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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

ich bedauerte den schönen Wald in seiner Jungfräulichkeit, daß auch er den Angriffen einer geldgierigen materiellen Welt nicht widerstehen konnte. Bald wird deine Poesie vorbei sein!

Aber weiter und weiter stiegen wir, und immer wilder und unwegsamer ward die Gegend. Der Boden war stellenweise sumpfig, große Felsstücke lagen uns im Wege, die wir umgehen, oder halbvermoderte Bäume, über die wir hinwegklettern mußten. Das Kraut der Heidelbeeren reichte bis über unsere Kniee und netzte uns, während ihre schwarzen Früchte uns labten.

Es war 8 Uhr, als wir an einem kleinen Hochplateau ankamen, das die Wäldler wegen seiner starren wilden Eigenthümlichkeit sehr charakteristisch den „Eisbären“ nennen. Die Kälte verbunden mit den scharfen Winden, die den größten Theil des Jahres hier herrscht, ist der Grund, daß die abgestorbenen Stämme weniger bald faulen und stürzen. Wie man ihre Brüder tief unten, dahingestreckt auf ein weiches Blätterbett oder sanftes Moos, Baumleichen nennt, so könnte man diese, welche die Kälte vor Verwesung schützt, mit vollem Rechte die Mumien des Waldes nennen. Ihr Aussehen hat ganz das Kalte und Starre des Todes.

Als wir auf die freie Stelle hinaustraten, bot sich mir ein überraschender Anblick dar. Vor mir lag die Kuppe des Lusen, vielleicht die einzige ihrer Art. Man denke sich einen ziemlich hohen Berg aus lauter Steinplatten, die der Zufall über einandergeworfen hat, so sieht der Lusen aus. Zwischendurch am Fuß der Kuppe kriecht die Krummholzkiefer, während der bei weitem größere Theil ganz kahl ist. Eine feine dünne Flechtenart giebt dem ganzen Steinhaufen eine eigene metallische Färbung und verleiht diesem sonst so kahlen und öden Platze eine sonderbare Stimmung. Als wir die Kuppe bestiegen, sah ich, daß die übereinanderliegenden Platten fast ohne Unterschied einander gleich waren. Sie mochten anderthalb bis zwei Fuß dick und fünf bis sechs Fuß lang und fast ebenso breit sein, und deutlich konnte man durch die Klüfte hindurch die darunter liegenden sehen, sie waren sich alle gleich. Das Steigen selbst war gerade nicht gefährlich zu nennen, doch erforderte es Aufmerksamkeit, denn ein unvorsichtiger Tritt konnte leicht einen Beinbruch oder eine Verrenkung zur Folge haben. Von der Spitze aus hat man eine prächtige Umsicht sowohl auf die untenliegende große Waldmasse, als auch hinein in’s Böhmerland, aber der Wind, der von dorther bläst, ist kein guter, er schneidet schier den Leib durch und dringt bis in’s Mark, so daß wir bald Abschied nehmen mußten. Unten wieder angekommen, nahm ich mein Skizzenbuch und zeichnete mir den sonderbaren Gesellen, den ich kaum wieder sehen werde, in flüchtigen Umrissen, um mich manchmal an seinem unwirschen Aussehen ergötzen zu können.

Wir wandten uns nun zum Rückwege und bogen links ab. Je höher die Sonne emporstieg, desto beschwerlicher ward unser Marsch. Die Kühle des Morgens war verschwunden, und unter den Bäumen herrschte eine warme, dunstige Luft, die uns in Schweiß versetzte und ermattete. Dessenohngeachtet aber nahm mein Interesse für den mich umgebenden Wald nicht ab, und ich betrachtete mit wahrem Entzücken diese Waldriesen. Mein Freund führte mich auf den sogenannten Tummelplatz, einen großen mit Palissaden eingeschlossenen Raum, in dessen Mitte früher eine Diensthütte gestanden hatte, die aber niedergebrannt und von der nichts mehr zu sehen war als ein hoher Kamin, der trauernd auf die verbrannte Stätte niedersah. Wilddiebe hätten sie angezündet, erzählte mein Begleiter und sprach dabei von der Schönheit des Gebäudes und von den Annehmlichkeiten, die sie den Forstleuten bot, deren Revier so ausgedehnt und beschwerlich sei wie dieses hier. Was die Vortheile betraf, die sie gewährt hatte, so war ich weit entfernt, dieselben in Frage zu stellen, und was die Schönheit anbelangt, so mußte ich gestehen, daß sie in ihrer Zerstörung auch kein übles Bild darbot. Der wilde weite Wald ringsum, schwarz und finster, der von Palissaden umschlossene öde Raum, geräumig genug eine ganze Viehheerde bequem aufnehmen zu können, die niedergebrannte Hütte, von der blos die Grundmauern noch sichtbar waren, der rauchgeschwärzte Kamin und die halbverbrannten und verkohlten Balken ringsum – wahrlich, es gehörte wenig Phantasie dazu, um sich eine von blutdürstigen Wilden zerstörte Wohnung eines Ansiedlers in den Urwäldern Amerika’s zu denken. Und während mir dergleichen Gedanken durch den Sinn zogen, sah wirklich das Gesicht eines Wilden zur Umzäunung herein, kupferfarben und mordlustig vielleicht. Mit einem Ausrufe der Ueberraschung zeigte ich darauf hin.

