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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

anklage, suchten sie sich einen Rechtsbeistand. Herr Noul Perwez aus Lüttich, der sich in Wesel als Defenseur-Officier befand, übernahm auf die edelmüthigste Weise dieses gefährliche Amt; noch ehe er es aber üben konnte, kam schon aus Paris der Befehl des Polizeiministers, daß er Wesel zu verlassen habe, um in Lüttich unter Polizeiaufsicht gestellt zu werden. Mit vieler Mühe wurde es ihm gestattet, so lange in Wesel zu bleiben, bis das Kriegsgericht sein Urtheil gefällt habe.

Am 16. September, dem Tage meiner so traurigen Heimkehr in’s Vaterhaus, sollte das Kriegsgericht zusammentreten, um die noch blühenden Jünglinge bald als verstümmelte Leichen dem Grabe zu übergeben. Die Kunde von jener nächtlichen Arbeit und von dem abzuhaltenden Kriegsgerichte war in die Stadt und die Umgegend gedrungen. Landleute von dem linken Ufer der Lippe hatten sich über den ausgetretenen Fluß in einem Nachen übersetzen lassen und waren an der wasserfreien Anhöhe, wo die Gräber sich befanden, gelandet. Aus Fürstenberg und der Stadt strömten die Leute zur Mordstelle, so daß zuletzt der General Lamoine aus Furcht, die Theilnahme und Entrüstung über das ungerechte Verfahren möchte die Volksmenge zu einem Angriffe auf die Mörder bewegen, um 9 Uhr Morgens, als das Kriegsgericht begann, alle Stadtthore auf’s Neue schließen, die Wachen verstärken und Versammlungen der Einwohner auf den Straßen verbieten ließ. Die grausige nächtliche Scene hatte mir schon das Urtheil verkündet, bevor es noch gefällt war, dennoch wollte ich dem Kriegsgerichte beiwohnen, um in dem muthigen Betragen der Jünglinge mir ein erhebendes Beispiel zu nehmen. Trotz Empfehlung erhielt ich aber keine Erlaubniß. – Um 9 Uhr des Morgens trat das Kriegsgericht auf der Citadelle zusammen, von Grenadieren begleitet wurden die elf Gefangenen ungefesselt vorgeführt, es waren:

Leopold Jahn, 31 Jahre alt, aus Massow in Preußisch-Pommern, früher Lieutenant in einem Husaren-Bataillone; er hatte seine Gattin mit einem Säugling an der Brust verlassen, um für das Vaterland zu kämpfen und zu sterben.

Daniel Schmidt aus Berlin, 29 Jahre alt, Volontair-Officier im Schill’schen Corps.

Ferdinand Galle aus Berlin, 29 Jahre alt, Lieutenant.

Adolph Keller aus Straßburg in Ostpreußen, Lieutenant.

Friedrich von Trachenberg, 25 Jahre alt, aus Rathenow in der Mark Brandenburg.

Constantin von Gabain, 25 Jahre alt, aus Geldern, Junker.

Carl Wedell aus Braunsfort in Pommern, 23 Jahre alt, Lieutenant.

Friedrich Felgentreu aus Berlin, 22 Jahre alt, von Schill zum Officier seines Artillerie-Frei-Corps ernannt.

Albert Wedell aus Braunsfort in Pommern, 20 Jahr alt, früher Lieutenant bei den Truppen des Herzogs von Köthen.

Ernst Friedrich von Flemming, 19 Jahre alt, aus Rheinsberg in der Mark Brandenburg, war außer Dienst, als er in Stralsund dem Schill’schen Corps sich anschloß.

Carl von Keffenbrink aus Krien in Pommern, 18 Jahre alt.

Noch denselben Tag erfuhr man, daß diese elf Jünglinge, auserkoren als Blutzeugen für die Wahrheit und Gerechtigkeit der vaterländischen Sache zu sterben, sich vor dem Kriegsgericht würdig dieser hohen Ehre gezeigt hatten. Keine Entschuldigung, keine Bitte, keine Klage war über ihre Lippen gekommen; statt sich zu vertheidigen, hatten sie auf das geknechtete Vaterland hingewiesen, dessen Schmach zu rächen ihre Pflicht gewesen sei. „Wir sind schuldig für des theuern Vaterlandes Freiheit und Recht gekämpft zu haben und bereit dafür zu sterben,“ hatten sie wie aus einem Munde am Ende ihres Verhöres gerufen. Einer von ihnen, hingerissen von aufwallendem Edelmuthe, hatte sich als Opfer für seine Freunde angeboten, aber die Uebrigen hatten dies Opfer zurückgewiesen, denn sie alle geizten nach dieser Ehre. – Auch der Vertheidiger Perwez hatte mit vielem Feuer gesprochen und mit logischer Schärfe nachgewiesen, daß Schill nicht ohne Vorwissen der preußischen Regierung gehandelt habe und von dieser erst später seinem Schicksale überlassen und desavouirt worden sei; habe aber Schill auf höheren Befehl gehandelt, so sei weder er ein Räuber, noch seine Cameraden strafbar, aber selbst wenn er ohne höhere Befehle gehandelt, so seien die Angeklagten nicht strafbar, weil sie, dies nicht wissend, durch den militärischen Gehorsam gezwungen gewesen seien, Schill zu folgen. Geschickt hatte der Vertheidiger mehrere Artikel des Gesetzes zum Vortheile seiner Clienten angewendet und sich so freimüthig geäußert, daß der Präsident ihm mehrmals zu schweigen gebot.

