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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

als für ein Gotteshaus halten konnte. Ich habe darum auch Frau von Wolzogen mehrfach ersucht, für eine neue Kirche sorgen zu wollen, ja mich erboten, ein Trauerspiel zu schreiben und den Ertrag für den Kirchenbau zu bestimmen.“ Und allerdings schrieb er später aus Mannheim an Frau v. Wolzogen einmal: „Könnte ich doch, wenn ich wieder nach Bauerbach komme, den Grundstein zur neuen Kirche gelegt finden! Es bleibt dabei, daß ich Etwas darein stifte.“ Auch ist es bekannt, daß er jedesmal in der kleinen Kirche zu Bauerbach war, wenn der Pfarrer Frießlich von Bibra, dessen Filial Bauerbach war, darin predigte. Nur ärgerte er sich über das im Dorfe gebräuchliche alte Gesangbuch, weil es viele geschmacklose Lieder enthielt, und er ruhete nicht, bis dasselbe abgeschafft und durch ein anderes ersetzt wurde, das namentlich viel Gellert’sche Lieder enthielt. Er veranlaßte Frau v. Wolzogen, eine namhafte Summe für den Ankauf des neuen Gesangbuches zu bewilligen, und besorgte denselben selbst.

Als eine seiner Eigenthümlichkeiten, die er schon als Kind gehabt hatte, ist seine bewundernde Vorliebe für Gewitter zu erwähnen, die sich auch in Bauerbach geltend machte, denn man erzählt, er sei bei jedem Gewitter, wenn die Leute in die Häuser geeilt, regelmäßig, selbst im stärksten Regen, hinaus ins Freie und namentlich auf den Fritzenberg gegangen. Indeß sagt man, er habe bei seinen Spaziergängen meist ein paar Blätter von einem Baume gepflückt und sie den ganzen Weg über in der Hand gehabt. Gewöhnlich ging er allein, tief in Nachdenken versunken, und blieb gelegentlich stehen, um etwas in ein Notizbuch zu schreiben. Nur bisweilen ersuchte er den schon erwähnten Juden, ihn zu begleiten. Sonst hielt er sich auch im Frühjahr ziemlich fern von den Leuten in Bauerbach; nur einigemal nahm er am Kegelspiel Theil und an den Sonntags-Abenden, wenn die jungen Burschen und Mädchen unter der Dorflinde zusammenkamen, erschien auch er erst, sprach freundlich mit ihnen und bat, sie möchten ein Lied singen. Gefiel ihm eins besonders, so klatschte er lebhaft Beifall so lange, bis es wiederholt wurde. Unternahm er keinen Gang in’s Freie, so saß er in der schon erwähnten Laube oder Hütte im Hofe unter Linden und las oder schrieb eifrig.

Einmal wurde die Ruhe und Stille seines Lebens in Bauerbach durch einen Tumult gestört, bei dem er sich mit einer gewissen Autorität zu benehmen wußte. Das Dorf und das Gut standen nämlich fortwährend in Fehde, die bei jener Gelegenheit gewaltsam losbrach. Er selber schrieb darüber an Frau von Wolzogen: „Ihr ganzes Bauerbach ist gegenwärtig in Unruhe, welche nur durch Ihre persönliche Autorität gestillt werden kann. Der ewige Groll der Gemeinde gegen den Verwalter äußert sich täglich mehr. Kürzlich entstand ein Streit zwischen den beiden Parteien wegen der Schafe. Voigt und Consorten verboten, das Vieh auf die Wiesen zu treiben. Der Wirth und Andere prätendirten das Gegentheil, die Gerichte sprachen zweimal für den Verwalter und demungeachtet trieben die Letzteren die Schafe auf die Wiesen; Ihre eigenen wurden nicht geschont. Ich kam zu einer Scene, die, so verdrießlich sie mir im Grunde war, den besten Maler verdient hätte. Voigt und Consorton kamen mit Knitteln, die Schafe wegzutreiben; die Andern wehrten sich, man sagte einander Grobheiten, Wahrheiten und dergl. Des Wirths Sohn hetzte den Hund an den Verwalter, welcher, in Gefahr Schläge zu kriegen, die Glocke ziehen ließ und das ganze Dorf aufforderte. Nun ist durch den Gerichtshalter jede gewaltsame Execution des Verbots untersagt und für morgen ein Termin angesetzt. Meine Meinung ist (ich habe beide Parteien gehört), Sie souteniren ihren Schulzen, der doch immer Ihre Person vorstellen muß, gegen das respectswidrige Betragen der Nachbarn. Die Gemeinde aber müssen Sie auch gegen diesen in Schutz nehmen. Rein ist er nicht. Geben Sie ihm Gewalt, aber behalten Sie sich vor sein Verhalten zu untersuchen.“

Es war dies kurz vor der erwarteten Ankunft der Gutsherrin, und Schiller veranlaßte die Gemeinde, ihre unveränderte Liebe und Verehrung für Frau von Wolzogen durch einen recht feierlichen Empfang derselben kund zu thun. Er selbst hatte 9–10 Tage mit allerhand Kleinigkeiten zu thun, da er über sich genommen, Haus und Garten in Stand zu setzen. „Vor dem äußersten Ende des Dorfes“, schreibt er, „ließ ich eine Allee von Maien bis an das Herrenhaus anlegen. Im Hofe des Hauses war eine Ehrenpforte von Tannenzweigen errichtet. Vom Hause ging es unter Schießen in die Kirche, die überall mir Maien vollgestellt war. Wir hatten artige Musik mit Blasinstrumenten, und der Pfarrer hielt eine Einzugsrede, was ich erwähne, weil ich es interessant fand, daß in dem „barbarischen Bauerbach“ dergleichen geschehen ist.“

