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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

geschmolzene Gluth vorwärts wälzt. Senn’s Werke zeigen überall den tiefen Geist, dem die letzte Läuterung versagt blieb, doch soll man mit scheuer Ehrfurcht an dem Stamme vorbeigehen, dessen blühenden Wipfel der Blitz des Schicksals in den Sumpf geschleudert? Es wäre jetzt vielleicht, wo man ihn besser zu würdigen beginnt, an der Zeit, wenn eine tyrolische Buchhandlung eine Auswahl seiner Gedichte, vermehrt durch die Nachlese aus dem handschriftlichen Nachlaß, veröffentlichen würde.

X. Y. Z. 




Onkel Gottliebs Jugendliebe.
Von Ottilie Wildermuth.
(Schluß.)

Nach einer Pause fragte Eugenie schüchtern, wie um den Onkel zu besänftigen: „Aber brav und rechtschaffen war Gertrudens Bräutigam?“

„Brav und rechtschaffen; nun ja meinetwegen, das ist seine verfluchte Schuldigkeit!“ brummte der Onkel immer noch ungnädig, „aber langweilig war er, auch in seinem Geschäft war kein frisches Regen und Bewegen; als meine Mutter erwähnte, daß Gertrud so schön singe, und fragte: „der Herr Vetter werden auch ein Instrument spielen?“ da sagte er mit einiger Verlegenheit: „ich trommle zuweilen zu meinem Vergnügen auf dem Dachboden, es ist das ein Instrument, das sich selten verstimmt und bei dem man zugleich Motion hat.“ – Habt ihr auch schon einen Kerl gesehen, der zu seinem Vergnügen trommelt?“

„War Gertrud glücklich?“

„Dummheit! wie kann denn so ein Mädchen glücklich sein mit so einem hirschbeinernen Langweiler, wenn sie einen Burschen wie mich gekannt hat?“

„Aber zufrieden?“

„Ja, ja, sie war immer wie ein Engel!“ rief der Onkel, ungeduldig daß er seine Weichheit nicht unterdrücken konnte, „sie sah mich an mit dem sanften, schönen Blick, mit dem nur sie Einen ansehen konnte, sie bot mir die Hand und sagte: „Nicht wahr, Du wünschest mir Glück, und meinem Bräutigam auch, der so gut ist und meinen Eltern das Alter so leicht macht?“ – Nun, das hätt’ ich ja meinetwegen auch gethan; dem alten Extraprobator hätte nichts sollen abgehen, wenn ich auch nicht gleich Saffianstühle hätte polstern lassen können, auf einem Barchentüberzug wäre er nicht ausgerutscht! Aber freilich, warum hatt’ ich nicht reden dürfen!“

Der Onkel ging rasch im Zimmer auf und ab, und Eugenie mußte im Stillen denken, der Mama Stachelbeerwein bekomme eine gewaltige Lücke, ganz in Gedanken schenkte er das zierliche Gläschen ein Mal um’s andere voll.

„Ist’s gut gegangen?“ fragte endlich Eugenie leise.

Der Onkel setzte sich ruhig neben sie und sagte langsam, fast feierlich: „Das will ich Dir sagen, Mädchen, wie’s gegangen ist. Was ich da erzähle, war im Herbst; im Frühling sollte die Hochzeit sein; der Bräutigam, der Herr Huzelberger, wollte zuvor noch ein neues Haus bauen. Ich arbeitete nun erst wie toll, Tag und Nacht, um mein Examen noch ein halbes Jahr früher zu machen; ich hatte mich engagirt, dann den jungen Baron von Holst auf Reisen zu begleiten – ich wollte gern recht weit fort sein. Das Examen war glücklich vorüber, und ich schickte mich an nach Hause zu gehen, um mich zur Reise zu rüsten, es freute mich nichts auf der Welt recht – da klopft’s an meine Thür; wer meinst Du, daß herein kam?“

„Gertrud?!“ rief Eugenie erstaunt.

„Warum nicht gar?“ brummte der Onkel, „der Bräutigam war’s, der Herr Huzelberger, er sah aber nicht so gebügelt aus wie sonst, hatte auch nicht seine sieben Lachets an der Uhr hängen. Was in aller Welt wollte der bei mir? Seine Fabrik lag freilich nicht weit von der Universitätsstadt, aber er hatte mich noch nie besucht und ich ihn noch seltener.

