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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

aufopfern sollten, die keinen Fehler hat, als das; ich sie nicht liebe. Ich würde Ihre und Ihrer guten Lotte Ankunft in Bauerbach nicht ertragen kennen, wenn mir einfiele, daß ich Sie eines Freundes beraubte.“

Es war ein Glück für den Gepeinigten, daß unterdeß der Frühling kam, der es ihm möglich machte, durch Umherstreifen in der wiedererwachenden Natur und durch neu angeknüpfte Bekanntschaften seinen Mismuth zu zerstreuen.

Ein Schritt aus dem Hause und dem Dörfchen brachte ihn in’s Freie, und die Tradition weiß heute noch seine Lieblingswege in der ganzen Umgegend anzugeben. Gleich über dem Dorfe liegt der Fritzenberg, zu dem vom Herrengarten aus der jetzt sogenannte Schillerpfad hinaufführt. Auf der Höhe stand zu seiner Zeit ein von Buchen umgebener Tisch mit Bänken, wo er oft rastete, oft auch seinen Kaffee trank. Von da wendete er sich häufig abwärts durch eine schöne Buchenwaldung, der Tiegel genannt, zu dem waldeinsam liegenden Schlößchen Sophienlust, das die Herzogin Elisabeth Sophie von Meiningen erbauen ließ und das jetzt Amalienruh heißt.

Die Schiller-Hütte bei Bauerbach.

Wollte er von da aus einen noch weitern Weg gehen, so begab er sich durch Still und weiter über die Dreißigackerer Höhe nach Walldorf oder über die Spießenleute nach Reinwald’s Gartenhause bei Meiningen, das in einem sogenannten Berggarten, oben am Ende des Berges, am Saume eines Kiefernwaldes steht, von einer höchst malerischen Baumgruppe umgeben, ein höchst einfaches Häuschen, von dem aus man aber eine reizende Aussicht hat, welche ein Höhenzug des Thüringer Waldes abschließt. In diesem Häuschen fand er häufig die rechte Stimmung zu poetischem Schaffen, und einige Scenen des „Don Carlos“ sind darin entstanden. Nicht selten bestieg er auch den Gipfel der Eulskoppe, die auf guten Wegen leicht zugängig war, um die Aussicht von da zu genießen, die bis zum Inselsberg reicht, während sich im Westen ein Hügel mit den Ruinen der Stammburg der Grafen von Henneberg zeigt. Oder er wanderte auf einem schönen Waldpfade, abwechselnd durch Buchenwald und Tannendickicht, nach dem Spatel, einem wohlgepflegten, von Wiesen begrenzten Waldtheile, in dessen Mitte sich Wege kreuzten und eine von Tannen und Eichen gebildete Laube mit einer Rasenbank zum Ruhen einlud, vielleicht von da noch weiter durch die Bibraischen Büsche nach Bibra selbst, dem Stammsitze des alten Geschlechts der Freiherrn von Bibra. Auch bog er auf einem Punkte dieses Weges wohl ab, um nach Nordheim im Grabfeld zu wandern, und er machte da der Familie von Stein einen Besuch oder noch öfter seinem Leib- und dem von Stein’schen Garderobeschneiter Valentin Kümmel, der ein weitgereister, über seinen Stand gebildeter, weltgewandter Mann war, eine kleine Restauration hielt, die durch ihren trefflichen Kaffee in der ganzen Umgegend berühmt war, und überdies zwei reizende Töchter hatte, die den empfänglichen Dichter wohl auch anzogen. Einst, als er von Nordheim ziemlich spät zurück in die Nähe von Bauerbach kam, hörte er von einer nahen Wiese her ein klägliches Geschrei. Er eilte sofort dahin und fand den Haus- und Hofjuden des Herrn von Stein, Jonas Oberländer, der sich in Bauerbach betrunken hatte und in einen tiefen Wassergraben gefallen war. Der Dichter zog den Betrunkenen glücklich an’s Land, und der Gerettete, der erst vor wenigen Jahren gestorben ist, segnete dankbar bis an sein Ende den Dichter, der ihn aus Todesgefahr befreit. Ein anderes Mal hatte er sich unter einen Birnbaum an der Straße nach Walldorf gelagert und sah von da aus ein Mädchen herankommen, das sich offenbar scheute in seine Nähe zu gelangen. Es war die in der Erziehung sehr vernachlässigte Tochter einer unglücklich verheiratheten Schwester der Frau von Wolzogen, welche diese zu sich genommen hatte. Schiller stand auf und hielt die Kleine an, die Heimweh bekommen hatte und fliehen wollte. Er beruhigt sie, führte sie nach Bauerbach zurück und unterhielt sie den ganzen Abend dadurch, daß er ihr Bilderchen zeichnete, Figuren ausschnitt etc.

