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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

lebensgefährlich. Dazu kommt, daß der Karren, der niemals gehemmt werden kann, bei Steilungen leicht in Schuß geräth und an dem Geschirr des Pferdes irgend etwas in Unordnung bringt, wodurch dieses trotz seiner Sanftmuth oft in große Aufregung versetzt werden kann. Unter solchen Umständen ist dann die Fahrt mit der Stolkjärre eben nicht erbaulich und, wie bemerkt, wirklich gefährlich. Ein Freund von mir brach sich das Schlüsselbein, indem er plötzlich mit sammt seinem Sitze auf der Erde lag, während der Untertheil des Karrens mit dem Pferde lustig weiter fuhr. Nur einen Vortheil dürfte die Stolkjärre vor dem Karrjol besitzen: sie gewährt eine leichtere, bis auf das durch die Stöße erregte Zähneklappern nicht so oft unterbrochene Unterhaltung mit dem Skydsgut oder dem Begleiter, welcher jedem Reisenden von der Wechselstelle mitgegeben wird, damit er Pferd und Wagen nach ihr zurückbringe.

Auch diesen Mann, oder vielmehr diesen Knaben, müssen wir uns etwas genauer ansehen. Jeder Beruf erzeugt seine eignen Leute, und so auch der, welcher diesen Edlen obliegt, welche den Verkehr der Menschen so wesentlich vermitteln helfen. Der vielfache Umgang mit allerlei Volk hat sie gebildet oder wenigstens gewitzigt; mancher Reisende hat ihnen aus reiner Langweile seine Reiseanekdoten erzählt, die er sonst wegen ihrer vormeidingerschen Beschaffenheit nicht mehr gut anbringen konnte; ein anderer hat sich mit ihnen in ernstere Gespräche eingelassen, und der oder jener Professor hat ihnen wohl gar ein Stück Weltweisheit oder andere Wissenschaften mitgetheilt: kurz, die Leute haben Erziehung genossen und sind als Gebildete zu betrachten und auch darnach zu behandeln. Damit ist noch nicht gesagt, daß sich ihre geistigen Fähigkeiten weit über die ihrer Mitbürger erheben. Sie haben eben einen gewissen Schliff erlangt und verstehen es, sich in die Laune der Reisenden vortrefflich zu schicken, weil sie gelernt haben, daß ihnen doch nur Derjenige ein Trinkgeld verabreicht, dessen Wohlwollen sie sich erworben haben. Hierin beruht wesentlich der Zauber, welcher ihr Betragen gegen den Reisenden regelt. Sie sind sehr artig, dienstfertig, unterhaltend und zuvorkommend gegen Den, welcher ihnen freigebig erscheint; sie sind liebenswürdig gegen das schöne Geschlecht und wissen den tausend Bedürfnissen desselben billig Rechnung zu tragen, ohne jemals die Geduld zu verlieren; sie sind aber auch grob und unverschämt, sobald sie merken, daß ihnen kein Trinkgeld zuerkannt werden wird, und verstehen es dann meisterhaft, den Reisenden zu ärgern und zu plagen. Was natürlicher, als daß man sich mit ihnen auf den möglichst guten Fuß zu stellen und sich ihre Freundschaft vermittelst eines in Aussicht gestellten Silbergroschens zu erkaufen sucht?! Dann erfährt man von ihnen, was man erfahren will, und hat einen flinken und geweckten, dabei auch wohlerfahrnen Begleiter sich erworben, welcher in allen Lagen und Fährlichkeiten entschieden besseren Bescheid weiß, als der Reisende selbst, und dabei durch seine geistigen wie leiblichen Fähigkeiten von großem Nutzen sein kann. Ein solcher Skydsgut verkürzt den Weg oft in angenehmer Weise und hilft Einem glücklich über manche langweilige Stelle hinweg.

Mit solchem Roß und Wagen und mit solcher Begleitung durchzieht man nun nach Belieben das schöne herrliche Land. Obdach und Nahrung gewährt die Wechselstelle selbst; das Zimmer, welches für den Reisenden bestimmt ist, enthält die nothwendigen Bequemlichkeiten und vor Allem regelmäßig gute und reinliche Betten; die Bedienung läßt Nichts zu wünschen übrig, und die Zeche wird so billig berechnet, als man verlangen kann. An Nahrungsmitteln ist freilich manchmal einiger Mangel: aber die Freundlichkeit des Wirths ersetzt ja viel, und für den Genügsamen ist immer genug vorhanden. Man bricht gewöhnlich mit Tagesanbruch auf und durcheilt rasch einige Meilen, dann wird ein kleiner Halt gemacht und die Reise nach Belieben fortgesetzt bis gegen Abend, wo man dann die Hauptmahlzeit zu sich nimmt, um durch das Warten auf dieselbe nicht viel Zeit zu verlieren. In den höheren Gebirgen, über welche Hochstraßen führen, sind diese Wechselstellen oft die einzigen Gebäude weit und breit, und die Bewohner leben wie die Einsiedler, da sie blos mit den eilig Vorüberziehenden und ihren beiden stetigen Nachbarn an der Straße in Berührung kommen.

