Seite:Die Gartenlaube (1860) 813.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

ein Stündchen mit dem Wirthe; ein schattiges Plätzchen fesselt uns: wir haben keine Eile. Oder aber wir stürmen, und das kleine Thier vor unserm Gefährt durchmißt mit uns eine Strecke von 1½ deutschen Meilen in weniger, als einer Stunde Zeit. Kurz, was man thun will, kann man thun; wenn man frei sein will, kann man es in der vollsten Bedeutung des Wortes sein. Dies alles vereinigen die Verkehrsanstalten Norwegens.

Es ist wohl nothwendig, daß wir sie etwas schärfer in’s Auge fassen. Betrachten wir zuerst Roß und Wagen. Das Zugthier Norwegens ist ein kleines ponyartiges, aber munteres, rasches und kräftiges Pferd, welches Ermüdung kaum kennt und dabei fromm und sanft ist, wie ein Lamm. Isabellgelb ist die Hauptfarbe der norwegischen

Auf der Stolkjärre, – etwas in Verlegenheit.

Pferde; doch kommen auch Braune und Rappen vor. Nur auf den sehr stark befahrenen Wegen erhält man abgetriebene Miethgäule. Gewöhnlich sind die Thiere gut genährt und dem entsprechend frisch und lustig. Verwöhnte Pferde gibt es in Norwegen nicht. Der Hafer ist ihnen eine Speise, welche sie nur dann zu sehen bekommen, wenn es kein grünes Futter mehr gibt (so lange dieses vorhanden ist, ernähren die Pferde sich auf freier Weide selbst, oder bekommen im Stalle Heu vorgelegt); der Aufenthalt im Freien stählt sie gegen die Einflüsse der Witterung und macht sie vertraut mit der Natur. Sie schrecken nicht, sie fürchten sich nicht vor Wind, vor Regen, sie erzittern vor keinem Donner, sie prallen nicht zurück, wenn ein Wasserfall plötzlich vor ihnen herabbraust, sie gehen so sicher wie ein Saumthier bergauf und bergab.

Das dem Lande ureigene Reisegefährt ist diesen Pferden ganz angepaßt. Es ist ein merkwürdiger Wagen, das Karrjol, wie der Norweger es nennt; jeder Fremde bedachtet es zuerst mit Lachen und gewinnt es später so lieb, daß er es oft herbei sehnt, wenn er statt seiner die böse Stolkjärre geliefert bekommt und sich auf ihr Stunden ja Tage lang herum schütteln lassen muß, daß ihm fast die Reiselust und Reisefröhlichkeit vergeht. Kein anderer Reisewagen kann so leicht, so zweckmäßig, so bequem sein, wie eben das Karrjol. Auf einer Achse oder eigentlich auf der Gabeldeichsel, ruht ein Sitz, halb Stuhl, halb Kutschkasten, in welchem eben nur ein Reisender Platz hat, und wenn er Mann ist, kaum genug für seine Beine, welche deshalb außen in besonderen eisernen Austritten eingestellt werden. Hinter ihm liegt ein Bret quer über die verlängerten Deichselhölzer, und auf dieses Bret kommt der unvermeidliche Begleiter zu sitzen, wenn der Weg Dies gestattet. Die Deichsel selbst federt und läßt die Unebenheiten des Weges sehr verschwinden; man sitzt leicht und bequem, wenn auch etwas sonderbar und ungewöhnlich darin, so ungewöhnlich, daß ein deutscher Reisender, welcher dies Gefährt in Bewegung, aber nur von fern gesehen hatte, sich zu dem Ausspruch veranlaßt fand: „Die Norweger haben die merkwürdigsten Wagen von der Welt; ich sah einen fahren, der hatte zwei Räder unter sich und das Pferd zwischen den Beinen und fuhr wie der Blitz davon.“ Der Mann hat Recht, von fern gesehen erscheint ein reisender Normann auf seinem Wagen genau in der Lage, welche jener Berichterstatter wahrzunehmen glaubte. Noch eigenthümlicher aber, als er, nimmt sich das schöne Geschlecht im Karrjol aus. Schon der jetzt auch in Norwegen allgemein übliche Reifrock macht Schwierigkeiten, der Sonnen- oder Regenschirm erschwert das Fahren, und das weibliche Ungeschick im Lenken des Wägleins thut häufig genug das Seinige, um einen Schreckensschrei aus dem schönen Mund zu rechtfertigen. Eigentlich muß auch jede Dame selbst ihr Roß lenken, so lange es der dienstbare Begleiter hieran kommen läßt; bei großen Steilungen aber ist das eigenhändige Fahren für Damen eine mißliche Sache, und es ist nur ein Wunder, daß so wenig Unglück dabei geschieht. Gegenwärtig ziehen übrigens die reisenden Damen meistens einen Gesellschaftswagen vor, und man liest deshalb in den Blättern, daß eine Gesellschafterin für irgend eine Reisestrecke gesucht wird, weil ja doch der Weg durch angenehme Unterhaltung möglichst verkürzt und durch eine Gefährtin auch der Kostenpunkt bedeutend ermäßigt wird.

In gleicher Lage, wie eine Dame auf dem Karrjol, befindet sich oft der männliche Reisende, wenn ihm das Schicksal die Stolkjärre bescheert. Dies ist eine Art Wagen, welche mit dem Karrjol die eine Aehnlichkeit hat, daß sie eben auch auf zwei Rädern läuft; im Uebrigen aber ist es ein wahres Ungeheuer von Reisekutsche, eine Marteranstalt für jedes Muttersöhnchen und auch für den Nichtverwöhnten jedenfalls ein höchst unangenehmes Beförderungsmittel. Auf einer Art von Kasten, welche sonst auch zum Einfahren von Früchten benutzt wird, ruht ein bankartiger Sitz, welcher in den meisten Fällen gleich auf dem Kasten angelegt ist, der seinerseits wieder ohne Federn auf der strafferen Deichsel und bezüglich der Achse liegt. Da gelangt denn jeder Stoß unvermindert bis zu dem Körper des Reisenden, und dieser wird so gründlich durchgeschüttelt und durchgewalkt, als man es nur wünschen oder vielmehr nicht wünschen kann. Die bessere, veredelte Stolkjärre ist allerdings bequemer: ihr Sitz hängt in hölzernen oder eisernen Federn, und deshalb empfinden blos die auf den Kasten gestellten Beine das Gerumpele vom Wagen. Allein dieser Federsitz hat auch seine Schattenseiten. Seine Befestigung läßt oft sehr viel zu wünschen übrig, ja sie macht die Fahrt auf der Stolkjärre oft geradezu

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_813.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)