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verschiedene: Die Gartenlaube (1861)

Abende bei ihm oder bei mir zusammen saßen. Seine Mutter und ihre Gesellschafterin, ein Fräulein Beck, störten uns nicht, ließen mich vielmehr nur um so lieber einen Abend in diesem Kreise zubringen. Beide Damen waren anspruchslos und voll warmer Theilnahme, dazu gebildet, und die Alte besonders erinnerte mich häufig an meine selige Mutter und ihr stilles, herzliches, feines Walten.

„Schenk war sehr wohlhabend, während er und die Seinen doch im Grunde gar wenige Bedürfnisse hatten. Er verwendete daher einen bedeutenden Theil seiner Einkünfte auf die behagliche und stattliche Einrichtung seines Hauses, auf die Verbesserung und Ausschmückung des dazu gehörenden Grundstücks und hatte trotz der kurzen Zeit darin schon viel geleistet. Das Gärtchen hinter dem Hause war noch jetzt voll Grün und Blüthen; ein Altan auf der Stadtmauer, unter dem dichten Laubdach einer alten Kastanie, gewährte einen wirklich hübschen Ausblick über den Wall in’s Land, auf den See; und im großen Garten, der sich jenseits der Mauer im alten Graben hinzog, – der Besitzer des Grundstücks hatte die ungewöhnliche Vergünstigung einer Pforte durch die Stadtmauer – waren ein paar Treibhäuser angelegt, das meiste Land aber zu einer ausgebreiteten Rosencultur bestimmt. Er liebte diese schönen Blumen leidenschaftlich, und es vereinte uns noch mehr, daß auch ich von meines Vaters Gartenbeschäftigung her eine Vorliebe für dieselben hatte und, bei gelegentlicher Erwähnung verschiedener Sorten und ihrer Namen, ihm doch nicht immer unwissend und theilnahmlos gegenüberstand. Und so muß ich denn auch hier wiederholen, was ich vorhin gesagt – wir waren so freundschaftlich mit einander, wie es bei Menschen, die sich zuerst und wirklich in einem Alter, wie unser damaliges war, begegnen, nur irgend möglich sein dürfte.

„So verging der Herbst und der größte Theil des Winters, und Schenk und ich freuten uns schon auf die jetzt bald erscheinenden schönen Tage, wo wir die Gartengeschäfte beginnen könnten. Seine Leidenschaft hatte auch mich ergriffen, und wir saßen oft und oft vor den saubern Plänen der neuen Anlagen, beriethen, zeichneten, verbesserten, zeichneten wieder, bis alles in bester Ordnung war.

„Im Anfang des December war zu einem großen Ball ein Camerad aus der nächsten Garnison zu uns herübergekommen, hatte sich beim Tanzen versehn und lag schon folgenden Tags so krank darnieder, daß man lange Zeit an seinem Wiederaufkommen zweifelte. Seine Genesung verzögerte sich auch von Woche zu Woche, und erst am zweiten März bestieg er den Postwagen, um zu seinem Regiment zurückzukehren. Wir hatten den armen Burschen alle lieb gewonnen, ihn gepflegt und später unterhalten, so gut wir’s vermochten, und da er nun abreisen wollte, ein Abschiedsessen arrangirt, von dem aus wir ihn dann in corpore zur Post begleiteten. Von eigentlichen größeren Gesellschaften hatte ich mich bisher ferngehalten, von dieser Vereinigung konnte und wollte ich mich nicht ausschließen, und hielt wacker und verhältnißmäßig fröhlich mit den Andern aus und rief mit ihnen dem Davonfahrenden mein Lebewohl nach.

„Das war um drei Uhr Nachts, und da wir auseinander gingen, zog mich der Commandeur noch im Gespräch mit sich fort und bis zu seiner Wohnung, welche in der Nähe des rothen Thors lag. Von dort aus konnte ich auch über den Wall nach Hause gelangen, und da ich mich begreiflicherweise doch etwas heiß und aufgeregt fühlte, zog ich den weiteren Weg durch die frische Luft dem durch die schmutzigen Straßen vor, passirte das Thor und spazierte leise pfeifend und in bester Laune auf dem Walle hin. Da ich am Pfaffenthor, dem nächsten vor dem meinen, vorüberkam und drüben eben die letzte Wallstrecke betrat, schlug es vom Marienthurm halb Vier, und ich beeilte meinen Schritt, um endlich ins Bett zu kommen, weil ich am nächsten Tage viel Dienst hatte. Es war eine dunkle, nicht kalte Nacht, und in der mir zunächst liegenden Straße „am Wall“ noch eben so still wie in der ganzen Stadt und Umgegend. Selbst die mir jetzt sichtbar werdenden Fenster von Schenk’s Schlaf- und Arbeitszimmer waren dunkel, und ich nahm mir vor, ihn damit etwas zu necken. Er behauptete nämlich, daß er fast ausnahmslos gegen vier Uhr schon am Schreibtisch sitze, und hatte meine bescheidenen Zweifel mit der Aufforderung zurückgewiesen, ich möge mich bei Gelegenheit durch den Augenschein davon überzeugen.