Mit stolz erhobenem Haupte und hellleuchtenden Augen sah man bald nach 10 Uhr die Gefangenen wieder den Gerichtssaal verlassen. Ohne Murren boten sie ihre Hände den Fesseln und ließen sich in’s Gefängniß zurückführen. Das Kriegsgericht blieb noch eine kleine Weile beisammen, bald aber verließen auch seine Mitglieder den Ort, wo sie ihre Ehre mit einem so ungerechten Urtheile befleckt hatten. Fast in demselben Augenblicke wurde das Urtheil in deutscher und französischer Sprache an allen Straßenecken angeschlagen.

Die elf Jünglinge wurden zum Tode durch Erschießen verurtheilt, zufolge dem 1. Artikel des Gesetzes vom 29. Nivose des Jahres VI, welcher lautet: „Diebstahl mit offener Gewalt oder durch Gewaltthätigkeit auf öffentlichen Wegen und Straßen begangen, Diebstahl in bewohnten Häusern mit Einbruch von außen oder Einsteigen mit Leitern, soll mit dem Tode bestraft werden.“ – Das Urtheil sollte binnen vierundzwanzig Stunden vollzogen werden.

Gegen ½12 Uhr kam ich zur Wache und hörte, wie man den elf Officieren das Todesurtheil verkündete. Anfangs schienen sie betroffen, die Lust zum Leben hatte ihnen bis jetzt die Hoffnung auf ein günstigeres Urtheil vorgespiegelt, bald aber ermannten sie sich wieder und zeigten sich bis zum letzten Momente ihres Lebens als heldenmüthige Männer. Sie erhielten nur noch die Erlaubniß, den Ihrigen das letzte Lebewohl zu schreiben, aber sie mußten sich beeilen, denn nur noch kurze Zeit gönnte man ihnen zu leben.

Lauter Trommelwirbel erschallte um 1 Uhr Mittags durch die Straßen der tiefbetrübten Stadt; aus der Citadelle ritt eine Abtheilung mit gespannten Carabinern, dann folgte eine Compagnie Grenadiere, diesen zunächst die zur Execution befehligten Kanoniere. Alle beobachteten tiefes, banges Schweigen. Ueber die Wange manches bärtigen Kriegers rollten Thränen der Entrüstung über den schmachvollen Dienst, zu dem man sie zwang, denn selbst die fremden Krieger, die schon vieles Leid gesehen und bei manchem Unrecht mitgeholfen, fühlten die Schwere dieses Unrechts und die tückische kleinliche Sache, die hier begangen wurde. Mit aufrechtem Haupte und einem Blicke, den Freude verklärte, als könnten sie in der fernen Zukunft schon den Tag erspähen, wo ihr Tod gerächt und das Vaterland befreit würde, gingen die elf Schlachtopfer, zu zweien und dreien mit dünnen Stricken an den Armen aneinander gebunden, in der Mitte der Kanoniere. Als man die beiden Brüder Wedell, die mit rührender Zärtlichkeit die letzten Schmerzenstage ihres jungen Lebens sich zu erheitern gesucht hatten, im Hofe der Citadelle aneinander binden wollte, sagte der eine „Ach! sind wir nicht schon durch die Bande des Blutes eng genug verknüpft, daß man uns noch auf eine so schändliche Art zusammenbinden muß?“ Aber auch sie mußten gefesselt den Weg zu ihrem Grabe gehen. – Eine Compagnie Voltigeurs schloß den grausigen Zug, der langsam aus dem Hauptthore der Citadelle über die Esplanade nach dem Berliner Thore sich bewegte. Kein Bewohner der Stadt durfte ihm vor das Thor folgen, so daß auch ich trotz einer Empfehlung zurück bleiben mußte. Auf den Tod betrübt ging ich nach Hause – eine bange Viertelstunde verstrich – da hörte ich das ferne Donnerrollen der Gewehre; das Drama hatte sein blutiges Ende gefunden. – Eine andere Feder mag es schildern.

Ein Theil der Bewohner der Stadt war vor Schließung der Thore hinausgegangen, von ferne schon vernahmen sie den todverkündenden Trommelschlag mit banger Erwartung und tiefbetrübter Seele, da so viele hochherzige Söhne des Vaterlandes auf einmal von französischen Kugeln dahin gestreckt werden sollten. Unter diesen trauernden Bürgern befand sich auch Herr J., ein Freund Gabain’s, auf den er an der Stelle, wo jetzt der Wegweiser vor dem Berliner Thore steht, mit dem schmerzlichen Gefühle eines solchen Wiedersehens auf dem heimathlichen Boden wartete! Der Führer des Zuges bemerkte den Wartenden und fragte ihn, ob der Weg zum Richtplatze rechts führe; jener erwiderte aber, daß die Wiese und die Straße nach der Lippe zu überschwemmt seien, der Zug müsse daher links den Weg nach dem Fürstenberg einschlagen; dies geschah auch. Bald kamen die elf Gefangenen auf den Wartenden zu. In edler Haltung, erhaben über ihr unverdientes Unglück und voll der Ahnung, daß einst das Vaterland wieder frei und ihr Herzblut nicht umsonst verspritzt sein werde, schritten sie ohne Todesfurcht einher inmitten der Kanoniere, und nöthigten dem Feinde selbst Achtung und Bedauern ab. Das Anerbieten, nach dem Richtplatze zu fahren, hatten sie abgewiesen, da sie zum letzten Gange

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_007.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)