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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

nachrief. Er ging gleich links in die Thorstraße hinein, aber so schnell, daß er mir alsbald aus den Augen war.“

„Sie erkannten ihn nicht, Sinefsky?“

„Zu Befehl, nein, Herr Hauptmann. Er hatte sich fest eingemummt, so daß ich vom Gesicht nicht einen Schimmer sah – es war auch zu finster. Wenn ich aber Gang und Gestalt bedenke, glaub’ ich kaum, daß es ein Hiesiger; ich müßt’ ihn d’ran erkannt haben. Es hat mich hinterdrein schon geärgert, daß ich ihn nicht angehalten. Grund dazu hätt’ ich gehabt; da er mich streifte, spürt’ ich’s, daß er unter dem linken Arm irgend etwas Hartes tragen müsse. Aber ich konnte doch auch nicht glauben, daß ein solcher Herr – so sah er aus – contrebandire. Doch habe ich auf der Wache gesagt, er sei mir wie Einer mit einem schlechten Gewissen vorgekommen, und seit ich heut Morgen von der Mordgeschichte im „hohen Hause“ erfahren, bin ich schon der Meinung gewesen, ich solle zum Herrn Hauptmann gehn und meine Meldung machen. Der Herr Hauptmann waren ja gut Freund mit dem Rath Schenk und können glauben – der Nachtvogel war der Mörder. Er kam grade daher, wo er herkommen mußte.“

„Wie meinen Sie das, Sinefsky?“ fragte ich betroffen durch seine Sicherheit.

„Herr Hauptmann, ich bin oft genug auf dem Walle, grade vor des Raths Garten stehen geblieben,“ entgegnete der Mann, „und habe mir meine Gedanken gemacht, wozu man doch – der Herr Hauptmann halten zu Gnaden – Wachtposten an die Thore stelle, da kein Contrebandeur Narr genug sein würde, durchs Thor zu laufen, während ihm überall anderwärts bessere Wege frei sind. Sehn der Herr Hauptmann sich einmal den Altan auf der Mauer an; es ist draußen ein Strebepfeiler abgebröckelt, daß ein leidlich gewandter Mensch dran wie auf der bequemsten Treppe auf- und absteigen kann. In den Garten hinab zu kommen ist ja pure Kinderei. Und solche Punkte giebt’s rund um das alte Nest noch mehrere, wenn auch nicht ganz so bequeme. Verlassen sich der Hauptmann darauf, da ist der Mordbube aus- und eingegangen. – Ich weiß sogar,“ setzte er zögernd hinzu, „daß der Weg schon sonst benutzt wurde. Ich will keinen Cameraden angeben, Herr Hauptmann, und bitte mich den Namen verschweigen zu lassen – aber es ist ein Jäger dort mehrmals Nachts zu dem kleinen Mädel geschlichen, das im „hohen Hause“ dient.“

„Ich dachte einen Augenblick nach, bevor ich sagte: „ich will nichts von ihm wissen, Sinefsky; Sie sind ein wackerer Mensch. Aber eins müssen Sie – und zwar mit Vorsicht – herausbringen: ob der Mann stets nur auf Verabredung zu dem Mädchen gegangen ist oder so oft und wann er mochte.“

„Der Herr Hauptmann meinen wohl, ob der Riegel an der Hinterthür für gewöhnlich geschlossen war oder zurückgeschoben?“ fragte er mit einem schlauen Blick. „Das weiß ich schon. Mein Camerad hat oft genug darüber gejammert, daß die Dirne ihn stets selber herein- und hinauslassen wolle, weil sie so ängstlich mit dem Riegel sei.“

„Es ist gut, mein Freund,“ sprach ich nach einer Weile. „Gehen Sie jetzt, reden Sie nichts über das, was wir gesprochen, geben Sie aber fleißig Achtung, ob Ihnen in der Stadt nicht doch jemand begegnet, der Sie an jene Nachterscheinung erinnert. Melden Sie mir alles sogleich.“ Und nachdem ich ihn so entlassen, nahm auch ich Degen und Mütze, um in’s Trauerhaus hinüber zu gehen und dort die Anderen zu treffen.

„Neues gab es nichts als das, was ich mitbrachte, und wir schritten daher zur Untersuchung des Hofes und Gartens. Die Hofmauer zeigte wirklich keine Spur, daß jemand übergestiegen; im Garten waren allerdings ein paar sehr ausgetretene Fußstapfen bis zum kleinen Bassin in der Mitte, während jenseits bis zur Mauer und zum Altan nichts mehr zu sehn war. Das schien jedoch leicht erklärlich. Der Garten fiel von der Mitte gegen den Hof zu stark ab, so daß sich alle Feuchtigkeit aus dem obern Theile hieher zog und den Boden trotz des Kiessandes in den Steigen so erweichte, daß ein Fuß sich abdrücken mußte. – Droben war der Kies dagegen trocken und nahm, wie wir an unseren eigenen Schritten beobachten konnten, keinen bemerkbaren Eindruck an. Auf der Altantreppe fanden sich aber wieder Spuren – d. h. Kiessand, den der feuchte Stiefel mitgenommen. Oben zeigten sich statt dessen Stückchen von der schweren schwarzen Erde, die man drüben in dem großen Garten fand, und eben solche Spuren sah man auf den Vorsprüngen, die den abgebröckelten Pfeiler wirklich zu einer ganz bequemen Treppe machten. So konnte über den Weg des Mörders kein Zweifel sein – man sah ihn herein und hinaus.

