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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

braunen Augen, derselbe feingeschnittene Mund mit den frischen rosigen Lippen, die gebogene Nase – nur war die Baronesse mit dem polnischen Namen eine stattliche, glänzende, blendende Erscheinung, und Esther war eine schmächtige, schüchterne, ärmlich gekleidete Jüdin gewesen.

Frohn ließ eine Weile gedankenvoll sein Auge auf der Fremden haften, dann erst, wie sich besinnend, schob er einen Fauteuil herbei, bat die Baronin Platz zu nehmen, und erbrach das Schreiben. Es war unterzeichnet vom Hofkriegsrath-Präsidenten Graf Harrach, und enthielt die Erlaubniß für die Baronesse Agnes Mirzelska, sich zu ihrem Oheim, dem Obersten von der Trenck, auf den Spielberg zu begeben und, um denselben zu pflegen, dessen Gefangenschaft zu theilen; der Commandant wurde autorisirt, sie innerhalb der Citadelle aufzunehmen und sie in einer Weise, wie es mit einer rücksichtvollen Behandlung sowohl, wie mit den Vorschriften des Dienstreglements verträglich, in der Nähe ihres Oheims einzuquartieren und mit dem letzteren frei verkehren zu lasten.

„Sie haben sich da eine schwere Aufgabe gestellt, Baronesse,“ sagte Frohn, indem er das Schreiben auf den Tisch legte – „welcher Entschluß für eine so junge Dame, die das Leben in der Freiheit draußen mit allen Reizen und Freuden der Welt umgiebt!“

„Der Entschluß ist nicht so heroisch, wie Sie glauben,“ antwortete die junge Dame lächelnd. „Ich bin die Tochter einer Schwester des Obersten von der Trenck. Meine Mutter war an den Baron Mirzelski in Agram verheirathet, der dort in kaiserlichen Diensten stand, aber bereits vor zehn Jahren gestorben ist. Seitdem lebte ich einsam und eingezogen mit einer jüngeren Schwester bei der Mutter, ohne einen Lebenszweck, ohne eine Thätigkeit zu haben, welche meine Stunden und Gedanken ausfüllte. Ich war von jeher eine Bewundererin männlicher Tapferkeit und kriegerischen Ruhmes – was ich von meinem Oheim vernahm, erfüllte mich schon als Kind mit der wärmsten Verehrung.“

„Kennen Sie Ihren Herrn Oheim?“

„Nein – er hat, so weit meine Erinnerung reicht, meine Eltern niemals in Agram besucht – nur selten hat meine Mutter auf einen ihrer Briefe eine kurze und lakonische Erwiderung zu erhalten das Glück gehabt, aber…“

„Aber Sie haben ihn von den Ihrigen schildern gehört? Mögen die Farben, in denen es geschah, nicht allzusehr von denen verschieden sein …“

„O, ich weiß, was Sie sagen wollen, mein Herr,“ fiel lebhaft die Baronesse ein, „ich weiß, was Alles meinem armen Oheim, vielleicht mit Recht und vielleicht auch mit Unrecht, Schuld gegeben wird – ich weiß aber auch, daß ein Mann, der Thaten vollbringt, wie er sie vollbracht hat, der mit solcher Gleichgültigkeit dem Tode in’s Auge sehen kann, kein unedler Mensch ist – ein Held ist nie ein Mensch, dem wir berechtigt wären, unsere Theilnahme zu entziehen.“

„Es ist wahr,“ sagte Frohn, „im Rausche der Schlacht, im Sturm leidenschaftlicher Erregung hat er den Tod nie gefürchtet … aber –“

Er schwieg; er dachte an die Scenen von Engelhardszell, aber es konnte seine Aufgabe nicht sein, den schönen Enthusiasmus der jungen Dame zu bekämpfen.

„Und wenn nun gar die Bande des Bluts uns die Pflicht auferlegen,“ fuhr sie eifrig fort, „ihm unsere Sorge und Liebe zu widmen, sollen wir dann nicht dem Himmel danken, daß er uns eine Pflicht zuwies, in deren Erfüllung für uns so viel innere Befriedigung liegt, die so mit dem Drange unseres Herzens in Harmonie steht?“

„Und doch,“ versetzte Frohn, „kann die Erfüllung dieser Pflicht eine sehr schwere sein – deshalb dürfen Sie mir auch den Ausdruck meiner Bewunderung für Ihren Heroismus verstatten, da ich durchaus nicht die Absicht habe, Ihren Entschluß zu bekämpfen. Ist Ihr Herr Oheim von Ihrer Anknnft unterrichtet? Ich muß annehmen, nein,“ setzte Frohn mit einem leisen Lächeln hinzu, „da ich eine Correspondenz zwischen ihm und Verwandten zu Agram nicht bemerkt habe.“

„Er ist es in der That nicht; wir wußten nicht, welche Vorschriften zu erfüllen seien, um ihm Briefe zukommen zu lassen, aber ich sehne mich zu ihm zu eilen, und wenn Sie mir die Erlaubniß geben –“

„Ueber mich haben Sie von diesem Augenblicke an zu befehlen, mein gnädiges Fräulein; es kommt nur darauf an, daß wir die Erlaubniß des Obersten von der Trenck erhalten, Sie ihm vorzustellen.“

