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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

wie umgewandelt ist? Ich habe also das Bewußtsein, daß mein Leben einen Zweck hat, daß ich Gutes wirke.“

„Es liegt darin aber doch eine großartige Entsagung,“ fiel Frohn ein, „ein echt weiblicher Heroismus; Sie verzichten auf alles eigne Glück um eines Mannes willen …“

„Herr von Frohn“ – unterbrach sie ihn, – „es ist meiner Mutter Bruder, er ist unglücklich, ein verlassener Gefangener! Und wer“ – fuhr sie fort, zu ihm mit einem bedeutsamen Blick aufschauend, „wer sagt Ihnen, daß ich dabei nicht eignes Glück empfinde, daß ich mich hier unglücklich fühle … Zwar, wenn ich aufschaue und die dunklen Gefängnißmauern, die so viel Elend umschließen, erblicke, so ist das allerdings nicht geeignet, eine große Heiterkeit heraufzubeschwören – aber sicherlich können Sie mir nicht vorwerfen, daß ich die Melancholie dieses Aufenthalts Ihnen dadurch erhöhe, daß ich Ihnen schwermüthige und unzufriedene Mienen zeige… das, meine ich, würde wenigstens sehr undankbar von Ihnen sein!“

„Das würde es freilich,“ rief Frohn lebhaft und tiefbewegt aus; „seitdem Sie hier sind, ist mir ein neues Leben aufgegangen, und der Name Spielberg mag so düster und verhängnißvoll lauten, wie er will, ich werde immer daran die Erinnerung eines tiefen inneren Glückes knüpfen.“

Sie erröthete tief und senkte ihre Blicke.

„So wollen wir wenigstens uns Beide nicht beklagen und auch nicht wegen unsres Heroismus bewundern,“ fuhr sie dann fort, „daß wir es hier aushalten; den Oheim lieber, daß er seine Gefangenschaft erträgt, die ihm doch, wie ich wohl sehe und wahrnehme, eine entsetzliche innere Marter bereitet! Könnte ich ihm die Freiheit verschaffen dadurch, daß ich mich statt seiner zu ewiger Haft auf dem Spielberg anböte …“

„So würden Sie es thun?“ fragte Frohn rasch. „O, weshalb kann ich dies Erbieten nicht annehmen und Ihrem Oheim nicht in dieser Minute noch die Freiheit geben!“

Agnes Mirzelska blickte zu dem vor ihr stehenden Officier mit einem Blicke auf, in welchem etwas von einem unbeschreiblichen Ausdruck lag; es war wie ein inniges Flehen, wie die Sprache eines rührenden Vertrauens, das sich verführerisch in seine Seele schmeicheln wollte, und halblaut flüsterte sie dabei:

„Ist es Ihnen in der That unmöglich? giebt es keinen Weg für Sie, kein Mittel, den Armen zu retten?“

„Keines, keines!“ stotterte Frohn schnell hervor. Dabei zitterte seine Lippe, sein Antlitz überflog eine plötzliche Blässe, und stumm sich verbeugend verließ er plötzlich das Zimmer.

„Um Gotteswillen, was habe ich gethan!“ rief Agnes Mirzelska aus, erschrocken aufspringend, „ich habe sein Ehrgefühl verletzt, ich habe sein edles, treues Herz verwundet. Gott! mein Gott, wie lösche ich den Eindruck dieser unseligen Worte wieder aus!“


4.

So erschrocken auch Agnes Mirzelska über den Eindruck war, welchen ihre Worte augenscheinlich auf Frohn gemacht hatten, so war sie doch weit entfernt zu ahnen, wie tief der Schmerz war, den sie ihm dadurch zugefügt.

Frohn hatte nicht verkennen können, daß die Leidenschaft, welche das junge Mädchen in ihm entzündet hatte, eine rasche und durch Blick und Wort offen bekannte Erwiderung gefunden. Aber diese rasche Erwiderung, statt ihn mit Glück und Seligkeit zu überschütten, hatte den tiefschmerzlichsten Stachel eines unseligen Argwohns in seine Seele gesenkt. „Wie kann ein so schönes, hinreißendes, glänzend begabtes Wesen so schnell ihr Herz an einen schlichten, derben Kriegsknecht, wie ich es bin, verlieren? was kann sie in mir sehen, was ihr den Mangel feinerer Bildung und geistiger Begabung in mir ersetzt? Was ich besitze, mein Bischen Soldatentüchtigkeit und mein Talent, mich nicht übertölpeln zu lassen, was kann das einem Wesen sein, dem Huldigungen und Bewunderung entgegengekommen sein müssen, wo sie sich zeigt? Nein, es ist nicht möglich, daß sie den Kerkermeister ihres Oheims liebt … und wenn Sie den Schein annimmt, so ist es ein Spiel, eine Maske, eine Bethörung … sie ist eine Sirene, die mich mit zarten Fäden umspinnt und die nichts will, als mich zu ihrem Gefangenen machen, um durch mich den Oheim aus der Gefangenschaft befreien zu lassen!“

