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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

in einer so trostlosen Abhängigkeit könnte gelebt haben, ohne schnell auszusterben. Der jetzige Zustand kann nur ein völlig abnormer sein, eine Folge des Sclavenhaltens; eine ernste Mahnung für das Menschengeschlecht, das freilich daraus so wenig lernen wird, wie aus seiner eigenen Geschichte. Es sind übrigens die beiden erwähnten Ameisenarten keineswegs die einzigen, welche die Puppen anderer rauben, um die aus denselben erzogenen Arbeiter als Sclaven zu benutzen, wir kennen deren bereits mit Sicherheit acht, und es ist diese Sitte vielleicht der ganzen Ameisenfamilie eigen.

Nicht weniger auffallend, als das Sclavenwesen der Ameisen, ist die Art, wie sie die Aussonderungen mancher anderen Insecten benutzen, und die Schonung und Wege, welche sie, die doch ihre eigenen Stammverwandten zu fressen pflegen, diesen ihnen ganz fremden Thieren zu Theil werden lassen; ein Verfahren, das nur mit unserer Viehzucht verglichen werden kann, und das sonst nirgends im ganzen Thierreiche wahrgenommen wird. Vor Allen sind es die Blattläuse, deren süße Aussonderung, bekannt unter dem Namen Honigthau, häufig im Anfange des Sommers die Blätter vieler Bäume mit einem verderblichen Firniß überzieht, und außer manchen anderen Insecten besonders die Ameisen anlockt. Man sieht diese dann in zahlreichen Zügen an den Bäumen auf- und ablaufen und theils von den Blättern den Honigsaft ablecken, noch öfter aber sich auf eine Weise mit den Blattläusen beschäftigen, welche Huber sehr treffend mit dem Melken der Kühe verglichen hat. – Die Blattlaus gibt nämlich aus zwei an ihrem Hintertheile emporgerichteten Röhrchen den erwähnten Honigsaft von sich, und wird von der Ameise durch Kitzeln vermittelst ihrer Fühler zu einer reichlicheren Entleerung derselben veranlaßt, worauf diese sogleich die austretenden Tröpfchen einschlürft.

Darwin beobachtete dieses Melken der Blattläuse, indem er ein Dutzend derselben einsperrte und die Ameisen sorgfältig von ihnen abhielt. Nach einigen Stunden hatte noch keine der Gefangenen Honigsaft ausgeschwitzt; er kitzelte sie nun mit einem Haare am Bauche, wie es die Ameisen mit ihren Fühlern zu thun pflegen, aber es erfolgte auch da keine Absonderung. Endlich ließ er eine einzige Ameise in den Behälter; diese lief begierig von einer Blattlaus zur anderen, und sobald sie mit ihren Fühlern den Bauch derselben berührte, sonderte diese einen Tropfen Honig ab, den die Ameise begierig aufleckte; dasselbe thaten sogar die mittlerweile gebornen noch winzig kleinen Blattläuse. – Dieses Melken ist doch unstreitig das Ergebniß der Erfahrung und eines auf dieselbe gegründeten Schlusses.

Bei einer mexicanischen Ameisenart (Myrmecocystus) findet man außer Männchen und Weibchen noch zwei verschiedene Kasten von Arbeitern oder Geschlechtslosen; die eine derselben arbeitet nicht, und verläßt nie das Nest; sie wird von den eigentlichen Arbeitern gefüttert; dafür aber scheidet sie in ihrem umfangreichen Bauche eine große Menge Honig ab, welcher von den andern Bewohnern des Staates gefressen wird; sie bilden gewissermaßen den Viehstand der Gesellschaft. Dieses Verhältniß ist da noch auffallender, wo ganz fremdartige, mitunter im Vergleiche zu den Ameisen riesengroße Insecten theils aus freiem Willen sich in die Pflege derselben begeben, theils von denselben in ihre Wohnungen geschleppt und dort auf das Sorgfältigste mit allem Nothwendigen versehen werden, wogegen die Ameisen deren Excremente für sich in Anspruch nehmen.

Wir kennen viele Insecten, welche mit einigen oder vielen Ameisenarten in solchem häuslichen Verhältniß stehen. Märkel zählt deren schon 284 auf; es sind darunter Hautflügler, selbst Schlupfwespen, die doch als Larven in anderen Insecten leben, Fliegen, Asseln und zahlreiche Käferarten, von welchen manche ihr Larvenleben nur in den Haufen gewisser Ameisen zubringen. – Sehr auffallend ist die sorgsame Pflege, deren sich die Blattläuse (welche sich von den Wurzelsäften benachbarter Gewächse nähren, oder in Baumnestern von den Säften des jungen Holzes) von Seiten der Arbeitsameisen erfreuen; ihre kleinen schwarzen Eierchen, sowie die ausgebildeten Blattläuse selbst, werden von denselben ebenso sorgfältig gepflegt, hin und her getragen und bei vorkommender Gefahr gerettet, wie ihre eignen Puppen; sie stehen vollkommen in dem Verhältniß unserer Hausthiere.

