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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

mit ausgezeichnetem Scharfsinn und klarem Geiste den Einfluß der rein geistigen Bestrebungen auf die Entwickelung nicht blos der sittlichen, sondern auch der bürgerlichen und politischen Zustände nachweist.“ Wir gedenken ferner seiner so außerordentlich berühmt gewordenen „Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts“, deren erste Auflage 1823 in 2 Bänden erschien, während wir jetzt eine vollständig umgearbeitete und reich vermehrte vierte Auflage davon besitzen, welche zugleich die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Sturze des französischen Kaiserreichs enthält; dann die Schrift: „Zur Beurtheilung Napoleons und seiner neuesten Tadler und Lobredner, besonders in Beziehung auf die Zeit von 1810 bis 1813“, welche er in drei Abtheilungen von 1832–35 veröffentlichte.

Schlossers Hauptwerk ist jedoch unstreitig seine „Weltgeschichte für das deutsche Volk“, an welcher sich besonders bis zum achten Bande der bekannte Frankfurter Geograph Dr. G. L. Kriegk, namentlich was die Schreibart betrifft, betheiligt hat. Das war eine deutsche That, wie sie uns nicht leicht ein anderes Volk nachthun wird. Mit ihr hat der hochwürdige Greis, wie Humboldt mit seinem Kosmos, sein Leben zum glorreichsten Abschluß gebracht. In diesem Werke besitzt das deutsche Volk, nach dem wahren Urtheile eines deutschen Publicisten, einen unerschöpflichen Bildungs- und Belehrungsschatz, aus dem es sich, wie aus wenigen anderen Büchern, die politisch und sittlich gesundeste, thatenwirkende Nahrung für seine nationale und geschichtliche Entwickelung ziehen kann. Und wenn wir dereinst wieder den Rang erobert haben, der uns unter den großen geschichtemachenden Nationen zukommt, dann werden wir mit Dank und Liebe uns erinnern, was wir unserm großen Lehrer in der Geschichte zu verdanken haben. – Aus der hochherrlichen Trias Alexander von Humboldt, Ernst Moritz Arndt und Friedrich Christoph Schlosser hat der Tod die beiden Ersten abberufen; auch die Lebenstage des Letztgenannten sind gezählt, wie reich sie immer an wohlverdientem Ruhm und Ehren waren; aber so lange von einem deutschen Volke und von deutscher Sprache geredet werden wird in den fernsten Jahrhunderten, werden die Namen dieser deutschen Geistesfürsten neben den leuchtenden Sternen der deutschen Dichtkunst genannt werden von Volk zu Volk, und das Urtheil der Weltgeschichte, das Urtheil des Weltgerichts, lautet schon jetzt:

„Sie leben unsterblich fort bis an das Ende der Zeiten!“

Damit sich der Leser selbst ein Urtheil über Schlosser’s Anschauung der Geschichte und seine Schreibweise bilden könne, werden wir später einen kurzen Abschnitt aus seiner Geschichte des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts mittheilen.




Der Wald von Bialowicza.
(Schluß.)

Das noch in vielen andern europäischen Waldungen vorkommende urweltliche Thier, der Elenhirsch, glauben wir nicht mit gleicher Ausführlichkeit besprechen zu dürfen, als es bei dem Bison geschehen. Das Elen oder Elch ist sowohl aus Naturgeschichten, als aus zoologischen Gärten und selbst in der Freiheit viel bekannter. Es sei hier nur für die Leser, bei denen unsere Voraussetzung nicht zutreffen sollte, gesagt, daß der Elenhirsch sich von dem Edelhirsch durch seine langen, starken und muskulösen Läufe, durch seinen kurzen Körper, langen Kopf mit hängender Unterlippe und durch seine schaufelförmige Gehörnbildung unterscheidet. Die hängende Unterlippe veranlaßte die alten Völker zu der Annahme, das Elenthier könne nur im Rückwärtsgehen äßen, was natürlich längst widerlegt ist.

Der Elenhirsch hält sich nur in Gegenden auf, in welchen es große Sümpfe gibt, da diese ihm zu seiner Erhaltung nothwendig sind. Morastboden, den weder Mensch noch Thier gefahrlos betreten könnte, durchmißt das plumpe Geschöpf mit Leichtigkeit, ohne einzusinken. Es legt sich dazu auf die Seite und schnellt sich mit den starken Läufen vorwärts. Weil es im Bialowiczaer Walde an Sümpfen fehlt, sucht das Elen dort die benachbarten Gegenden auf, die an tiefen, mit Strauchwerk und Wassergewächsen bedeckten Morästen reich sind. Diese für Menschen völlig unzugänglichen Sümpfe haben eine Ausdehnung von 20–30 Meilen, und theilen sich in mehrere Arme. Mitten in diesem tiefen Moorlande liegt die kleine Stadt Pinsk, auf einer Erderhöhung, zu welcher ein schmaler Damm führt. Sie ist vielleicht eine der unzugänglichsten Festungen, die es gibt, obgleich sie weder von Mauern noch Wällen umgeben ist.

