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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

und schlummert neben den anderen einer versprochenen Seligkeit entgegen.

Aber lassen wir das. Nehmen wir lieber einmal mein Canoe und fahren wir, ehe wir aus der Wildniß scheiden, in diese stille Bai mit ihren Mangrove-Dickichten und Buchten hinaus, denn die gehören unfehlbar mit dazu.

Der Mangrove ist ein eigenthümlicher Baum, der nur in tropischen Ländern am Meeresufer oder so weit hinauf in das innere Land wächst, wie die Ebbe und Fluth hinaufreichen. Seine Besonderheit besteht aber in der Ueppigkeit, mit der er eine Unzahl von Wurzeln und Wurzelschößlingen – von oben gerade nieder, unten bogenförmig – in das Wasser hineinsenkt, so daß solch’ ein einzelner Baum oft mit diesen ein doppelt und dreifach so großes Terrain wie mit einem Netz überzogen hält, als er um Mittag zu seinem Schatten braucht. Viele dieser Bäume haben auch in der That gar keinen Stamm, sondern stehen auf sechs, acht einzelnen Beinen, dicht über denen die Aeste beginnen, in der Luft. Einzelne habe ich gefunden, die wirklich so aussahen, als ob sie auf dem Kopf ständen, und mit Blättern bedeckte Wurzeln in die Höhe streckten. So weit nun eben Ebbe und Fluth reichen, kommt kein anderer Baum in dem Salzwasser fort, und diese Mangrove mit ihrem hellgrünen Laub und gegitterten Boden bedecken vollständig das Terrain, das in der Ebbe trocken gelegt wird, und bilden dort Buchten, Inseln, Einfahrten und Canäle – nur kein Ufer.

Es ist unmöglich zwischen ihnen zu landen, denn auf den bogenförmig gespannten, dünnen, aber doch zähen Wurzeln kann der Fuß nicht haften, kann sie aber auch nicht überschreiten, und der Schlamm, mit dem sie außerdem fortwährend überzogen sind, verbietet schon jedes feste Auftreten. In der höchsten Fluth sieht man auch wenig Außergewöhnliches an ihnen, denn ihre Blätter reichen meist bis zum Wasser nieder, in der Ebbe aber, mit dem Schlamm um sie her bloßgelegt, bilden sie die tollsten phantastischen Gestalten, und wehe dann dem Canoe, das sich bei hohem Wasser verleiten ließ, in eine ihrer Einfahrten einzulaufen – es muß es mit acht, neun Stunden Warten büßen, denn plötzlich tauchen ringsum jene bogenartig gespannten Wurzeln auf, nach jeder Richtung hin die Ausfahrt rettungslos versperrend, und es bleibt dann Nichts weiter übrig als ruhig mitten dazwischen in Schlamm, Wurzelnetz und Sandfliegen liegen zu bleiben, bis die nächste Fluth die Ausfahrt wieder gestattet – aber was für ein sonderbares Leben beginnt jetzt um uns her? – Das ist Wildniß, denn diese Waldung hat noch keines Menschen Fuß, ja nicht einmal das scheue Wild betreten, und nur der tückische Alligator oder die breitschwänzige Wasserschlange haben ihre Leibspur diesem Schlamm eingedrückt. – Und überall regt es sich und wird lebendig. Rund umher fängt es an zu rascheln, und überall an den Wurzelfasern laufen spinnenartig häßliche Krabben mit rothen und gelben Scheeren nieder, die bei der Fluth hochauf geflüchtet waren, den Fischen zu entgehen, und jetzt zurückkehren, unbehindert in dem Schlamm ihre Mahlzeit zu halten und ihr frisches Bad zu nehmen. – Bescheidene Genüsse, und doch auch wieder nicht ohne Lebensgefahr für sie zu erlangen, denn nicht allein daß einige Vögel ihnen nachstellen, nein, eine Art von kleinem Kranich hier gebraucht sie sogar als Lockspeise, Fische für sich zu fangen. Er mag die Krabben nicht selber fressen, aber er fängt sie, trägt sie auf einen bestimmten Platz und wirft sie in’s Wasser, wo auf sein Krächzen die Fische herbeikommen, sich der Mahlzeit zu erfreuen. Was er von kleiner Brut dann dabei erwischen kann, ist seine Beute. Die Krabben wissen das aber auch schon, und selbst in der Ebbe halten sie sich, als ob sie ein böses Gewissen hätten, fast immer unter Aesten und alten Holzstücken oder Steinen versteckt.

Die im Schlamm geben dabei, auf eine ihnen am besten bekannte Art, mit den Scheeren einen schnalzenden Laut, der oft sechs- bis achthundert Schritt weit gehört werden kann. Dicht daneben vielleicht, wo die Fluth noch unter die Wurzeln reicht, schlägt ein großer Fisch, der sich anfängt in dem Holzwerk unbehaglich zu fühlen, das Wasser, und der heisere Schrei der Kraniche und Königsfischer tönt dazu hinein. Sonderbarer Weise giebt es auf der ganzen Bai keine einzige wilde Ente, und nur in sehr seltenen Fällen läßt sich einmal eine Möve sehen.

