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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

sich, ihm mit orientalischer Lebendigkeit die Preiswürdigkeit der Waare auseinanderzusetzen. Außer Lumpen und alten Kleidern gab es in der langen, engen Straße aber nichts zu verkaufen. Der Rinnstein ging mitten durch die Straße, und das Pflaster war mit Schmutz und Resten von Vegetabilien bedeckt. Dann kam ich auf den Gemüsemarkt, auf dem kleinen Platze, welchen die Trümmerreste des Theaters des Marcellus überragen. Hier war das Centrum des Verkehrs im Ghetto. Gemüse, Hühner und Stücken Rindfleisch wurden zum Verkauf ausgeboten. Der ganze Platz war ein großes Convolut von Schmutz, zerlumpten Weibern und unappetitlichen Vorräthen – doch ich will hiermit meine Schilderei des Ghetto’s in Rom beendigen, ich weiß, wie bald der Anblick dieser widerlichen Zustände mich immer aus den engen und winkeligen Straßen hinaustrieb, und ich kann dem Leser nicht mehr zumuthen, wie meinen eigenen Augen.

In diese ungesunden und schmutzigen Winkel sind die in Rom lebenden Juden gebannt. Das Edict der heiligen Inquisition, welches dieselbe im Jahre 1843 gegen die Juden in den päpstlichen Staaten erließ, und welches noch heute in seinem ganzen Umfange mit Ausnahme eines einzigen Paragraphen, nämlich, daß kein Jude die Nacht außerhalb des Ghetto’s zubringen darf, gültig ist, hält sie dort fest, indem es ihnen die Möglichkeit entzieht, anderswo zu wohnen. Das Edict lautet folgendermaßen – ich habe es wörtlich aus dem Italienischen übersetzt:

„Kein Jude darf Christen in seiner Behausung wohnen haben, Christen ernähren oder Christen in seinen Dienst nehmen, bei Strafe, nach den päpstlichen Gesetzen bestraft zu werden.
Kein Israelit darf in irgend einer in den römischen Staaten belegenen Stadt wohnen, ohne eine ausdrückliche Genehmigung und Erlaubniß der päpstlichen Regierung.
Kein Jude darf freundschaftliche Verbindungen mit Christen unterhalten.
Kein Jude darf mit Büchern und mit dem Dienst der Kirche geweihten Gegenständen Handel treiben, und zwar bei einer Strafe von hundert Thalern und sieben Jahr Gefängniß.
Bei einem Begräbniß eines Juden darf keine Feierlichkeit oder Ceremonie irgend einer Art stattfinden.
Diejenigen, welche diese Gesetze übertreten, sind der Gerichtsbarkeit der heiligen Inquisition verfallen.
Gegenwärtiges Edict wird in allen Ghetti und in allen Synagogen zur öffentlichen Kenntniß gebracht.
Der Großinquisilor Salua.“ 

Das Verbot, daß kein Jude außerhalb des Ghetto’s wohnen oder den Ghetto nach Belieben verlassen kann, ist durch die Bestimmung ersetzt, daß kein Jude ohne einen Paß seines Local Inquisitors weder sich vom Orte entfernen, noch eine Reise unternehmen darf. Ich will einen solchen Judenpaß, wie er mir in Rom vorgelegt worden ist, in wörtlicher Übersetzung hier mittheilen. Sein Inhalt wird mich alles weitern Commentars überheben.

„Dem Juden N… gebürtig aus … wird hiermit die Erlaubniß ertheilt, sich während eines Zeitraumes von … von dem Ghetto, dem er angehört, zu entfernen, aber nur unter der ausdrücklichen Bedingung, daß während seiner Abwesenheit seine Aufführung frei von jedem Fehltritt gegen unsere heilige Religion und gegen die guten Sitten ist, und daß er bei seiner Rückkehr diesen Paß sofort bei unserm Tribunal zurückreicht, und daß er sich nicht weiter entfernt, ohne eine neue ausdrückliche Erlaubniß erhalten zu haben. Ferner erlischt gegenwärtige Erlaubniß augenblicklich, wenn der Inhaber derselben sie nicht sofort an dem Orte, wo er sich aufhalten will, dem Bischof, dem Inquisitor oder deren Stellvertreter vorzeigt und sich deren Visum geben läßt. Ferner erlischt sie augenblicklich, wenn die genannten Personen der Meinung sind, sie nicht berücksichtigen zu wollen oder ihre Zeitdauer abzukürzen. Im Gegentheil sind dieselben aber auch berechtigt, die Zeitdauer derselben zu verlängern.
Ort und Datum. F. L. D., Vicar der heiligen Inquisition.“

„Sie finden diese Bestimmungen hart?“ sagte einer meiner Freunde in Rom, der mir diesen Zwangspaß zur Abschrift übergab und gegen den ich meine Entrüstung aussprach, „hart für einen römischen Juden? O, gehen Sie in’s Ghetto und sehen Sie selbst, in welch ungesunden, schmutzigen Winkel die hohe Inquisition diese Juden bannt. Wissen Sie denn, daß die heilige Inquisition den Aerzten gebietet, sobald sie zu einem kranken Juden gerufen werden, sofort dessen Bekehrung vorzunehmen und, wenn der Jude sich nicht bekehren will, ihn sofort ohne ärztlichen Beistand zu lassen?“

Ich blieb ihm vor Erstaunen die Antwort schuldig.