„Während ich so ging und schaute – ich muß hinzufügen, daß der Weg feucht und ziemlich erweicht war, sodaß meine Schritte fast unhörbar sein mochten – tauchte plötzlich neben mir, auf der Seite von Schenk’s großem Garten, hinter einem Baume eine Gestalt empor, wandte den Kopf gegen mich, von mir ab, und schoß so hastig vorüber und fort, daß ich, der ich doch auch nicht langsam war, sogleich weit zurückblieb und nach wenig Secunden schon nichts mehr von ihr erblicken konnte. Das alles ging so schnell, daß ich nichts weiter erkannt hatte, als einen anscheinend großen Mann im Mantel und hohen schwarzen Hut. Er mußte hinter einem der dicken Lindenstämme gestanden haben, und war durch mein rasches und leises Nahen vermuthlich ebenso überrascht worden, wie ich durch seine plötzliche Erscheinung. Doch dachte ich nicht weiter darüber nach, da man ähnlichen Nachtvögeln ja gar nicht so selten begegnet, und als ich erst daheim war, machte ich, daß ich ins Bett und in den Schlaf kam.

„Am nächsten Morgen hatte ich um acht Uhr Compagnie-, um neun Uhr Abtheilungs Exerciren; Wachparade, Appell und dergleichen währten bis zwölf Uhr; dann gingen wir zu Tisch. Nachmittags um zwei Uhr folgte eine Revision der Kammer, und so ging der Tag hin, ohne daß ich wußte wie, und es war schon nahe an Fünf, als ich endlich daran denken konnte, zu dem Kaffee zu gehen, zu dem die Gerichtsräthin Huber mich und ein paar Andere eingeladen hatte. Leybold, der in der Nacht abgereiste Camerad, war ein Freund ihres Mannes und hatte seine ganze Krankheit in ihrem Hause überstanden, sodaß wir alle dort sehr bekannt geworden waren.

„Bringen auch Sie Schenk nicht mit?“ rief mir die freundliche Wirthin beim Eintreten entgegen, und da ich mich verwundert darüber, daß der Genannte noch fehlen sollte, unter den Anwesenden umsah, fuhr sie fort: „Er kann die Einladung gestern doch nicht überhört oder falsch verstanden haben, und es ist heut auch kein Sessionstag. Ich dachte, er würde mit Ihnen kommen, lieber Hauptmann; jetzt wird’s mir aber unbegreiflich. Er ist sonst so pünktlich.“

„Ich will hingehen,“ sagte meine Mütze wieder aufnehmend, „und werde ihn tüchtig ausschelten.“ Und lachend setzte ich hinzu: „Es scheint überhaupt mit ihm bergab zu gehen, denn heut Morgen gegen vier Uhr muß er noch geschlafen haben wie ein Murmelthier, statt gebührender Weise bei der Arbeit zu sitzen, der Renommist!“

„Bleiben Sie nur,“ versetzte sie jetzt gleichfalls lachend. „Mein Mann wurde eben noch zum Präsidenten gerufen und versprach auf dem Heimwege bei Schenk vorzusprechen; denn wir warten ja schon anderthalb Stunden auf Sie und ihn. – Huber muß jeden Augenblick wieder kommen.“

„So nahm ich denn Platz bei den Uebrigen, trank einen vortrefflichen frisch bereiteten Kaffee, plauderte und scherzte und war guter Dinge, bis die Thür sich öffnete und der Hausherr eintrat – gleichfalls allein. „Aber Ernst,“ rief ihm die Gattin entgegen, „was heißt denn das? Kommt Schenk denn nicht? Aber mein Gott,“ brach sie ab und sprang auf, „wie siehst Du aus? Was gibt es?“

„Sie hatte wohl ein Recht zu der Frage so gut wie zum Schreck, denn Huber sah in der That so bleich und angegriffen aus, daß es uns alle bestürzte. Er fuhr mit der Hand über Stirn und Augen, allein es ward dadurch nicht anders, und als er nun sprach, wurde seine Erschütterung noch merkbarer, so schwer und dumpf, ja fast bebend klang die sonst klare fest Stimme. „Schenk ist verhindert, Kind,“ sagte er; „er kann heut nicht erscheinen.“

„Um Gotteswillen, Mann, was hast Du?“ forschte sie angsthaft: wir alle waren athemlos. Es mußte etwas sehr Ernstes, vielleicht etwas Schreckliches sein, was den ruhigen festen Mann da vor uns so bewegte, daß wir jetzt sogar eine Thräne in seinem Auge sahen. Und da legte er den Arm um seine Frau und faßte ihre beiden Hände in seine Rechte und sprach mit mühsam erhaltener Fassung: „Kinder, ich kann’s Euch nicht länger verbergen – Freund Schenk wird niemals wieder zu irgend Jemand von uns kommen, – er ist todt.“

„Todt?“ riefen wir entsetzt ihm nach und zuckten zusammen und auf und starrten ihn an wie betäubt. Todt? War denn das ein Scherz? Aber kann und darf ein Ehrenmann mit so etwas scherzen, und war das Scherz, was uns aus Hubers Auge, aus seiner Stimme, seinem ganzen Wesen entgegentrat? Und doch – Ernst? Aber wie war es denn möglich? Schenk war ja ein gesunder, rüstiger, noch junger Mann, so viel ich wußte, ohne die entfernteste

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verschiedene: Die Gartenlaube (1861). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1861, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1861)_003.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)