Was wir hier über das Sclavenwesen und, wenn wir uns des Ausdruckes bedienen dürfen, über die Viehzucht der Ameisen berichtet haben, ist das Ergebniß fleißiger Forschungen wahrheitsliebender Männer, frei von jeglicher Zuthat der Phantasie, die allerdings in der Kindheitsperiode der Naturwissenschaft sich nicht selten erlaubt hat, die Beobachtungen auf Kosten der Wahrheit mit ihren Gebilden auszuschmücken. – Wir dürfen jedoch die betreffenden Untersuchungen noch lange nicht als abgeschlossen betrachten und können gewiß in nicht sehr ferner Zeit über die Lebensweise der Ameisen neue Aufschlüsse erwarten, die das geistige Leben dieser Insecten, sowie der Thiere überhaupt, auf ungleich höherer Stufe werden erscheinen lassen, als die, auf welche eine einseitige Dogmatik, vereint mit dem Uebermuthe der Unwissenheit, sie zu stellen beliebt hat.

Die angeführten Thatsachen als wahr vorausgesetzt (und Jeder kann sie ja leicht selbst beobachten), ist es doch wohl nicht möglich, diesen kleinen Insecten das Denkvermögen abzusprechen, den geistigen Fortschritt zu leugnen, welcher ihre je nach den Umständen mannichfach abgeänderte Handlungsweise so augenscheinlich beurkundet; sie sind offenbar beseelt, wie wir, und wenn wir zwischen ihrer und unserer Seelenthätigkeit einen Vergleich anstellen wollten, so würden wir die Verschiedenheit beider vorzugsweise darin begründet finden, daß ihre Denkobjecte nur materieller, die unserigen auch oft geistiger Art sind, sobald nur erst die Bedürfnisse unseres Körpers ihre Befriedigung gefunden haben.




Alles schon dagewesen!

Obgleich wir unserer Zeit durch das Sprüchwort: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne“ ein zu starkes Armuthszeugniß ausstellen, ist es doch richtig, daß die meisten unserer stolzen Erfindungen, Entdeckungen und Fortschritte nur aufgewärmte alte Geschichten, ja sogar Abschwächungen alter Originale sind. Mit unsern kühnsten Fortschritten in der „Freiheit“ erreichen wir noch lange nicht das älteste, deutsche, freie Gau- und Gemeindeleben, dessen sich unsere Bärenhäuter von Vorfahren erfreuten, ehe Christus geboren und die Hermann-Schlacht gewonnen ward. Unsere glorreichsten Erfindungen, Schießpulver, Buchdruckerkunst, Dampf als Pferdekraft etc. sind zum Theil schon vor Jahrtausenden gemacht worden. Hero von Alexandrien spielte schon vor 2 Jahrtausenden mit Dampf als einer bewegenden Kraft, die Chinesen schossen mit Pulver wohl 800 Jahre früher, als es in Deutschland einen Berthold Schwarz gab, und sie druckten Bücher, als die abendländische Welt weder Papier noch Tinte und Feder kannte. Sie curirten Krankheiten durch Brennen (moxa) und Stechen der Haut schon vor Christi Geburt, eben so wie die Japanesen, Indier und Libyer. Diese Brenn- und Stech-Praxis kam in Europa erst zu Ende des vorigen Jahrhunderts als etwas ganz Neues zum Vorschein, und erst vor Kurzem ließ sich ein deutscher Arzt ein Instrument, das aus Nadeln und einer Sprungfeder besteht und womit man rheumatische und gichtische Haut „zu neuem Leben erweckt“, – patentiren.

Künstliche Unempfindlichkeit bei Leidenden und Kranken wußten schon die alten Egypter, Griechen und Römer zu erzeugen, wenn auch nicht durch Chloroform, wohl aber durch den Saft der Mandragora, die jetzt in der Liste officineller Apothekerkräuter gestrichen ist. Der berühmte Paracelsus sprach schon das Princip der Homöopathie aus, da er an einer Stelle wörtlich rieth, man solle Gleiches durch Gleiches vertreiben, und der alte Arzt Avicenna prakticirte schon 500 Jahre vor Hahnemann als Homöopath, da er hauptsächlich die tödtlichsten Gifte in unendlich kleinen Dosen als Arznei gab. Der berühmte Philosoph Cartesius tödtete sich durch Anwendung des homöopathischen Princips in großen Dosen: er wollte sich ein Fieber durch wiederholtes Einnehmen großer Quantitäten Alkohol curiren und starb daran.

Der Kaiser Augustus, unter dessen Regierung Christus geboren ward, ließ sich von Prießnitz, dem großen Wasserdoctor, curiren, wenigstens von dem ersten Hydropathen Musa Antonius. Der Kaiser ließ ihm dafür eine bronzene Statue setzen. Freilich den Neffen des Kaisers, Marcellus, tödtete er durch seine kalten Douchen.

Macadamisirung der Straßen und öffentlichen Wege, in Europa erst während dieses Jahrhunderts als etwas ganz Neues auftretend,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 825. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_825.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)