Die Skydsbeförderung gilt auch für das Wasser. Dort erhält man Boote anstatt Pferd und Wagen und wenigstens zwei Ruderer anstatt des Skydsgut. Diese Leute sind gewöhnlich eben so rasch bei der Hand, wie Pferde und Wagen auf den Wechselstellen zu Lande, und erfüllen das ihnen auferlegte Amt regelmäßig zu großer Zufriedenheit des Reisenden. Eine unschätzbare Eigenschaft haben überhaupt alle diese norwegischen Reisegefährten mit einander gemein: sie sind in jeder Beziehung ehrlich und gewissenhaft.

Dies Alles sind Dinge, welche das Reisen in Norwegen höchst angenehm machen: – was solch’ eine Reise aber dem Geiste und Herzen bringen kann, will ich nächstens schildern und dann ein Reisebild nachzuzeichnen versuchen, so gut es eben die stumpfe Feder erlaubt.




Der Lachsfang in Wales.

Die Kymry, wie einst in ihrer Größe und Blüthe die Celten genannt wurden, als sie noch das ganze westliche Europa einnahmen und mit Bildung überzogen, diese Kymry sprechen und leben im Herzen von Wales, wohin sie von den Anglo-Sachsen nach langen, blutigen Kämpfen zurückgedrängt wurden, noch heute so, wie vor Cäsar, vor Christi Geburt in England. Ihre Stammbrüder in der Bretagne, auf den Höhen Schottlands und in Irland haben sich vielfach geändert, und auch in das blaue, schieferige, felsige Wales sind Engländer mit ihrer Industrie und Sprache eingedrungen; aber unten am Meere und an Flußthälern und in einsamen Gebirgshütten findet man noch originale Abkömmlinge der alten Celten-Nation, wie sie unter ihrem großen und guten Könige Hoël Dha, dem Ritter und Dichterfreunde, ihrer Macht und Bildung froh ward. Hier sprechen sie noch ihre alte, seltsame Sprache, die von keinem andern Menschen in der Welt verstanden und ausgesprochen werden kann (ausgenommen von einigen Deutschen, wie Zeus, Siegfried u. s. w.). Selbst ihren Kindern machen Wörter von dreizehn Consonanten und gar keinem Vocale nicht die geringste Schwierigkeit. Sie sprechen, leben und fischen noch so wie vor Jahrtausenden. Als Fischer und Schiffer sind sie jedenfalls die größte Merkwürdigkeit, da sie auf die älteste, originellste und gefährlichste Weise die besten Lachse der Welt auf die englischen Märkte und die Festtafeln der Lords, Bischöfe und Banquiers liefern. Die Lachse von Wales, besonders aus den Flüssen Severn, Dee und Conway, sind die theuersten und besten in ganz England und das schmackhafteste Gericht unter allen Delicatessen, wenn es nach dem Recepte der Fischerweiber von Wales, wie es durch Jahrtausende hindurch sich erhielt, bereitet wird.

Außerdem glänzt und rauscht noch mancher dunkele See, noch mancher Bergstrom, noch mancher auf schneeigen Gebirgsspitzen geborene Teich von silbernen Blitzen gewaltiger Fische, bis sie dem wuchtigen Speere des Jägers, Fischers und Schiffers (in einer Person) zum Opfer fallen.

Der beste und malerischste Lachs-Jagd-Kampfplatz streckt sich am Dee-Flusse an den Wasserfällen von Yrbistock in der Grafschaft Flintshire. Hier eilt die wilde Deva (jetzt Dee) wie eine tobwahnsinnig gewordene Nymphe zwischen schauerlichen Felsengestalten an einen Abgrund und stürzt sich schäumend, donnernd, in weißem Gischt aufbrausend hinunter in eine tiefe, schwarze Wassermasse. Kein Fluß, kein Wasser der Erde verbindet mit einer eigenthümlichen, dunkelsten Schwärze eine so heitere, transparente, diamantene Klarheit, als die Wasser der Deva, die aus Felsen geboren, durch Felsen schäumend, von Felsen auf Felsen stürzend, von keinem Sande und Schlamme getrübt und so bis in ihre ungewöhnlichen Tiefen klar und rein erhalten wird. Wie polirt-silbern glänzen die mächtigen Lachse aus dieser schwarzen Klarheit empor! Kein malerischeres, närrischeres Schauspiel, als die einzelnen droves oder „Heerden“ von Lachsen stromaufwärts zum Laichen und mit dem wüthenden Wasserfalle kämpfen zu sehen. Sie drängen sich dicht heran an den Katarakt, und suchen die Stromschnelle mit ihren breiten, muskulösen Schweifen zu hemmen und zu dämmen, sich überstürzend und über eineinander wegpurzelnd, weil Jeder der Erste und Vorderste sein will. Wie sie aufspringen in wilden und wilderen Sätzen, fallend und immer fallend, um toller und immer toller dieselben Muthsprünge zu versuchen! Das klatscht und plätschert und planscht und glitzert in der Luft wie eine silberne, lebendige

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_814.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)