„Das ist mein Waldaufseher“ sagte mein Freund, „ich habe ihn mit den Hunden und ein paar Treibern hieher bestellt; wir wollen sehen, ob uns da unten an der Seebacher Aue nicht ein Bock anspringt.“

Nickl, so, glaube ich, hieß der Mann, war, wenn auch kein Hurone aus den Urwäldern Amerika’s, doch jedenfalls ein gezähmter Wilder aus dem bairischen Walde. Er war nicht groß von Gestalt, aber die breite Brust, die sehnigen Arme und stämmigen Beine zeigten von einer körperlichen Kraft, die allen Widerwärtigkeiten, mochten sie von den Launen des Wetters oder von den Tücken der Menschen kommen, Trotz bieten konnte. Das Gesicht war fast kupferfarben roth und ebenso die von Haaren bedeckte Brust, die das offene Hemd schauen ließ. Uebrigens war sein Blick freundlich und sein Auge grau und hell, aber unruhig, immer suchend und spähend. Den eisengrauen Locken nach zu schließen, die unter dem dicken Filzhute hervorguckten, mußte er die Fünfziger bereits stark angetreten haben.

Er betheiligte sich sogleich an dem Gespräche und indem er auf die Brandstätte wies, sagte er: „Da haben uns die Strauchdiebe eine schöne Bescheerung angerichtet. Das schöne Haus! Das hätten Sie sehen sollen, wie wohnlich und ruhesam es da war. Es ist es ein wahres Kreuz: jetzt, wo das Wild wieder mehr wird, treiben auch die Wilddiebe wieder ihr Handwerk.“

„Wild und Wilderer,“ sagte der Förster, sind unzertrennlich; aber neuerdings wird die Sache wieder recht ernstlich. Vor ohngefähr vierzehn Tagen wurden ein College von mir und sein Waldaufseher, als sie unvermuthet auf eine solche Bande stießen, ohne Weiters niedergeschossen, und es steht sehr in Frage, ob sie noch aufkommen. Sie sind Beide Familienväter, und letzterer hat neun Kinder. Ein Anderer, da drüben,“ und dabei wies er mit dem Daumen über die Achsel zurück und nannte den Ort, „trägt noch das gehackte Blei mit sich herum, und sein Gehülfe hat einen Schuß im Schenkel. Zwar schoß dieser auch einen nieder, allein man konnte trotz des starken Schweißes den Kerl nicht ausfindig machen.“

„Ja, und diesen Morgen hat mir der Rottmeister da unten am Steinbrückel erzählt, daß letzten Sonntag drüben in Schönau die beiden Fuchsgruber, Vater und Sohn, geschossen heimgebracht wurden. Die haben’s lang verdient, aber der Krug geht so lang zum Brunnen bis er bricht.“

„Das ist ja ein förmlicher Krieg, den Ihr da führt,“ rief ich entsetzt aus, „läßt sich denn dem Unwesen nicht steuern durch fleißiges Begehen der Orte, wo diese Frevler ihr Unwesen treiben, und durch genügende Vermehrung des Forstschutzpersonales?

„Nicht möglich,“ erwiderte mein Freund. ”Wenn diese Diebe von hiesiger Gegend wären, so dürfte das am Ende nicht schwer sein, aber so sind es meist Bursche ganz unten herauf aus dem Wegscheid’schen oder aus dem obern bairischen Wald, die sich zusammenthun, vierzehn Tage eine ganze Waldstrecke, Staats- und Privat-Waldungen durchjagen, was sie bekommen können, mitnehmen und dann monatelang nichts mehr von sich hören lassen.“

„Da hilft nichts als so schnell als möglich der Erste am Drücker zu sein,“ sagte Nickl, indem er den Hahn überzog und ihn wieder in die Ruhe zurückfallen ließ. Und dabei hatte er wirklich etwas von indianischer Mordlust im Gesichte.

„Ihr würdet also,“ erwiderte ich, „einen Menschen niederschießen, auch wenn Ihr es ungesehen von ihm thun könntet, also ohne eigentliche Nothwehr?“

„Ob ich es thun würde!“ sagte Nickl ganz erstaunt ob meiner Frage, „ganz gewiß werde ich ihn niederschießen, wenn er sich bewaffnet in unserm Reviere blicken läßt. Und was die Nothwehr betrifft, so ist meinen Begriffen nach unser Einer immer im Zustande der Nothwehr.“

„Nickl hat Recht,“ sagte mein Freund, „denke Dir zum Beispiel da oben am Lusen einen verwundeten Menschen, ob der wohl nach Hause käme? Ich glaube nicht; überdies kann Nickl ein Lied davon singen.“

„Ein garstiges Lied das, es hat mir lange in den Ohren geklungen,“ erwiderte der Andere.

„Halt, Alter,“ sagte ich, „heraus mit dem Liede.“ Und Nickl, ohne sich weiter bitten zu lassen, erzählte: „Als die Geschichte, die ich erzählen will, sich zutrug, war ich als Waldaufseher da draußen, weiter der Donau zu. Wir hatten nebst einem prächtigen Wildstand in unserm Reviere auch einige Bergbäche mit den herrlichsten Forellen, die ich theilweise

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_026.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)