleute aus dem feiner schmeckenden Occident nicht verschmähen möchten, zumal wenn dazu ein Stück des aus zusammengepreßten Datteln und Mandeln bereiteten Sinaibrods, womit sich gleichfalls der Hausfleiß des Klosters befaßt, gereicht wird.

Daß gottesdienstliche Uebungen alltäglich und allnächtlich die Bewohner des Klosters vorzugsweise in Anspruch nehmen, verräth schon außer dem fleißigen, alle Räume feierlich durchklingenden Rufe zur Andacht die große Zahl der vorhandenen Kapellen, welcher die Zahl der Brüder selbst, gegen zwanzig, seit einiger Zeit nachzustehen pflegt. Von der Schmucklosigkeit der meisten dieser Kapellen unterscheidet sich wesentlich die in einem größeren Hofraume befindliche Hauptkirche. Ihr bleiernes Dach wird von einer doppelten Reihe Granitpfeiler getragen, zwischen denen die Chorstühle angebracht sind. Den marmornen Fußboden zieren musivische Arbeiten, desgleichen die Wände zahllose in Gold und bunte Farben gekleidete Heiligenbilder. In der Nische über dem Altare, der von vielen silbernen Lampen erleuchtet wird, ist die Scene der Verklärung des Herrn mit Moses und Elias in schöner Mosaik ausgeführt; ihr zu beiden Seiten stellen zwei Brustbilder die beiden Stifter des Klosters dar, den Kaiser Justinian und seine Gemahlin Theodora. Nach der Verklärung ist ursprünglich das Kloster selbst benannt gewesen; doch ist diese Ehre, wie es scheint, schon längst, auf die heilige Katharina übergegangen oder wenigstens mit ihr getheilt worden; denn ihr Name steht sogar auf den kleinen Abendmahlsbroden, dergleichen mir selbst verabreicht wurden. Die Gebeine dieser Heiligen sind nämlich in der Klosterkirche beigesetzt worden, und zwar befinden sich ihre hochverehrten Reliquien dicht unter dem Verklärungsbilde, so daß das letztere unerwünschter Weise von den häufigen den ersteren gewidmeten Räucherungen mit betroffen wird. Fast wäre dieselbe Kirche auch zur letzten Ruhestätte einer russischen Monarchin, der Kaiserin Anna, geworden; sie befindet sich wenigstens auf einem silbernen Sarkophag-Deckel lebensgroß dargestellt, obschon ihr Leichnam dem vorausgesandten Sarkophage nicht nachfolgte. Das größte Heiligthum der Kirche bildet aber die hinter dem Altar angelegte Kapelle des brennenden Busches. Nur mit unbeschuhtem Fuße darf sie betreten werden, in Erinnerung jenes Mahnwortes, das einst an Moses erging: „Zeuch Deine Schuhe aus von Deinen Füßen; denn der Ort, darauf Du stehest, ist ein heilig Land.“ Eben diesen heiligen Ort glaubt man in der Kapelle wieder gefunden zu haben.

Der Kirche gegenüber steht in demselben Hofraume, zu nicht geringer Ueberraschung der christlichen Pilger, eine ansehnliche Moschee, deren Halbmond dicht neben dem Kreuze über die Klostermauer emporsteigt, wie er auch auf unserm Bilde sichtbar ist. Aus welcher Zeit sie stamme, steht nicht ganz fest; daß sie erst im 16. Jahrhundert errichtet worden sei, um Sultan Selim zu beschwichtigen, als sein Liebling, ein junger griechischer Priester, statt der Genesung den Tod im Kloster gefunden hatte, wird durch sichere Beweise von ihrem Vorhandensein im 14. Jahrhundert widerlegt. Jedenfalls diente ihre Erbauung dazu, muhammedanische Bedrohungen vom Kloster abzuwenden. In neuester Zeit hat Abbas Pascha seine Gebete darin verrichtet. Außerdem steht aber das Kloster nicht nur in Beziehungen zu den alljährlichen Mekka-Karawanen, sondern auch in beständigem Verkehr mit den muhammedanischen Bewohnern der Wüste, besonders mit denjenigen Beduinenstämmen, die den Titel der Beschützer des Klosters führen. Dazu kommen mehrere Hunderte von Leibeigenen, deren frühesten Besitz das Kloster auf eine Schenkung des Kaisers Justinian zurückführt. Sie stehen überall im Dienste des Klosters, wie sie z. B. die verschiedenen ihm zugehörigen Gärten in der näheren und ferneren Umgegend des Sinai’s bebauen; auch werden sie von ihm unterhalten. Christen, was sie früher gewesen, sind aber merkwürdiger Weise die wenigsten unter ihnen geblieben.

Der Erwähnung dieser Leibeigenen füge ich noch bei, daß die Besitzthümer des Klosters oder der nach ihm benannten Brüderschaft überhaupt nicht unbeträchtlich sind. Filialklöster befinden sich zu Cairo, wo der Sitz der Superioren, zu Constantinopel, in der Walachei, selbst in Tiflis, und jedes derselben wird einträgliche Liegenschaften besitzen. Da die Brüderschaft unter ihrem eigenen Erzbischofe in einer gewissen Unabhängigkeit sogar von den mächtigen griechischen Patriarchen des Orients steht, so begreift sich’s leicht, daß sie, namentlich so oft es sich um ein neues der oberbischöflichen Weihe bedürftiges Oberhaupt handelt, der Eifersucht reichliche Nahrung bietet; wobei es leider geschieht, daß in den Zwistigkeiten christlicher Kirchenhäupter die Wahrung des Rechts der verrufenen türkischen Regierung verdankt wird.

Wodurch aber in neuester Zeit das Sinaikloster in so viele europäische Blätter gekommen, davon will ich an letzter Stelle den Lesern in Kürze erzählen. Das Kloster besitzt nämlich auch eine Bibliothek, worin sich gedruckte Bücher und Handschriften in griechischer und in verschiedenen orientalischen Sprachen befinden. Da die Stiftung des Klosters auf den Kaiser Iustinian in der Mitte des 6. Jahrh., und in gewissem Sinne sogar auf Kaiser Constantins berühmte Mutter Helena zurückreicht, insofern nämlich die letztere in der ersten Hälfte des 4. Jahrh, am Sinai eine Kirche anlegte, welche später das jetzige Sinaikloster in seine Mauern mit einschloß: so liegt die Möglichkeit vor, daß sich hier biblische Urkunden, die so sehr zur Ausstattung einer Kirche und eines Klosters gehörten, aus so früher Zeit erhalten haben, zumal da diese festen Mauern niemals von Feindeshand zerstört worden sind. Freilich müßte dabei jegliche Gunst der Umstände obgewaltet haben, da ja im Laufe von mehr als tausend Jahren so vielerlei den Untergang

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