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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

zu sehen, mit eigenen Sinnen sich zu überzeugen. Das, was ich sehen wollte, konnte das geschriebene Wort nur unmöglich so treu vor die geistigen Augen bringen, als ich es wünschte, und ebenso wenig werde ich im Stande sein, das, was ich gesehen habe, Anderen deutlich zu beschreiben.

Alle Naturforscher sind Weltbürger und befreunden sich augenblicklich mit anderen Gesinnungsgenossen. So bedurfte auch ich keiner besondern Empfehlung, um bei meiner Ankunft in Norwegen die geeigneten Leute zu finden, welche mir die nöthigen Weisungen geben konnten. Ich erfuhr, daß ich zahlreiche Brutansiedelungen der Alken in Vesteraalen, einem Theile der Lofoten, und zwar unweit der großen Insel Langenö finden werde. Man beschrieb mir Weg und Steg genau, gab mir sogar die nöthigen Dampfschiffhaltestellen, Höfe und Leute mit Namen an, schrieb mir die ausführlichsten Angaben nieder und setzte mich somit in den Stand, ohne vorher lange suchen zu müssen, gleich zur rechten Stelle zu gelangen. So reiste ich denn von Christiania in Begleitung eines jungen, frischen, muntern und sprachkundigen Mannes, des Sohnes meines Freundes Berghaus, ab, steuerte mit kleinen Unterbrechungen gerade auf mein Ziel los und gelangte, da ich mich zeitig genug ausgemacht hatte, auch noch rechtzeitig dort an. Ich muß mir die Beschreibung meiner Reise noch aufsparen und meinen Leser bitten, sich mit mir sogleich auf die Insel Langenö zu versetzen.

Am 22. Juni Morgens verließen wir in einem von drei Männern geruderten Boote den freundlichen Hof Stene und steuerten durch das Gewirr der Schären hindurch in nordöstlicher Richtung längs der Küste unseres Eilandes dahin. Das Wetter war gut, aber wir hatten Gegenwind und dabei Gelegenheit, die Ausdauer von Nordlands Ruderern kennen zu lernen. Sechs Stunden lang arbeiteten unsere Leute ohne jede Unterbrechung stetig fort und bewegten unser Boot mit gleicher Schnelligkeit weiter. Das Meer war heute besonders belebt, da auf einer der Inseln großer Markt gehalten worden war und von dort aus nun die Meilen weit entfernt wohnenden Besucher desselben zurückkehrten. Diese Leute konnten uns jedoch nicht lange beschäftigen, weil wir ganz anders zu thun hatten. Auf allen den tausend Schären, durch welche wir uns hindurchwanden, machte sich ein reges Leben der Seevögel bemerklich, ein Leben, von welchem man sich, so lange man es noch nicht selbst gesehen hat, in der That keinen Begriff machen kann. Einzelne Schären waren weiß übertüncht von dem Kothe der Scharben, welche dort regelmäßig einige Stunden des Tages zubrachten und ließen uns die auf ihnen ruhenden dunklen Vögel schon aus großer Ferne wahrnehmen. Reihenweise geordnet, wie aufgestellte Soldaten, saßen die merkwürdigen Burschen in den allerseltsamsten Stellungen auf ihren Ruhesitzen; die langen Hälse dehnten und reckten sich und die Flügel waren ausgebreitet und wurden bewegt, als ob sich die Thiere gegenseitig Kühlung zufächelten: in Wirklichkeit aber geschah dies blos, um die wohlthuende Wärme der Sonne so recht ausdrücklich genießen zu können. Auf anderen großen Inseln lagen Tausende von Möven und bildeten nun ihrerseits die schimmernde Bedeckung der dunklen Massen; um wieder andere Eilande herum trieben sich Hunderte und andere Hunderte von Eidergänsen, lauter Männchen, denn die Weibchen lagen auf den Inseln über ihren Eiern und die freundlichen Männchen hielten sich so nahe als möglich bei ihren Gattinnen auf. Ab und zu flatterte oder schwamm wohl auch ein Alk vor uns herum; doch waren deren noch immer wenig zu sehen. Einzelne Seeadler zogen über diesem Gewimmel und spähten, ob nicht das Meer hier und dort etwas Genießbares ausgeworfen habe, ohne durch ihr Erscheinen zum Schreckbild für die Brutvögel zu werden, während die herrlichen Jagdedelfalken jedesmal die ganze Vögelwelt in Aufruhr und in die Tiefen des Meeres herabbrachten, sobald sie sich zeigten. Jeder Augenblick brachte eine neue Abwechselung in dasselbe Schauspiel, und immer hatten wir etwas Neues zu beobachten und zu schauen. Ab und zu wurde auch auf die vorüberfliegenden Vögel geschossen, und bald füllte sich unser Boot mit unserer Beute. So entschwand uns die Zeit nur allzu rasch, und wenn uns nicht die Uhr und der Magen daran erinnert hätten, daß wir schon viele Stunden unterwegs waren, würden wir geglaubt haben, nur Minuten auf dem Wasser zugebracht zu haben. Ein vorspringendes Felsenriff von Langenö hatte uns die Nyken – dies ist der Name unserer Vogelberge – bisher verdeckt; wir umfuhren dasselbe und sahen nun drei glockenförmig gestaltete Felseneilande vor uns, welche schroff und steil dem Meere entsteigen und sich bis zu etwa drei- oder vierhundert Fuß über dessen Spiegel erheben. Vom Lande sind sie etwa vier bis fünfhundert Schritte entfernt, ihrerseits aber von einer Menge kleiner Klippen umgeben.

