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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Die Gems- und Bärenjagd in den Schweizer Alpen.
Von H. A. von Berlepsch.[1]

Der Aelpler ist eine feste, kernige, einfache Erscheinung in allen seinen Lebensbeziehungen, in allen seinen Lebensäußerungen. Ebenso genügsam, wie er in seinen Bedürfnissen, ebenso ungekünstelt, wie er in seinen Sitten, ebenso muthig, wie er in Gefahren, und ebenso ausdauernd, wie er bei den Beschwerden seines Erwerbes ist, – ebenso kühn und beharrlich, frisch und entbehrend ist er auch auf der Jagd. Sie steht im vollen Einklange mit seinem ganzen Wesen und mit der gewaltigen, großartigen Natur, die ihn umgibt.

Der Pirschgang auf Alpenthiere ist nach Terrain, Suche und Jagdart eine völlig anderen Bedingungen unterstellte, gänzlich anderen Umständen unterliegende Thätigkeit, als die zur Wissenschaft und noblen Passion ausgebildete hohe Jagd im Hügel- und Flachlande. Der größte Theil jener Praktiken, welche dort zulässig oder sogar geboten sind, und deren genaue Kenntniß und fertige Handhabung den flotten Jäger kennzeichnen, können in den Alpen nicht in Anwendung kommen; es ist keine paragraphisch-systematisirte Waidmannskunst, die sich theoretisch aus Büchern einschulen läßt, um ritterlich-elegante Komödie damit zu treiben, sondern so urnatürlich derb und wild, wie die Alpen selbst, ist auch die Jagd. Wer nicht das Zeug dazu in Knochen und Blut, in Muskeln und Fasern hat, wer nicht Gefahren und Strapazen lachend die Stirn bieten kann, wessen Auge nicht scharf und schwindelfrei in Abgründe zu blicken vermag, der lasse den Stutzen daheim, oder versuche sein Glück drunten im blassen, dürren Stoppelfelde und zwischen den Krautäckern, wo ihm der Hund den Hasen fangen hilft oder die Kitte Hühner vor den Schuß bringt. In den Alpen gilt’s wilden Bestien: Bären, Wölfen, Adlern und Geiern, oder der flüchtigen, weit witternden Gemse, oder den schlauen, scheuen Stein- und Schneehühnern. Es kann Einer ein perfecter Nimrod auf Rothwild sein und in der Sauhatz schon mancher Bache den Garaus gemacht haben, ohne auch nur eins der bezeichneten Alpenthiere erlegen zu können.

Abenteuer auf der Gemsjagd in Appenzell.

Zuvörderst gehört Mark in den Knochen dazu, ein leichter, sicherer Tritt, der, wenn auch Geröll und faulendes Gestein an jäher Bergwand ihm unter den harten, stachelbewaffneten Sohlen weicht, dennoch mit Sicherheit und kalter Ruhe darüber hinwegeilt, der sich zu helfen weiß im Labyrinth der Gletscher-Spalten und an der glatten, trügerischen Firnhalde, der nicht vorm Wagesprung zurückschreckt in den kahlen Kalkklippen, und der auf den Rasenbändern an den Felsenwänden so unbefangen geht wie der Dachdecker am Kirchthurm-Gesimse; – mit einem Wort, der Alpenjäger soll ein guter, ausdauernder Berggänger sein. Denn auf flinkem Jagdroß kann man nicht in die Flühenen reiten, wo das Wild haust; der eigene, feste Fuß muß den Alpenschützen hinauf in die zackige Gebirgs-Wildniß zum Waidwerk tragen. Dann ferner soll er vertraut mit den Revieren sein, in denen er sein Glück versuchen will.

Er muß die Gebirgsstöcke und ihre Sippschaft, die Grate, Joche, Zinken und Kämme, den inneren Zusammenhang der Schluchten und gewundenen Felsengassen kennen, um sich nicht zu versteigen, wie weiland Kaiser Max an der Martinswand in Tyrol, oder Rudolph Bläsi von Schwanden, dessen haarsträubendes Jagdabenteuer der Dichter Reithard in seiner bekannten poetischen Erzählung: „Die beiden Gemsjäger“ aufbewahrt hat. Es ist wohl kaum ein rechter Bergschütz, der nicht schon oft in ähnliche Lagen gerieth und nur durch einen Verzweiflungs-Sprung sein Leben rettete. Wie viele schon dabei zu Tode stürzten oder einsam verhungerten, ist nicht zu berechnen. – Und endlich muß er entbehren können, entbehren Speise und Trank, Ruhe und Wärme. Wer bedenkt, daß die Jagd in den Bergen meist erst aufgeht, wenn die Alpen von den Heerden verlassen sind, daß also in den Hütten keine labende, kuhwarme Milch, kein Imbiß Brod zu haben ist, wer bedenkt, daß der Schütze oft vier bis fünf Tage in der Einöde umherschweift, ohne inzwischen zu seiner tief unten im Thale liegenden Wohnung hinabzusteigen, daß er also seine Mahlzeiten knapp eintheilen muß, um mit dem wenigen trocknen Brod und Käse und seinem Fläschchen „Chriesiwasser“ (Kirschgeist) auszureichen, – wer endlich erwägt, daß nicht einmal der rauhe Wildheusack in dürftiger Alphütte ihm eine gegen Kälte und Wetter schützende Lagerstätte bietet, sondern daß der Mann auf hartem Stein, in irgend einer Felsenspalte gar oft zu übernachten gezwungen

  1. Zweite Bild- und Textprobe aus dem soeben erschienenen Pracht-Werke unseres verehrten Mitarbeiters: „Die Alpen in Natur- und Lebensbildern“. Das schön ausgestattete Buch ist, wie bereits früher gemeldet, mit 16 größeren Illustrationen von Rittmeyer verziert und eignet sich seinem inneren und äußeren Werth nach sehr zu einer Festgabe.   D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 789. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_789.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)