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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

tief am Horizonte und stimmte mit seinem scheidenden Glanze so recht zu der tiefernsten Melancholie, die sich über die stille Waldeinöde gelagert hatte, und die noch dadurch erhöht wurde, daß dann und wann ein schlaftrunkener Kiebitz, den unser Kommen aufscheuchte, wie träumend ein Stück fortstrich, seinen Namen traurig durch die nächtliche Stille rufend, bis er auf die nächste Kaupe oder hinter einem Stück schwarzer Moorerde wieder einfiel, um dort noch fortzuruhen. Sonst war Alles still, wie im Grabe. Nach kurzer Zeit hatte ich meine Hütte erreicht, in der ich mir, das Schießzeug auspackend, Alles bequem zurecht legte. Den Blick gen Osten gewendet, um den grauenden Morgen kommen zu sehen, schweifte das Auge hinaus, bis es, durch den plötzlich verschwundenen Nebel nicht mehr behindert, in weiter Ferne am dunkeln Waldessaume haften blieb. Darüber bildete sich jetzt ein dämmernder Streifen des kommenden Tages, der sich allmählich blutroth an dem sonst düsteren Wolkenhimmel entfaltete und vermuthen ließ, daß der ziemlich kalten Nacht ein regnerischer oder gar schneeiger Tag folgen werde. Bald vernahm das Ohr die bereits kommenden Hähne, während das Auge noch nicht im Stande war, die Dämmerung, welche noch die Bodenfläche verhüllte, zu durchdringen, um die liebedurstigen Vögel wahrnehmen zu können. Kaum traute ich meinen Ohren, so massenhaft schienen die balzenden Hähne sich auf der Blöße, weit nach dem Saume des Waldes zu, eingefunden zu haben. Das war ein Kollern, gleichsam ein großer, zusammenhängender Ton, als rückten sie in geschlossenen Colonnen heran.

Der Tag wurde lichter, so daß endlich auch das Auge, vom Spähen ohnedies geschärft, die nicht allzufernen Gegenstände unterscheiden lernte und dabei mehrere dunkele Körper wahrnahm, die wie Birkhähne aussahen, obgleich sich’s später herausstellte, daß mich einzelne Stücke Moorboden getäuscht hatten. Bald aber fing es an wirklich lebendig zu werden, und endlich kam ein Hahn so weit an die Hütte heran, daß man ihn bequem beobachten konnte. Schnalzend und kollernd trat er mit dem schönen lyraförmigen Spiel[1] radschlagend einher, dann und wann in die Höhe springend, als brenne es ihm unter den Ständern.[2] Es dauerte nicht lange, so kamen andere nebenbuhlerische Genossen, die sich nicht minder spreizten und kokettirend sich von der schönsten Seite zeigten. Man hatte nun vollauf zu thun, nach allen Seiten durch die verschiedenen Schießluken zu lugen, um nicht etwa einen schon schußgerecht herangekommenen balzenden Burschen zu verpassen. Jetzt hatte sich einer der Besessenen auch so weit genähert, daß ich ihn auf’s Korn nehmen konnte – und donnernd dröhnte der erste Schuß dem Walde zu, sich mit den kollernden Liebesversicherungen der schöngefiederten Birkhähne mischend.

Das erste Opfer lag, während die Ueberlebenden in ihrem Liebesrausche den Schuß nicht einmal gehört zu haben schienen, denn ungestört fuhren sie zu balzen fort. So hatte ich Gelegenheit, in kurzer Zeit wenigstens 30 Hähne zu zählen, während sie auf den entfernteren Balzstätten, wie das Ohr vernahm, nicht minder massenhaft vorhanden zu sein schienen. Mit lächerlicher Grandezza schritten die Kampflustigen flügelschleifend und radschlagend unter einander umher, dabei die drolligsten Capriolen und Sprünge machend, bis endlich Einzelne aneinander geriethen und in blinder Wuth sich zerhackten. Hatte dann der Stärkere oder oft nur der Muthigere den Gegner in die Flucht geschlagen, so schritten die Sieger mit doppelt stolzem und aufgeblähtem Wesen einher, sich dazu die höchsten Stellen auf dem Balze aussuchend, um von da aus die in der Nähe weilenden Geliebten durch die zärtlichsten Töne und sonstiges Gebahren an sich heranzulocken. Diese nahmen, von solcher Liebenswürdigkeit hingerissen, nicht Anstand, durch leises Gackern ihre Bewunderung auszudrücken, und folgten willig den verführerischen Einladungen des Siegers, der, wiederum auf halbem Wege entgegenkommend, durch Vorüberstreichen an der Auserwählten in ihr die Sehnsucht zu erhöhen sucht, sich mit dem im Hochzeitkleide prangenden Werber zu vermählen.