„Seine Erlaubniß? … mein Oheim wird doch, denke ich, freudig und gerührt die Tochter seiner Schwester aufnehmen.“

„Ein Anderer würde es doppelt,“ versetzte Frohn, „weil sie die Tochter seiner Schwester ist und weil sie kommt, ein schweres und trübes Dasein mit ihm zu führen, in einem Kerker! Der Oberst von der Trenck ist aber nicht der Mann, auf den die Schlüsse Anwendung finden, welche man bei andern, nach der gewöhnlichen Regel empfindenden Menschen zu machen berechtigt ist. Sie müssen mir deshalb verstatten, Sie ihm anzukündigen und Ihnen, so zu sagen, die Wege zu ihm zu bereiten.“

Mit diesen Worten nahm er Hut und Säbel, und nachdem er die Dame gebeten hatte, seine Rückkehr abzuwarten, verließ er raschen Schritts das Gemach. Es war allerdings nicht seines Amtes, bei dem Obersten von der Trenck einen Besuch anzukündigen, dem er die Ermächtigung gegeben hatte, den Gefangenen zu sehen. Aber eine plötzlich erwachte, mit einer eigenthümlichen Aufregung verbundene Sympathie für die junge Dame trieb ihn an, dieser die Wege zu ebnen. Er wollte nicht, daß sie den Schmerz erfahren sollte, ihr gutmüthiges, von einem schönen Eifer erglühendes Herz zurückgestoßen zu sehen, wenn Trenck vielleicht in einer seiner menschenfeindlichen Launen und unnahbaren Stimmungen sei – er wollte nicht, daß die Wirklichkeit, welcher die junge Dame entgegenging, in gar zu niederschlagendem und entsetzlichem Contrast stehe mit dem, was ihre schwärmerische junge Seele sich träumte, indem sie sich das Bild des berühmten Helden, ihres Oheims, ausmalte.

Draußen sandte er eine Ordonnanz in die Wohnung Trenck’s, um sein Kommen anzumelden, und trat gleich nach dieser in das Gemach des gefangenen Panduren-Obersten.

„Sie treten ein wie der Kaiser,“ rief ihm Trenck mürrisch entgegen, sich mit dem in einen weiten Schlafpelz gehüllten Oberkörper ein wenig aus seiner ruhenden Lage von einem breiten Wanddivan erhebend. – „Die Thüre wird aufgerissen und: Der Herr Commandant! schreit man mir herein. Nun, der Herr Oberstwachtmeister ist ja der Kaiser auf dem Spielberg!“

„Entschuldigen Sie, mein lieber Herr Oberst, wenn ich ein wenig sans façon bei Ihnen eintrete … es geschieht im Eifer, Ihnen einen angenehmen Besuch anzukündigen, ja mehr als das …“

„Möchte wissen, welcher Besuch mir angenehm sein könnte,“ fiel Trenck ein, „es möchte denn der des Teufels sein, den ich alle Tage herbeirufe, um ihm meine Seele zu verkaufen!“

„Und statt des Teufels, der es nicht für nöthig findet, sich zu Ihnen zu bemühen, kommt ein Engel, der zu Ihnen will.“

„Was soll das heißen?“ fragte Trenck aufschauend.

„Sie haben eine in Agram wohnende Schwester, die mit einem Baron Mirzelski vermählt war … sie besitzt zwei Töchter …?“

„Und diese Sippschaft,“ fiel Trenck mit einem Fluche ein, „will mir über den Hals kommen? … beim Teufel, ich will nichts davon wissen … bin ich der Mann für ein Rudel Weibsleute, die mich ausplündern, mich mit ihren jammervollen Familien-Angelegenheiten behelligen? … halten Sie mir das Volk vom Leibe, Herr, ich will nichts davon wissen!“

„Aber so hören Sie doch nur, Oberst, es handelt sich gar nicht um die ganze Familie Mirzelski, wie Sie voraussetzen, sondern nur um die älteste Tochter Ihrer Schwester, Agnes Mirzelska, die mit dem heldenmüthigen Entschlusse gekommen ist, Ihre Einsamkeit zu theilen und zu erheitern, Ihnen als Pflegerin, wenn Sie unwohl sind, zu dienen.“

„Nun wahrhaftig,“ lachte Trenck höhnisch auf, „ich bin der rechte Mann, wenn ich Leibschneiden habe, mich von einer Dame verpflegen zu lassen! Es ist Alles dummes Zeug – die Gans ist abgeschickt, um mich auszubeuten, mich zu bestehlen, Erbschleicherei zu treiben – kurz, sie soll gehen, woher sie gekommen ist!“

„Sie sind ein grenzenslos undankbarer Mann, Oberst,“ sagte Frohn sehr ernst. „Wenn diese groß und edel denkende junge Dame kommt, sich aus Theilnahme an Ihrem Schicksal hier mit Ihnen auf den Spielberg einzuschließen – glauben Sie dann, Ihr Geld, Ihr elender Mammon sei im Stande, ein solches Wesen für die Existenz zu bezahlen, welche es Ihnen opfert? Sie sind ein Thor! Damit Sie einsehen, wie sehr Sie es sind, werde ich Ihnen die junge Dame jetzt bringen, und Sie werden sie mit

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_035.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2020)