Häufig machte er die erwähnten Wanderungen, um einen oder den andern Prediger in der Nähe zu besuchen, den er durch Reinwald kennen gelernt hatte. Merkwürdiger Weise lebten in kleinem Umkreise mehrere Geistliche, die nicht blos wissenschaftlich sehr gebildet, sondern zum Theil sogar berühmt waren, wie Rasche zu Untermaßfeld, der als Numismatiker einen europäischen Ruf hatte, Scharfenberg in Ritschenhausen, den seine entomologischen Schriften bekannt gemacht hauen, Sauerteig in Walldorf, die beiden Frießlich, Vater und Sohn, in Bibra, der Diaconus Volkhardt und der Hofprediger Pfranger in Meiningen, der Verfasser des „Mönchs vom Libanon“, eines Seitenstücks zu Lessing s „Nathan“. Der Letztere allein sah in Nathan eine Verherrlichung des Judenthums auf Kosten des Christenthums, alle Andern waren begeisterte Verehrer Lessings und also wohl geeignet und befähigt, den jungen Dichter anzuziehen und festzuhalten. Sie alle, oder doch mehrere, kamen auch mit Schiller, namentlich in der Zeit als er in Meiningen entdeckt zu werten fürchtete, in dem Volkhardt’schen Gartenhaus Nachmittags und Abends zusammen, wo die Unterhaltung oft sehr lebhaft gewesen sein soll. Der Pfarrer Pfranger, Sohn des genannten Hofpredigers, erzählt: „Als im Jahre 1829 der würdige Pfarrer Sauerteig zu Walldorf sein 50jähriges Amtsjubiläum gefeiert hatte, saß ich am Abende darauf traulich mit ihm an einem Tische zusammen, und er äußerte damals: „Diesen Tisch sollst Du einmal von mir erben. Er ist um dreier Ursachen willen merkwürdig, erstens weil er von mir selbst gefertigt wurde, zweitens weil er mit mir zugleich sein 50jähriges Jubelfest gefeiert, und drittens –? weil Schiller, als er eines Tages von Bauerbach aus mich besuchte, an diesem Tisch eifrig an seinem Don Carlos arbeitete, während ich ihm gegenübersaß und an einem Leichensermon schrieb. Nachdem wir so eine Zeit lang still gearbeitet hatten, forderte Schiller mich auf, ihm etwas von dem vorzulesen, was ich unterdeß geschrieben. Ich that es, und Schiller las mir dann mit großem Pathos die Scene vor, welche ihn eben beschäftigt hatte. Ich war so erstaunt über das, was ich vernahm, daß ich unwillkürlich bemerkte: „unsere Werke von heute werden wohl ein sehr verschiedenes Schicksal haben.““

Nach einer andern Tradition, welche sich in Walldorf erhalten hat, kam Schiller eines Tages mit dem Hofprediger Pfranger in Streit über Lessing’s „Nathan“, den er gegen den Vers des „Mönchs vom Libanon“ warm vertheidigte. Da bemerkte Pfranger: „Sie sind am Ende auch der jetzt überhandnehmenden Freigeisterei zugethan, welche nichts für überflüssiger hält, als die christliche Kirche?“ – „keineswegs,“ soll Schiller geantwortet haben, „im Gegentheil, ich ärgere mich darüber, daß Viele sich so wenig aus ihrer Kirche machen, während, wie ich in Bauerbach und Walldorf sehe, die Juden sehr eifig in ihrem Gottesdienst sind. Ich ärgere mich namentlich darüber, daß es in Bauerbach eine so schlechte Kirche gibt, die man viel eher für einen Holzschuppen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 749. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_749.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)