Nachdem mancher Schuß die stille Haide durchhallt hatte und der Tag höher und höher stieg, zogen sich auch die schwarzen Gesellen mit ihren Hühnern, die sie sich kämpfend errungen hatten, nach dem Walde zurück, so daß öfters ganze Flüge die Luft durchstrichen, wenn sie irgendwo durch eine verdächtige Wahrnehmung plötzlich zur Flucht veranlaßt worden waren. Natürlich wurden nun auch die Balzplätze leer, und so trat ich denn endlich aus der pulverdampfigen Reisighütte heraus, um die gemachte Beute aufzunehmen und mich über die Richtung, die die angeschossenen Hähne genommenen hatten, zu orientiren, damit diese von dem hinzukommenden Revierförster mit dem Hunde gesucht werden konnten. Wie frisch athmete sich’s in der freien Luft, mit welcher Lust schweifte jetzt das Auge bei der Tageshelle über die weite Fläche! Züge lärmender Krähen, die vom Walde, ihrem Nachtquartier, her nach den Feldern zogen, belebten die, wenn auch eintönige, doch großartige Landschaft. Auch die Kiebitze waren jetzt munter und umschwärmten uns, dann und wann niederschießend, um nach dem Hunde zu stechen, und gleich darauf in ihrem schnellen Fluge sich wieder emporschwingend, bis wir den am Walde haltenden Wagen erreicht hatten.

Nun ging’s wieder fort durch die weiten, wildreichen Forsten, dem Schlosse zu, auf welchem Wege noch manches Stück Wild, Roth- wie Rehwild, das in den Stangenhölzern den schützenden Dickungen zuzog, dem Auge sichtbar wurde.

Daß bei einem so reichen Balze die Freude der Beobachtung größer ist, als die am bloßen Schießen, versteht sich von selbst, da hierbei von der Spannung, ob wirklich ein oder der andere Hahn einfallen und ob er dann auch schußgerecht kommen werde, kaum die Rede sein kann. Bei so bewandten Umständen ist das Schießen, wenn sonst nur das Schießzeug sich in gutem Stande befindet und die passende Munition nicht fehlt, ein wahres Kinderspiel, wobei nur das Eine zu beobachten gilt, daß man die Entfernungen, die aus der dunkeln Hütte nach dem schwarzgefiederten Wilde auf dämmeriger Fläche ungemein täuschen, gehörig wahrnimmt.




Aerztliche Strafpredigten.
Die Anacahuitesucht.

Ein Jauchz entringt sich jetzt den hustenden Brüsten der schwindsüchtigen Menschheit aller Länder und mit ihm das Wort Anacahuite, welches ein in den Apotheken ziemlich theures Holz ist, das die deutschen Lungenleidenden dem preußischen Consulate zu Tampico in Mexico zu verdanken haben und das zu einem Theelöffel voll auf zwei Tassen Abkochung früh nüchtern, sowie des Abends vor Schlafengehen zu trinken ist, wenn es nämlich den Indianern Brustleiden aller Art curiren soll. Natürlich muß es der schwindsüchiige Europäer ebenfalls in Tampico, aber ja nicht etwa in Europa, und zwar längere Zeit trinken, wenn er gesunden will. Doch könnte er auch, wenn ihn sein Weg nicht gerade nach Mexico führt, dafür in Algier oder Egypten, meinetwegen auch in Palermo oder Madeira, früh und Abends einige Tassen Süßholzthee oder eine Abkochung von geraspeltem Ofenbankholze trinken. Der Erfolg wird ziemlich derselbe sein, ob man dieses oder jenes thut, denn nicht das Holz, wohl aber das Klima schafft dem Brustkranken in Mexico die Besserung und scheinbare Heilung.

„Ja, mir hat aber dieses Anacahuite auffallend schnell Linderung meiner Brustbeschwerden gebracht.“ So sprach ein Lungensüchtiger, der so vernünftig war und seit einigen Wochen einen Respirator[3] trug, trotzdem aber so unvernünftig war und diesen heilsamsten aller Heilapparate (s. Gartenlaube 1855, Nr. 8) für nichts, den ziemlich indifferenten, nur etwas bitterlich und zusammenziehend schmeckenden Holzthee aber für ein Wundermittel achtete. – Am Respirator läßt sich übrigens der Unverstand der kranken Menschheit recht deutlich sehen, denn nur wenn Brustkranke auf dem letzten Stück Lunge röcheln, da klammern sie sich erst dieses vortreffliche Schutzmittel für die Athmungsorgane, welches beinahe den Winteraufenthalt in warmen Klimaten ersetzen kann, vor dem Munde an. Und was dabei so empört, nur erbärmliche Eitelkeit oder die lächerliche Heuchelei, trotz des Aussehens eines ausgenommenen Herings doch eine Hausknechtsgesundheit besitzen zu wollen, die ist’s, die eine ganz enorme Anzahl von hustenden Schwindsüchtigen

  1. Spiel: Schwanz.
  2. Ständer: Füße.
  3. In Leipzig beim Bandagist Reichel zu haben.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_774.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)