„Ja wohl, mein Freund,“ fuhr er fort, „das ist wirklich so! Und was wollen Sie? das ist nur consequent. In den römischen Staaten ist ein Jude ein rechtloses und schutzloses Subject. Für ihn giebt es weder Gerichte, noch Polizei. In Rom können Sie einen Juden schlagen, Sie können ihm in’s Gesicht spucken, Sie können ihn mit Steinen werfen, o, Sie können ihn schlimmstenfalls auch tödten. Noch heute wird alle Sonntage im Ghetto eine Anzahl Juden ausgesucht und in eine christliche Kirche getrieben. Es geht nach der Reihe.“

Ich staunte. „Das sind ja die Dragonerbekehrungen Ludwig des Vierzehnten!“ rief ich aus.

„Nun ja, im heiligen italienisch-römischen Reiche. Jetzt wird Ihnen die Geschichte des kleinen Mortara, welche in Europa so viel Lärm gemacht hat, wohl weniger auffallend erscheinen. Sie ist die directe Consequenz des vollkommen rechtlosen Zustandes unserer Juden. Wissen Sie denn, daß noch heute jährlich vor dem Beginn des Carneval drei Abgeordnete des Ghetto im Palast der Conservatoren zu erscheinen haben, um in demüthiger Unterwerfung das Recht eines verlängerten Aufenthalts in Rom einzuholen und durch einen Tribut die Pflicht abzukaufen, mit den Pferden auf dem Corso Wettrennen zu müssen? Erkundigen Sie sich, fragen Sie Andere, wenn Sie glauben, ich übertreibe.“

Ich fragte und erkundigte mich. Es war Alles wahr; er hatte nichts übertrieben. „Ich selbst habe es im vorigen Carneval gesehen, wie die Abgeordneten der Juden im Palast der Conservatoren erschienen, wie sie niederknieten und mit Stößen verabschiedet wurden,“ sagte zu mir ein deutscher Kaufmann aus Triest, Herr J. P. K…, den ich im Café greco kennen lernte.

Auch nach dem kleinen Mortara erkundigte ich mich. Niemand wußte, wo er geblieben war. Ein römischer Arzt versicherte mir, daß er noch in einem Kloster in Rom sei. Niemand wunderte sich übrigens in Rom über diesen Fall. In Bologna wurde mir beispielsweise eine ähnliche Geschichte erzäblt, welche die vollständige Rechtlosigkeit der Juden in ein noch helleres Licht stellt. Ein dortiger jüdischer Kaufmann hatte eine sehr schöne Frau. Ein junger christlicher Handelsmann verliebt sich in die Frau, entführt sie und flieht mit ihr nach Rom. Dort führt er sie zu einem Vicar der heiligen Inquisition; sie schwört ihren Glauben ab und verheirathet sich mit ihrem Liebhaber. Darin liegt nichts Außerordentliches; aber nun nimmt sich der Großinquisitor des neuen Paares an. Der unglückliche frühere jüdische Ehemann wird vor das Tribunal der Inquisition gefordert und wird verurtheilt, seiner frühern Frau ein jährliches Alimentationsquantum zu bezahlen. Und durch welche Gründe wurde dies originelle Erkenntniß motivirt? Die Frau des Christen, jetzt selbst eine Christin, muß dafür eine Entschädigung haben, weil sie mehrere Jahre mit einem Juden zusammen gelebt hat(!).

Man weiß im übrigen Europa gar nicht, daß das mittelalterliche Institut der heiligen Inquisition noch in Rom existirt. Mancher mag es für ein Märchen halten. Und doch ist es so. Unter die unglaublichen Dinge römischer Gerechtigkeitspflege gehört auch die Gerichtsform der heiligen Inquisition, und diese Inquisition ist mit ihren unbekannten Spionen, mit ihren heimlichen Sbirren, mit ihren düstern Gefängnissen, mit ihren Martern und Stockprügeln täglich in Thätigkeit. Eine specielle Thätigkeit entwickelt sie, wie ich schon erwähnte, seit den letzten Jahren in den Judenverfolgungen. Die weltlichen Gerichte leihen ihr ihre Gensd’armen und Polizeisoldaten, wogegen sie denselben ihre Spione borgt. In Rom und in den Provinzen besitzt sie eine Menge von heimlichen Vertrauten, welche keine Geistliche sind. Diese Vertrauten sind für die übrigen Unterthanen des Papstes äußerst gefährlich; denn sie besitzen alle Privilegien der Priester, kein bürgerlicher Gerichtshof hat ein Recht über ihre Personen. Selbst, wenn sie in flagranti bei der Ausübung eines schweren, todeswürdigen Verbrechens ergriffen werden, hat der Großinquisitor das Recht, sie abzufordern und wieder in Freiheit zu setzen, wenn er ihrer bedarf. Ihre Namen und ihre Person sind unbekannt. Wie einst die Abgeordneten der heiligen Vehme, sind sie in den Mantel düstern Geheimnisses eingehüllt. Ich habe in Rom bei meiner jetzigen Anwesenheit ein Edict dieser heiligen Inquisition gesehen, welches

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_044.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)