Das Elchwild hat Ende September bis in den October hinein seine Brunstzeit, und es ist dann gefährlich, sich den leicht in Wuth gerathenden Thieren zu nahen. Im Mai setzt das alte Thier 1–2 Junge. Das Elen liebt die Einsamkeil und zieht sich vor den andern Thieren zurück. Unter sich aber lebt es gesellig, wie das Roth- und Damwild, und ist fast immer in größeren Rudeln beisammen zu treffen. In Preußen ist der Haupt-Elchwildstand in dem königl. Forstreviere Ibenhorst bei Memel, wo jetzt wiederum ein Bestand von mehr als 100 Stück vorhanden ist, während ihre Zahl im Jahre der Jagdfreiheit 1848 auf 16 Stück vermindert worden war! Im russischen Litthauen ist dies merkwürdige Thier seit der Regierung Pauls des Ersten seltener geworden. Es wurde ihm damals seiner Haut wegen sehr nachgestellt, aus welcher jener Monarch die Beinkleider für seine schwere Cavallerie verfertigen ließ. Zur Heidenzeit verehrten die Litthauer das Elen als Gottheit und noch heutzutage schreiben sie den geraspelten Hufen dieses Thieres eine heilsame Wirkung gegen epileptische Krämpfe zu.

Wo der Wald ausschließlich zur Holzzucht bestimmt ist, kann übrigens das Elen nicht geduldet werden, da es den Bäumen durch Abschälen der Rinde und durch Niederreiten der jungen Stämme ungeheuren Schaden zufügt. – Die Beschaffenheit und Lebensart aller übrigen im Bialowiczaer Walde vorkommenden Wildarten gibt für den vorliegenden Zweck keinerlei Veranlassung zu weiterer Besprechung, obgleich sie einen Stoff darbieten, der genug des Interessanten enthält, um ihm einen neuen Artikel in diesen Blättern zu widmen. Vielleichl geschieht das gelegentlich einmal!

Die Jagd, wie sie noch heute im Walde von Bialowicza getrieben wird, ist sehr einfach. Man übt sie meist mit Bracken aus, die sehr groß und wild sind, doch ist diese Art der Jagd nicht eben kurzweilig und dem Wildstande überdies nachtheilig. Stundenlang muß man oft bei dieser Gelegenheit auf demselben Posten stehen; man hört die Jagd sich immer weiter und weiter entfernen, und kann nur bei ganz ausgezeichneten Hunden mit einiger Sicherheit darauf rechnen, daß man zu Schusse kommt. Oft treiben die Hunde das Wild meilenweit fort, oder springen von einer Fährte ab, um eine andere zu verfolgen, und bringen schließlich oft gar nichts vor die Büchse des Schützen. Das Pürschenfahren oder Parforce-Reiten verbietet die Beschaffenheit des Waldes; darum ist es das Sicherste, sich an einem gut ausgemachten Wechsel auf den Anstand zu stellen, oder eine Klapperjagd zu veranstalten. Eine solche Klapper- oder Treibjagd im Bialowiczaer Walde gehört unstreitig zu den schönsten und interessantesten Waidmannsgenüssen, und wer einmal das Glück gehabt einer solchen beizuwohnen, dem wird sie stets in der Erinnerung fortleben!

Kaum haben die leicht und vorsichtig angestellten Treiber ihren Marsch durch die Dickung begonnen, so erscheint auch schon, wie aus der Pistole geschossen, der Wolf an der Schützenlinie. Unmittelbar nach ihm sucht Reineke sich durchzustehlen, indem er so lang gestreckt als möglich durch das Unterholz schleicht und nur von Zeit zu Zeit stehen bleibt, um sich zu überzeugen, ob die Treiber noch auf seiner Fährte sind. Dann folgt gewöhnlich das Elchwild in majestätischem Trabe; hier bricht ein Rudel wilder Sauen unter mißvergnügtem Grunzen ob der unwillkommenen Störung sich unaufhaltsam Bahn durch das Dickicht; dort eilt ein flüchtiges Reh vorüber, und an einer andern Stelle sieht man den Bären so schnell als möglich von dannen traben, um sich vor dem bedrohlichen Lärmen in Sicherheit zu bringen. Endlich aber, fast unmittelbar vor den Treibern, die mit allen möglichen Werkzeugen, ihre eigenen Lungen nicht ausgenommen, einen wahren Höllenspectakel vollführen, die Hunde auf seinen Fersen, kommt der Bison schnaufend einhergetrabt. Ab und zu macht er kehrt und bedroht seine kläffenden Verfolger, die vor dieser Senkung seines gewaltigen Nackens und der eisenstarken Hörner die Flucht ergreifen, um, sobald der Bison wieder seinen Lauf fortsetzt, desto eifriger hinter ihm drein zu jagen. Oft freilich geht auch der Bison, trotz aller

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 743. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_743.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)