„Während wir so beschäftigt waren, machte einer der in Haus und Hof umherspürenden Polizeidiener eine neue, eigenthümliche Entdeckung. Unmittelbar neben der Hofthür kam eine blecherne Rinne vom Dach herunter und endete in einer großen Wassertonne. Im Winkel zwischen Tonne und Mauer sah der Mann einen großen sogenannten Bodenlumpen zusammengedrückt, und als er ihn ausbreitete, fand er darin Spuren von Erde, Sand und Kies und überdies ein paar schwärzlich gefärbte Stellen. Der Mörder hatte also den Lumpen, den das Mädchen nach seiner Angabe am Dienstag-Nachmittag zum Trocknen auf die Garten-Staketen gehängt und seitdem vermißt haben wollte, dort gefunden und schlau genug zum Abwischen der feuchten und beschmutzten Stiefel benutzt, damit Sand und Kies auf den Treppenstufen kein Geräusch machen möchten. Und bei dieser Gelegenheit bekannte denn auch die Dirne unter Jammer und Thränen, daß sie am Morgen nicht nur den Riegel zurückgeschoben, sondern auch die Thür selbst angelehnt gefunden. Sie habe jedoch nur an einen etwaigen Diebstahl gedacht und mit Todesangst, aber vergeblich alles durchsucht, ob irgend etwas fehle. Damit schlossen sich für jetzt die Entdeckungen.

„Andere Spuren verschwanden sogar wieder. In Schenk’s Schlafzimmer fanden sich nämlich in einer Ecke ein paar Convolute Briefe, welche nach Angabe seiner Mutter in dem kleinen Secretair aufbewahrt worden waren, und die der Mörder als für ihn werthlos oder hindernd bei der Durchsuchung der Papiere ungeduldig zur Seite geworfen zu haben schien. Dann entdeckte man in einem Nebenfach von Schenk’s Schreibtisch ein genaues Verzeichniß alles dessen – der Papiere so gut wie des Schmucks und der Erbstücke – was von ihm im Schränkchen niedergelegt worden war – er war trotz mancher anscheinend abweichenden Züge sehr ordentlich und pünktlich in Verwahrung und Verwaltung seines Eigenthums.

„Eine Vergleichung dieses Verzeichnisses mit dem Inhalt des Schränkchens ergab nun das überraschende Resultat, daß von den Papieren, obgleich sie sichtbar eifrig durchsucht worden, anscheinend nicht ein einziges Stück fehlte. Von den Werthsachen dagegen waren die Brillant-Trauringe seiner väterlichen Großeltern, eine eben daher stammende, mit Brillanten besetzte Uhr, vor allem aber ein sehr werthvolles chirurgisches Besteck, an dem mit Ausnahme der Klingen alles von Gold, und eine ziemlich große Cassette mit drei prachtvollen silbernen Pokalen verschwunden – beide letzteren Stücke Geschenke zu dem Amtsjubiläum seines Großvaters von den Collegen und der Familie. Die Cassette war es denn wohl gewesen, die meinen Sinefsky in der Unglücksnacht gestreift hatte. Unerklärlich blieb aber, daß der Verbrecher nur Gegenstände mitgenommen hatte, die, wie ich schon gesagt und wie ihr jetzt begreifen werdet, auf das Genaueste zu beschreiben waren und augenblicklich wieder erkannt werden mußten, wenn sie jemals zum Verkauf ausgeboten wurden oder überhaupt jemand zu Gesicht kamen.

„Während dieser Untersuchung, bei der Huber und ich zugegen waren, machte ich an mir eine Erfahrung, von der ich bisher wohl gehört, an die ich aber nie geglaubt hatte – daß der Mensch nämlich zuweilen plötzlichen – sagt: Einflüssen, Eindrücken, Regungen, Ahnungen, kurz wie ihr wollt – unterworfen ist, über welche er sich in keiner Beziehung Rechenschaft zu geben vermag. In dem Augenblick nämlich, als der das Protokoll führende Referendar von dem Verzeichniß ablas: „14., ein chirurgisches Besteck meines Großvaters, ihm von seinen Collegen zum Jubiläum geschenkt, die Griffe von fein ciselirtem Gold,“ – und als Sterning, der selbst die Untersuchung des Schränkchens übernommen hatte, nach einer Weile sagte: „fehlt!“ – mußte ich plötzlich unwillkürlich an einen Arzt des Städtchens denken, den Doctor Helmreich, einen angenehmen, feingebildeten und beliebten Mann meines Alters, der sich besonders als Chirurg eines großen Rufs erfreute. Er hatte sich neuerdings häufig aus der Gesellschaft zurückgezogen, ich war bisher selten mit ihm zusammen getroffen und kannte ihn eigentlich nur vom Ansehen. Und es war seltsam – ich dachte auch an die Nachterscheinung, und Größe und Bewegung derselben konnten allerdings an die Person des Arztes erinnern. Ich sag’ es offen, ich hatte Mühe dieser dummen Gedanken mich zu entschlagen, die anscheinend so gänzlich bezuglos waren und durch nichts gerechtfertigt wurden. Natürlich sagte ich auch keine Sylbe davon.

„Mittlerweile war es Zeit zum Appell geworden, ich ging nach dem Markt, wo derselbe abgehalten wurde, und als ich zu den

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_019.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2018)