Und niedriger, immer niedriger wird das Wasser, höher und höher umspannen uns die bogenartigen, mit Schlamm und Krabben überzogenen Wurzeln, ärger wird das Geschnalz der kleinen Bestien, und dann und wann nur lenkt der schwere Flügelschlag eines der braunen Pelikane das Auge auf sich, der eben auch hier seine Beute erhofft und sucht. Immer toller werden die Schwärme von kleinen, einzeln fast unsichtbaren Sandfliegen, die auf das Empfindlichste stechen und die Haut entzünden. Der ganze Körper dieser kleinen Thiere kann nur eine Scheide zu dem Stachel sein, und viele, viele Stunden lang kann man den Kampf gegen diese Lästigen kämpfen. – Endlich hat die Ebbe ihren tiefsten Stand erreicht – die frische Seebrise weht auch die Bai herauf, und höher und höher steigt das Wasser wieder. Mit ihm aber steigen auch auf’s Neue die Krabben, die sich vorsichtig in ihre laubigen Schlupfwinkel zurückziehen. Bei jeder Bewegung des Menschen aber bringen sie, wie das Eichhörnchen im Wald, rasch die schützende Wurzel zwischen sich und die Gefahr und laufen, so rasch sie können, an dem Stamm hinauf.

Das ist ein wonniges Gefühl, mit dem man diese Wildniß hinter sich läßt und das Canoe wieder schaukelnd und frei auf dem Wasser fühlt. In die Hügel zieht sich aber auch manche tiefe, nicht von Mangrove beengte Schlucht hinein – Plätze, die nur der Pava und Papagei und hier und da ein munterer Affentrupp besucht, sich die reifen Nüsse von den Palmen zu pflücken. Reizende kleine Plätze findet man da, und hier, wo man in dem leichten Boot jedem überhängenden Zweige ausweichen kann, erdrückt uns auch die Vegetation nicht, die in voller üppiger Pracht von allen Seiten nach dem Wasser und Licht hinüberneigt. Wundervolle Draperien sieht man da von Schlingpflanzen und überneigenden Palmenkronen und starr und fest ragen dazwischen die majestätischen Stämme der alten Waldriesen hoch und kühn empor.

Ein anderer Genuß der Wildniß ist eine Wasserfahrt auf der Bai in dunkler, stiller Nacht, wenn sich der Wind gelegt hat und einmal ausnahmsweise kein Regen niedergießt. – Man kann allmonatlich auf eine solche rechnen. Still und schweigend wie ein niedriger dunkler Streifen liegt der Wald an beiden Seiten. Nur hier und da tönt der melancholische Ruf eines Vogels oder das Geschwirr der Grillen dumpf herüber, und das Springen der Fische unterbricht allein die friedliche Ruhe. Das ist die Zeit, wo jenes nur diesem Theil der Erde eigenthümliche Geschöpf, der singende Fisch, seinen Zauber übt. Wie ferner Orgelklang tönt es jetzt tief aus der Fluth herauf, jetzt dicht um uns her von allen Seiten, nun höher anschwellend, nun wie in weiter Ferne verschwimmend, und stundenlang hab’ ich diesem Ton gelauscht.

Es soll ein kleiner sehr scheuer und schneller gefleckter Fisch sein, der diesen Laut von sich giebt, und er wird äußerst selten gefangen. Vor einiger Zeit bekam einmal einer der hiesigen Fischer einen solchen zufällig in sein Netz, und noch im Netz gab er den Laut von sich. Wahrscheinlich in abergläubischer Furcht ließ er ihn aber augenblicklich wieder frei, denn die Leute erzählen sich hier natürlich die wunderbarsten Sachen von dem Fisch – oder vielmehr von den Tönen. – Doch daheim würden sie es nicht besser machen, und hätten wir diesen Fisch in der Ostsee nahe bei Usedom, wo die „versunkene Stadt“ gestanden haben soll, so würde sich rasch zu der Sage von dem Glockengetön auch der Orgelgesang der versunkenen Kirche gesellen.

Ja, diese Wildniß hat einen stillen und hohen Reiz, aber – man muß eben kein anderes Leben kennen, oder nur einmal auf kurze Zeit von der Civilisation, die den Menschen angreift, ausruhen wollen. Für immer hielten wir es hier nicht aus oder – schafften eben um uns her eine von dieser verschiedene Welt, die der verlassenen soviel als möglich gliche.

So träume denn fort, du stiller feuchter Wald mit deinem ewigen Schattendunkel, mit deinen Leuchtkäfern und rauschenden Palmen – träume fort, du Mangrovesumpf mit deinen schnalzenden Krabben, du stille Bai, du friedlicher kleiner Ort mit deinen schreienden Kindern und bellenden Hunden – träumet fort – möge dir Gott deinen – blauen Himmel kann man nicht gut sagen, denn der existirt hier nicht – deinen Regen – Deine Platanen und deine Fische lassen, und du selber dich wie immer deines Lebens freuen. Ich selber bin aber nicht für dieses Leben gemacht – oder wenn ich es war, dessen entwöhnt. Mich zieht es zurück zu einem regeren, geistigeren Treiben. Wo ich aber auch immer sei, die Erinnerung an dich wird mir bleiben, und die Erinnerung an diese Wildniß ist einer der besten Schätze, die ich mit mir nach Hause nehme.



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