Und dann, wenn Frohn wieder Agnes gegenüber saß, wenn er ihre vollständige, von jeder Coketterie freie Natürlichkeit beobachtete, den herzlichen Ton ihrer Stimme vernahm und den seelenvollen Blick ihres Auges auf sich gerichtet sah, kam es wie eine selige Ueberzeugung über ihn, daß dies Wesen nicht trügen könne, daß ein wahrer Drang der Hingabe sie zu ihm, dem starken, erprobten treuen Mann ziehe. Er scheuchte dann alle düsteren Zweifel und Sorgen des Argwohns von sich und gab sich ganz dem berauschenden Reiz des Augenblicks hin, bis ihn wieder die Einsamkeit seines Zimmers umfing und er grübelte und dachte. Dazu kam die merkwürdige Veränderung im Wesen Trenck’s … sollte der leidenschaftliche, zornige, unbezähmbare Mensch, der ihm früher so viel zu schaffen gemacht, in der That bloß deshalb so nachgiebig und ruhig und umgänglich geworden sein, weil ein junges Mädchen in seiner Nähe war, das ihm einige Tagesstunden durch ihr Geplauder vertrieb? War es nicht viel wahrscheinlicher, daß diese ergebenere Stimmung über den tollen Pandurenführer mit dem Wiederaufleben der Hoffnung auf die Freiheit gekommen? Ja, man wollte ihn täuschen, ihn umgarnen, ihn, wenn der rechte Augenblick gekommen, wo die Leidenschaft ihn völlig unterjocht hatte, als bethörtes, willenloses Werkzeug gebrauchen.

So hatte er qualvolle Tage inneren Zwiespalt gelebt, bis zu dem Augenblicke, wo ihm Agnes offen ihren Wunsch, den Oheim befreit zu sehen, aussprach, wo sie ihm geradezu beinahe ihre Hand in Aussicht stellte, wenn er dieselbe erkaufen wolle dadurch, daß er Trenck auf irgend einem Wege die Freiheit wiedergebe. Wie ein Blitz war es in seine Seele geschlagen,… sie hielt den Augenblick für gekommen, wo seine Neigung hinlänglich von seinem Herzen mit seinem Geist Besitz genommen, daß sie offen reden dürfte.

Arme Agnes! wie wenig hatte das harmlose, seiner tiefen Neigung für Frohn sich ohne Skrupel hingebende junge Mädchen geahnt, daß sie einen solchen Sturm und eine solche Verzweiflung in dem Herzen dessen, den sie liebte, heraufbeschwören würde, als sie jene Worte sprach und sie mit dem innigen Blicke begleitete, in welchem Frohn den Geist der Verführung nur Bethörung wahrzunehmen glaubte! –

Es war ein Dämon von diesem Augenblicke an in Frohn wach gestürmt, den er nicht mehr bezwingen konnte. Je weniger die Leidenschaft während seines Lebens eine Rolle gespielt hatte, je länger die Kraft zu lieben in seinem Herzen geschlummert hatte, durch das nur einmal in Magdeburg wie eine leise Frühlings-Ahnung ein Gefühl gezogen war, das von einer stürmisch bewegten Existenz so bald wieder verweht wurde: desto heftiger und gewaltiger war in dem gereiften Manne jetzt die Leidenschaft für das schöne Mädchen erwacht, das wie ein Stern über der unheimlichen und düsteren Welt aufgegangen war, in welcher sich bisher seine freudlosen Tage abgesponnen hatten. Es tobte ein Gefühl in ihm wie im Herzen Othello’s, als Jago den Giftsamen hineingeworfen hatte. Wie Othello konnte er nicht in entsagender Ruhe und Geduld den Beobachter machen, um zu einer allmählichen Klarheit zu gelangen.

Er wollte Licht – sofort und vollständig! Um es zu erhalten, entwarf er in den schlummerlosen Stunden der nächsten Nacht Pläne über Pläne, um dann bei dem ersten und einfachsten stehen zu bleiben; wenn sich die Gelegenheit darbot, konnte er ihn ausführen gleich am folgenden Tage.

Die Gelegenheit bot sich ihm dar. Als es Abend wurde, ging er wie gewöhnlich zu Trenck hinüber und machte ihm den Vorschlag, die Zeit durch ein Kartenspiel zu vertreiben, welches auch, da es drei Spieler erforderte, Agnes Mirzelska in dem Zimmer des Obersten für den Abend zurückhielt. Der gefangene Oberst war stets bereit zum Spiele, er hatte immer das beruhigende Bewußtsein, der gewinnende Theil zu sein, wenn er es sein wollte, und Frohn, der seine Kunstgriffe wohl durchschaute, hatte sich gehütet, ihn dies merken zu lassen, um jeden Streit mit ihm zu vermeiden; er hatte sich darauf beschränkt, gewöhnlich die Aufforderung zum Spiel abzulehnen, wenn sie von Trenck ausging. Heute jedoch griff er zu den Karten, um desto sicherer seine innere Bewegung zu verbergen; und Trenck ging mit Vergnügen darauf ein.

Um neun Uhr ertönte der Zapfenstreich in der Citatelle. Es trat der Officier du Jour ein und überreichte dem Commandanten, mit der Meldung, daß Alles in Ordnung, die Schlüssel. Frohn nahm die Schlüssel, legte sie neben sich und spielte weiter. Nach etwa einer halben Stunde erhob er sich; die Rechnung wurde gemacht, einige Geldstücke wurden gewechselt und Frohn empfahl sich, um sich zur Ruhe zu begeben – die Schlüssel in der Hand haltend.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_050.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)