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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Friedrich Ernst Daniel Schleiermacher.

(Schluß.


Den bedeutenden „Reden“ Schleiermacher’s, welche schnell hintereinander mehrere Auflagen erlebten und die größte Wirkung ausübten, folgten die nicht minder ausgezeichneten „Monologe“, eine Reihe von Betrachtungen und Ansichten über den inneren Menschen voll tiefer Anschauungen und geistreicher Gedanken, die dieses Buch bald zu einem Evangelium der Gebildeten und besonders der Frauen machten. Durch beide Werke wuchs Schleiermacher’s Ruf in den Berliner Kreisen, zu denen er in eine geistige Wechselwirkung trat. Die vorzüglichsten Männer aus der Nähe und Ferne, wie Brinkmann, Schlegel, Hülsen, Willich u. s. w. schlossen sich ihm an, besonders groß aber war die Zahl seiner weiblichen Verehrer, die sich von seinen Schriften angeregt und begeistert fanden. Erst jetzt kam sein geselliges Talent zur vollsten Geltung; er war nichts weniger als ein finsterer Ascetiker, sondern wie Luther hatte auch er seine Freude am Leben und an einer unschuldigen Heiterkeit. Manches dauernde Bündniß wurde eingegangen, manche Freundschaft für die Ewigkeit geschlossen.

In jene Zeit fällt auch Schleiermacher’s Verhältniß zu einer Frau, die in unglücklicher, kinderloser Ehe lebte. Er glaubte, daß ihr inneres Leben in jener Verbindung zu Grunde gehen müsse, und hielt deshalb die Scheidung, gegen die unsere heutigen Zeloten eisern, die Auflösung eines solch innerlich unwahren Verhältnisses für eine sittliche Pflicht. Sie hatte nicht die Kraft, einen solchen Entschluß zu fassen, weshalb er nach schweren Kämpfen seiner Liebe entsagte. Diese Umstände und noch manche andere Verdrießlichkeiten, die er sich durch seine schriftstellerische Thätigkeit, zumal durch die mißverstandenen Briefe zu der berüchtigten „Lucinde“ seines Freundes Schlegel zugezogen hatte, verleideten ihm seinen Berliner Aufenthalt, so daß er es vorzog, eine Stelle als Prediger in Stolpe anzunehmen. Vorher schon hatte er sich mit Schlegel zu einer gemeinschaftlichen Uebersetzung des „Plato“ verabredet, die er später ganz allein beendete. Auch ließ er eine Sammlung seiner Predigten erscheinen, Muster eines gediegenen, klaren Vortrags, reich an Gedanken und allerdings weit mehr auf das Denkvermögen und den Verstand seiner Zuhörer, als auf ein frömmelndes Gefühl oder religiöse Phantasie berechnet. – Auch in seinem Exil blieb er der Wissenschaft und der von ihm einmal eingeschlagenen Richtung treu; hier veröffentlichte er die „Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre“ und „Zwei unvorgreifliche Gutachten in Sachen der protestantischen Kirche“, das letztere Werk ohne seinen Namen, beide aber ausgezeichnet durch ihre scharfsinnige Dialektik. –

Im Jahre 1804 erhielt Schleiermacher, dessen Verdienste in der gelehrten Welt volle Anerkennung fanden, nachdem er den Ruf an die Universität zu Würzburg abgelehnt, eine Anstellung als außerordentlicher Professor der Theologie und Philosophie in Halle. Hier schloß er mit Steffens den herzlichsten Freundschaftsbund; auch nahm er seine Halbschwester Nanni zu sich, die später die treue Lebensgefährtin unseres Vater Arndt wurde. Nur zwei Jahre dauerte seine akademische Wirksamkeit in Halle, da in Folge der Schlacht bei Jena und der französischen Invasion durch einen Machtspruch Napoleons die Universität aufgelöst wurde. Schleiermacher kehrte nach Berlin zurück, wo er als Prediger eine Anstellung fand; zugleich hielt er, wie Fichte, öffentliche Vorlesungen. Von der Kanzel herab wirkte er in jener für Preußen so traurigen Zeit im herrlichsten Sinne für Belebung des Patriotismus, für Hebung und Weckung der Vaterlandsliebe, indem er unerschrocken den Drohungen der fränkischen Machthaber trotzte und unerschütterlich inmitten der Bajonette Davoust’s blieb. Im gleichen Sinne schrieb er auch damals seine „Weihnachtsfeier“, voll erhabener Gedanken, die Zeugniß für seine Hochherzigkeit ablegten. Erst im Jahre 1809 wurde er als Pastor der Dreifaltigkeits-Kirche fest angestellt, worauf er sich mit der Wittwe seines verstorbenen Freundes von Willich verheirathete, die ihm aus erster Ehe einen Sohn und eine Tochter zubrachte, bei denen er Vaterstelle vertrat. Sie gebar ihm einen einzigen Knaben, Namens Nathanael, der ihm zum größten Schmerze im neunten Jahre wieder entrissen wurde. – Unterdeß war durch Stein, Hardenberg und Scharnhorst die Regeneration des preußischen Staates eingeleitet und zum Theil beendet worden. Mitten im Drangsal und unter dem Joche des fremden Eroberers begann jene herrliche Zeit der staatlichen Wiedergeburt, an der auch Schleiermacher seinen redlichen Antheil als Lehrer an der neu begründeten Universität zu Berlin hatte. Als solcher wirkte er auf die studirende Jugend durch die Kunst und Anmuth seines Vortrages, durch die Tiefe und den Scharfsinn seiner Gedanken, vor Allen aber durch die freisinnigen Anschauungen, die er in die nur zu sehr verknöcherten Begriffe der damaligen Theologie brachte. Er war gleichsam der Gründer einer neuen theologischen Schule, welche die Harmonie des Wissens und des Glaubens anstrebte und den echt protestantischen Fortschritt gegenüber einer beschränkten Orthodoxie und einem überschwänglichen Pietismus vertrat. Für diese Gesinnung legt seine „kurze Darstellung des theologischen Studiums“ ein sprechendes Zeugniß ab.

Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden von der Berliner Akademie durch die Ernennung zu ihrem Mitgliede belohnt. In ihren „Denkschriften“ veröffentlichte er eine Reihe höchst bedeutender Abhandlungen zur Geschichte der alten Philosophie. Aber Schleiermacher war keiner jener Stockgelehrten, die über ihre Studirstube die Welt vergessen. Stets nahm er den lebendigsten Antheil an den großen Ereignissen seiner Zeit, vorzugsweise an dem Schicksale seines Vaterlandes. Als Jung und Alt zu den Waffen griff und sich zum Befreiungskriege rüstete, war auch er bereit, sein Blut und Leben zu opfern. Er trat mit den Vaterlandsfreunden in Verbindung und manche gefährliche politische Sendung übernahm er trotz der damit verbundenen Gefahr. Zugleich wurde er ein thätiges Mitglied des Landsturmes und der zur Vertheidigung der bedrohten Hauptstadt niedergesetzten Schutzcommission. Wenn er seine Vorträge an der Universität beendet, seine Predigt für den nächsten Sonntag entworfen, dann vertauschte er den Hörsal mir dem Exercirplatz, die Feder mit der Lanze, bereit mit Wort und That dem Vaterlande zu dienen. – Aber auch nach dem erkämpften Siege gegen den fränkischen Unterdrücker blieb Schleiermacher jener Freiheit treu, die, nachdem sie ihren Dienst gethan, von vielen Fürsten und Staatsmännern verleugnet und verfolgt wurde. Auch in Preußen begann eine Zeit der Reaction auf religiösem und politischem Gebiete. Das Wartburgfest und die Ermordung Kotzebue’s boten einem Schmalz und Consorten die willkommene Gelegenheit, gegen den freien Geist der deutschen Jugend und der Universitäten zu eifern, die Freunde des Fortschrittes und wahren Patrioten zu verleumden. Unbekümmert um seine weltliche Stellung, ohne Scheu vor den Machthabern trat Schleiermacher der Gemeinheit entgegen, indem er die von oben begünstigten Anklagen des Geheimrath Schmalz mit Entrüstung und platonischer Dialektik bekämpfte, obgleich er wohl wußte, daß er dadurch sich viele einflußreiche Feinde weckte. Aber ihm stand die Wahrheit höher als jeder irdische Vortheil. Auch in kirchlichen Angelegenheiten behauptete er seine Unabhängigkeit und den Ruf der Freisinnigkeit, wie sein Angriff gegen den Oberhofprediger von Ammon und sein ironisches, geistvolles Glückwünschungsschreiben an die zur Verbesserung der preußischen Liturgie niedergesetzte Commission bewies. Ihm standen, wenn er wollte, die Waffen eines vernichtenden Witzes wie Wenigen zu Gebote; um so höher ist darum seine Mäßigung den Gegnern gegenüber zu bewundern. Nichts desto weniger scheute er nicht den Kampf für die Freiheit und das Licht der Vernunft, welches die protestantischen Jesuiten zu verdunkeln suchten.

Dafür zollten ihm die bedeutendsten Männer seiner Zeit ihre Achtung und Anerkennung. Seine Mitbürger ehrten ihn mit vielfachen Beweisen ihres Vertrauens, seine Predigten wurden von dem gebildetsten Theile der Hauptstadt mit Bewunderung gehört, und die Dreifaltigkeitskirche faßte kaum die Zahl der Zuhörer, die sich an seinem lebendigen Worte erlabten. Er lehrte auf der Kanzel das wahre Christenthum, die Religion der Duldung, der Demuth und Liebe; auf dem Katheder der Universität bildete er eine Reihe von Theologen, wie Jonas, Sydow etc., die das protestantische Princip in seiner Reinheit wahrten. Weit über die Grenzen Deutschlands drang sein Ruf, wofür er bei seiner Anwesenheit in Kopenhagen den glänzendsten Beweis erhielt. Mit Begeisterung wurde er daselbst empfangen, von dem Dichter Oehlenschläger bei einem ihm zu Ehren veranstalteten Festmahle mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_039.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)