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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Der Festungs-Commandant.

Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Trenck erzählte von seiner ersten Jugend. Sie war schon bewegt und stürmisch gewesen. Seinem Vater, der als österreichischer General in Italien gestanden, hatte seine Mutter, eine geborene Freiin von Kettler zu Harkoffen, aus dem herzoglichen Hause von Kurland stammend, ihn zu Reggio am 1. Januar 1711 geboren. In seinem vierten Jahre schon hatte er mit seines Vaters geladenen Pistolen sich zu schaffen gemacht und eins derselben gegen die Wand abgefeuert, so daß die rückprallende Kugel ihn im Schenkel verwundete; mit fünf Jahren hatte er, den blanken väterlichen Pallasch in der Hand, seine Brüder gegen die Obstweiber auf dem Markt angeführt und die Hökerinnen in die Flucht getrieben, um ihre Vorräthe plündern zu können. Als er heranwuchs, reihten sich ihm Abenteuer an Abenteuer. Als junger Mensch hatte er auf den großen und werthvollen Gütern seines Vaters in Slavonien im Jähzorn einem Verwalter den Schädel gespalten, weil der Unglückliche sich weigerte, ohne des Vaters Genehmigung ihm Geldsummen zu seinen Ausschweifungen auszuantworten. Dann war er geflohen, war in russische Dienste getreten, hatte die Gunst des Feldmarschalls Münnich durch seine tollkühne Tapferkeit erworben und in einer Affaire wider die Türken einen russischen Reiterobersten, der ihm aus Feigheit nicht im richtigen Moment zum Angriff zu schreiten schien, vor der Front des eigenen Regiments durchgepeischt und vom Pferde gehauen; er hatte dann das Regiment sich nach gerissen in den Feind, und es zum vollständigsten Siege geführt. Zum Tode verurtheilt, hatte er durch den Feldmarschall Münnich Begnadigung erhalten, aber eine zweite ganz ähnliche That der schreiendsten Insubordination hatte ihn gezwungen, Rußland zu meiden. Er hatte nun daheim seine Talente der Vertilgung der slavonischen Grenzräuber zugewendet und diese bisher ganz unausrottbare Menschenrace, die der Schrecken und die Landplage der Gegenden an der untern Donau und Save war, durch rücksichtsloses Wüthen wider sie, durch Grausamkeit und List gebrochen und aufgerieben, bis auf einen Rest von dreihundert Köpfen, die er sich zusammen eingefangen und aus denen er den Kern seiner Freischaar bildete, als Oesterreich den Kampf mit Preußen aufnehmen mußte und Franz von der Trenck sich von Wien her die Vollmacht gewann, ein eigenes Corps zu werben, um damit zu den kaiserlichen Fahnen zu stoßen.

Der berühmte Pandurenführer verweilte mit großer Vorliebe bei dem Detail dieser Jugend-Erinnerungen, und während er in seiner brüsken und drastischen Weise sie erzählte, verflossen die Stunden in ungeahnter Schnelle. Die Thüre des Zimmers öffnete sich endlich und der Schließofficier trat ein, um dem Commandanten die Schlüssel der Citadelle und die des Hauses der Staatsgefangenen zu überbringen. Frohn sah daraus zu seiner Ueberraschung, daß die Nacht bereits da sei, und erhob sich, um sich in seine Wohnung zurückzubegeben. Ein langer dankbarer Blick aus dem Auge Agnes Mirzelska’s ruhte auf ihm, als er mit einer Verbeugung das Zimmer verließ.

Waren es diese Blicke des schönen, jungen Mädchens oder die Anziehungskraft, welche die Erinnerungen des Panduren-Obersten auf ihn übten, oder die Erinnerungen, welche in ihm selber aufstiegen bei dem Anblick von Zügen, die eine für Frohn so bedeutsame Aehnlichkeit mit einer rührenden Gestalt aus einer früheren Lebensepoche hatten – war es das Eine oder das Andere, was den Commandanten in die Wohnung seines Gefangenen zog: so viel ist gewiß, daß er seit jenem ersten Abend fast an jedem kommenden seine Besuche wiederholte, und daß er endlich dahin kam, die übrigen Stunden des Tages beflügelt zu wünschen, damit sie desto schneller denen seines fesselnden und ersehnten abendlichen Verkehrs Raum machten.

Und auch so viel ist gewiß, daß für Agnes Mirzelska ebenfalls diese Stunden abendlicher Geselligkeit sehr bald diejenigen waren, welche den Mittelpunkt ihrer Gedanken während ihrer einförmig verfließenden Tage bildeten. Ihre Aeußerungen bewiesen Frohn, daß sie mit dem, was er an diesen Abenden gesprochen und erzählt hatte, sich vielfach im Stillen beschäftigte; er konnte nicht verkennen, wie gespannt ihre Aufmerksamkeit war, wenn er dazu überging, von sich selber zu sprechen und von seinem früheren Leben zu erzählen; er konnte noch weniger verkennen, daß ihre Blicke, wenn sie länger und länger auf ihm wie magnetisch gefesselt ruhten, ein Selbstvergessen und eine Hingabe ausdrückten, welcher er die schmeichelhafteste Auslegung geben durfte und welche den dunklen Schatten einer schmerzlichen Sorge verscheuchten, die sich seiner nach und nach bemächtigt hatten und von der wir sogleich reden werden.

„Und fühlen Sie wirklich keine Reue, hierhin gekommen zu sein?“ fragte er sie eines Tages, als er sie allein im Vorzimmer ihres Oheims traf, wo sie sich in der Fensternische ein kleines Etablissement gemacht hatte und zuweilen mit einer Arbeit sich niedersetzte, wenn sie allein und doch dem Obersten nahe sein wollte. „Fühlen Sie wirklich keine Reue über Ihren Entschluß?“ fragte Frohn das junge Mädchen.

„Reue? weshalb sollte ich sie fühlen?“ versetzte sie. „Wenn ich Alles erreicht habe, was ich zu erreichen wünschte und hoffte?

Sagen Sie nicht selber, daß seit meiner Anwesenheit mein Oheim


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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_049.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)