Was er später so unvergleichlich von „der ersten Liebe goldner Zeit“ gesungen hat, empfand er nun im vollsten Maße, denn seine Leidenschaft für Charlotte loderte in hellen Flammen auf, so daß Frau von Wolzogen es gerathen fand, auf seine Abkühlung bedacht zu sein. Sie zeigte ihm deshalb das Tagebuch ihrer Tochter, aus welchem hervorging, daß sie den Herrn von Winckelmann liebte. Wer weiß, welche Wirkung diese plötzliche niederschlagende Enthüllung auf den Dichter gehabt, wenn er nicht zugleich einen Brief von dem Bruder des Mädchens, seinem Freunde Wilhelm von Wolzogen, erhalten hätte, der ihm eine ähnliche Mittheilung machte, ihn um seine Meinung über Winckelmann bat und ihm seine Schwester empfahl. Das war ein Aufruf an sein edles Herz –, das sich denn auch vollständig bewährte. Er antwortete dem Freunde: „Sie haben mir Ihre Lotte anvertraut. Ich danke Ihnen für diese große Probe Ihrer Liebe zu mir. Noch ganz wie aus den Händen des Schöpfers, unschuldig, die schönste, reichste, empfindsamste Seele und noch kein Hauch des allgemeinen Verderbnisses am lauteren Spiegel ihres Gemüths – so kenne ich Ihre Lotte, und wehe demjenigen, der eine Wolke über diese schuldlose Seele zieht! – Ihre Mutter hat mich zum Vertrauten in einer Sache gemacht, die über das ganze Schicksal Ihrer Lotte entscheidet. Ich kenne den Herrn von Winckelmann, er ist Ihrer Schwester nicht unwerth …“

Schiller’s mit Gewalt niedergehaltene Liebe fand trotzdem bald wieder Gelegenheit sich frei zu äußern. Jener Herr von Winckelmann schien durch die Liebe Charlottens mehr sich geschmeichelt zu fühlen als sie zu erwidern und hatte einige nicht sehr zarte Aeußerungen darüber an Wilhelm von Wolzogen gethan, der entrüstet und besorgt wegen der Schwester an Schiller schrieb. Dieser aber antwortete: „Wir haben Ihre liebe Schwester in Bauerbach vierzehn Tage bei uns gehabt und mit dem größten Vergnügen beobachtet, daß eine ansehnliche Provinz ihres Herzens dem bewußten Götzen noch nicht angehört. Sie ist nicht so melancholisch, als die Eitelkeit gewisse Personen zu überreden scheint etc.“

Daß er sich nun alle erdenkliche Mühe gab, dies Herz für sich zu gewinnen, wird man eben so erklärlich finden, als die Besorgniß der Frau v. Wolzogen, es könne ihm gelingen, da bei den unsichern Aussichten des Dichters eine Verbindung der Tochter mit ihm in sehr großer Ferne lag. Er bestürmte sie, das Verhältniß zu der Herzogin zu lösen, welche bisher das Honorar für Charlotte in einer Pension bezahlt hatte, in welcher es ihr nicht gefiel, und versprach, aus Freude dann jedes Jahr ein Trauerspiel mehr zu schreiben und darauf zu setzen: „Trauerspiel für Loire“. Um das junge Mädchen aus der Nähe des leidenschaftlichen Dichters zu bringen, gab die Mutter sie zu der Amtmännin in Maßfeld, bei der sie einige Kenntnisse in der Wirthschaft erlangen sollte. Diese Trennung steigerte aber Schiller’s Leidenschaft nur noch mehr, obgleich sie in keiner Weise durch Charlotte’s Benehmen genährt wurde. Er vernachlässigte alle seine Arbeiten, da seinen Geist nichts beschäftigte als die Liebe, ja er kam in eine so gefährlich aufgeregte Stimmung, daß das Schlimmste zu fürchten war. Von seiner ungewöhnlichen Erregtheit zeugt u. A. eine Ahnung, die vielfach erzählt worden ist: „Auf einem unwegsamen Pfade durch den Tannenwald, zwischen wildem Gestein, ergriff ihn das Gefühl, daß hier ein Todter begraben liegen müsse, weil es ihn wie ein Hauch aus einer Todtengruft anwehe. Er blieb stehen, der Verwalter Voigt holte ihn ein, wieß auf eine von zwei sich kreuzenden Wegen gebildete Waldspitze und erzählte: „Hier wurde vor einigen Jahren der Fuhrmann Martin von einem Räuber erschlagen und sein Leichnam eingescharrt.“

Es war offenbar die höchste Zeit, daß etwas geschah, um ihn aus solchen Verhältnissen und Zuständen zu reißen. Er selbst jammerte, „daß es weit und breit Niemand gebe, welcher seiner zerstörten und wüsten Phantasie zu Hülfe käme“. Frau v. Wolzogen faßte endlich einen Entschluß, nachdem sie lange Alles bedacht hatte. Der Herzog von Würtemberg benahm sich fortwährend großmüthig: er that nichts gegen die Eltern Schiller’s, auch nichts gegen diesen selbst; die Mannheimer Freunde forderten den Dichter auf, wieder zu ihnen zu kommen, und die Unterhandlungen mit Dalberg wegen „Louise Millerin“ waren noch immer

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