„Herr Vetter,“ hub er an, „ich wende mich an Sie in einer traurigen Familienangelegenheit, wo ich selbst nicht den Muth habe zu reden.“ – Was konnte das sein? – „Mein Associé hat Bankerott gemacht,“ fuhr der Mann mit ruhiger Desperation fort, „er hat mich betrogen, wie alle Welt. Alle meine Ersparnisse, das Resultat meines ganzen Lebens, sind verloren, ich muß von Grund wieder anfangen. Der Chef eines Handelshauses in H., der weiß, wie unschuldig ich bei der Sache bin, hat mir eine Stelle als Buchhalter mit 800 fl. Gehalt angeboten, ich nehme es an – aber das ist keine Zukunft, die ich meiner Braut anbieten darf. Sehen kann ich sie nicht mehr,“ – ich muß sagen, dem armen Mann war das Herz recht schwer, als er das sagte, – „aber ich hörte, daß Sie nach U. reisen; wollen Sie, Herr Vetter, in eigner Person oder durch Ihren Herrn Vater Gertruden und ihren Eltern mittheilen, daß ich sie ihres Wortes förmlich und feierlich entbinde, daß ich unsere Verbindung als aufgelöst betrachte und mich aller weiteren Ansprüche enthalten werde, daß ich fernerhin“ – daran mußte der Kaufmann natürlich denken – „sie bitte, alle die kleinen Pretiosen und sonstigen Werthgegenstände, die ich ihr in der Zeit unsres Brautstandes verehrt, als Andenken zu behalten, da es mir auch ohne dies möglich sein wird, sämmtliche Passiva zu decken, die noch an meiner Person haften möchten.“

„Gott weiß, der arme Mann dauerte mich von Herzen; ich ließ vom besten Markgräfler kommen und wartete ihm auf, er wollte aber nichts nehmen. Ich versprach ihm, Alles ins Reine zu bringen, und hatte nie zuvor so freundlich und respectsvoll von ihm Abschied genommen wie jetzt, wo er bankerott war. Ich hatte zuerst kein fröhliches Herz und mußte viel an den armen Mann denken, wie ich so heimwärts ritt. Aber es war herrliches Frühlingswetter, grüne Wiesen und Felder und Lerchengesang; nach und nach kam mir denn doch Alles anders vor. Es war ja sichtbar Gottes Finger, daß Gertrud frei wurde von dem Mann, der so gar nicht zu ihr paßte; für ihn war es auch besser, wenn er frei und allein blieb, eine Familie hätte ja nur seine Sorgen vermehrt.

„Und als ich daheim mein Pferd durch einen Buben in die Stadt führen ließ und dem Häuschen zuging in der Hagenauer Vorstadt und als ich Gertrud allein daheim traf und sie bat, mit mir in die Laube zu kommen, als sie so neben mir saß in all’ ihrer Schönheit – o, da war mir’s so leicht ihr Alles darzustellen als eine Schickung vom Herrn, der ihr Herz wieder frei gebe, das sie nur aus Pflicht hingegeben, und nur so leise und nebenher erzählte ich von meinen eignen günstigen Aussichten und wie ich ihr wollte das Leben leicht machen und ihre Eltern auf den Händen tragen; ach, ich sagte so viel mehr, als ich hatte sagen wollen, mein Herz war so voll, und sie blieb so lange still und hatte ihr Angesicht tief gesenkt.

„Endlich sah sie auf und schaute mich an ganz still und lange mit diesen schönen, tiefen, dunkelbraunen Augen. – „Du glaubst, ich solle sein Anerbieten annehmen?“ fragte sie langsam. „Gewiß,“ sagte ich, „es ist sein eigner Wunsch und Wille.“

„Glaubst Du das?“ – Ich konnte nichts darauf antworten, sie fragte so tief in’s Herz hinein. – „Und glaubst Du, daß es recht so wäre?“ fragte sie wieder.

„Und möchtest Du,“ sagte sie weiter mit ihrer sanften innigen Stimme, „möchtest Du ein Mädchen lieb haben, um ein Mädchen werben, die einem Manne ihr heiliges Wort gegeben hat, als er reich war und glücklich, die seine Güte und seine Gaben angenommen, und die ihn allein ließe und verlassen, wenn er in Unglück ist?“

„Weiß Gott, ich saß da wie ein Schulknabe und konnte nichts erwidern. „Aber Deine Eltern werden nicht mehr wollen,“ stotterte ich endlich, „und für ihn selbst wird eine Frau mehr eine Last sein …“ – „Das ist meine Sache zu sorgen, daß ich ihm keine Last werde,“ sagte sie, „und die Eltern werden sich nicht weigern zu gestatten, was recht ist.“ – „Und ich gelte Dir nichts dazu?“ rief ich endlich heftig, „und daß ich Dich seit Jahren im Herzen getragen, lang eh’ Dich dieser Handelsmann gekauft hat, das rechnest Du für nichts?“ Da hat sie lange und still geweint. - „Das Alles,“ sagte sie endlich leise, „habe ich überwinden müssen, eh’ ich das erste Ja gesprochen. Für Dich wie für mich möchte ich Gottes Segen und Frieden, der denen wird, die das thun, was sie für Gottes Willen halten.“

„Wie lange wir da noch beisammen gesessen, weiß ich nicht;

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