Man kann sich denken, mit welchem Eifer wir auf diese berühmten Berge lossteuerten. Das Fernrohr kam kaum von unsern Augen und doch wollte es uns nicht das Geringste zeigen. Man hatte nicht von Tausenden oder Hunderttausenden von Vögeln gesprochen, welche dort vereinigt sein sollten, sondern mir erzählt, daß die Anzahl der auf zwei jener Berge während einiger Monate hausenden Alken nur nach Millionen zu berechnen sein dürfte, und gleichwohl konnten wir von einer solchen Menge auch in ziemlicher Nähe noch keine Spur entdecken. Ich fing schon an, zweifelhaft zu werden und wurde es immer mehr, je näher ich an den größten der Berge heran kam. Dicht bei jenem sah es allerdings aus, als ob das Meer mit lauter kleinen Pünktchen besät wäre, allein eine ungefähre Schätzung wollte uns gleichwohl nicht von Millionen überzeugen. Schon wollte ich mißmuthig werden, als mir zum Glück noch die Worte meines Rathgebers in Christiania einfielen: „Lassen Sie Sich nicht irre machen, wenn die hinkommen und gar Nichts sehen, denn oft kommt es vor, daß die eine Hälfte der Vögel in ihren Löchern steckt und beinahe die andere im Meere sich auf dem Fischfange befindet.“ Ich vermuthete, daß gerade jetzt eine solche Zeit sein möge, und trieb deshalb zur Eile an. Unser Boot glitt mitten durch die Schaaren der schwimmenden Vögel hindurch, ohne daß wir auch nur einen Versuch gemacht hätten eines einzigen von ihnen habhaft zu wirken. Denn bevor wir jagen durften, mußten wir zunächst Erlaubniß der Besitzer dieser Vogelberge haben. Die betreffenden Leute wohnten in zwei kleinen Gehöften, welche am hintersten Ende einer schmalen und tiefen Bucht gelegen waren, und ertheilten uns, nachdem wir unsere Empfehlungsbriefe abgegeben, diese Erlaubniß sofort.

Das steile Felsengestell der Schären wurde rasch erklettert, obgleich dies eben kein gefahrloses Unternehmen war. Wir befanden uns nun auf dem Brüteplatze. Jetzt lernten wir einsehen, daß man uns nicht getäuscht hatte, daß die Millionen in Wirklichkeit vorhanden waren. Der Felsen war zu zwei Drittel von oben herab mit Torf bedeckt, welcher hier und da dürftig mit Löffelkraut und Gräsern bewachsen war, an den meisten Stellen war die dünne Erdrinde von dem Gestein durchbrochen und dieses bildete wild übereinanderliegende unzählige Höhlen und Löcher, an andern Stellen waren die Felsenwände selbst sehr zerklüftet und zeigten uns Tausende von Ritzen, Spalten und Vertiefungen. Hier wohnten die Vögel und zwar hauptsächlich Lunde oder Meer-Papageien, Alken und Lummen, zu denen sich Scharben und Möven gesellt hatten. Die Torfrinde selbst war überall durchwühlt; es fand sich nicht ein einziges tischgroßes Plätzchen in ihr, welches nicht untergraben gewesen wäre. Unmöglich erscheint es mir, das Schauspiel zu beschreiben, welches sich uns darbot, als das Boot sich nahete und als wir auf dem Berge selbst angekommen waren. Wir hatten es blos mit wenigen Möven zu thun und hörten deshalb kein durchdringendes Geschrei, aber Hundertausende von Augen sahen auf uns nieder. Der ganze Berg wurde lebendig. Aus allen Enden und Ecken, oben, unten, neben, vor, hinter uns, überall wo man die Augen nur hinrichtetete, rutschten und krochen Vögel aus dem Innern der Erde hervor, und einen Augenblick später war der ganze Berg nicht blos mit unzähligen kleinen, weißen Pünktchen betüpfelt sondern auch von einer dunkeln Wolke umgeben, welche, wie die weißen Punkte, aus lauter Vögeln bestand. Jetzt konnte der Berg mit nichts Anderem verglichen werden, als mit einem riesenhaften Bienenstöcke, dem eben ein neuer junger Schwarm entstiegt. Jeder Ritz zeigte einen Bewohner, auf den Seiten, um uns herum, ganz nahe, aus zehn, sechs, vier Schritte saßen sie vor uns paarweise, zu Zehn, zu Hunderten, zu Tausenden. Der Berg war bedeckt mit Vögeln. Man konnte sie sehen in allen Stellungen in nächster Nähe, in der Ferne, im Sitzen, im Liegen, im Laufen; man konnte sie beobachten, studiren, gleichsam sich mit ihnen unterhalten; Tausende kamen, Tausende gingen.

Man begriff nicht, woher sie kamen und wohin sie gingen, obwohl man sah, daß ihre Richtung von oben herab nach dem Meere, oder von dem Meere zu dem Berge ging. Je mehr wir weiter vorwärts kamen, um so mehr wuchs die Anzahl. Das Meer, auf welchem die Menge lag, bedeckte sich, und als wir eben auf

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_014.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)