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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Eugenie legte willig ihre Herrlichkeiten bei Seite und ging mit der Erquickung in den untern Stock, wo seit einiger Zeit, in Ermangelung einer andern Wohnung, der Actuar mit seiner jungen Frau wohnte. Die Frau war Wöchnerin, das Kindlein, erst noch mit so unendlichem Jubel begrüßt, schlummerte nun fast unbeachtet in seiner Wiege, um das Bett der jungen Mutter aber, die bewußtlos in glühender Fieberhitze lag, stand angstvoll der Gatte, der Arzt und die Wärterin. Leise und schüchtern setzte Eugenie den Trank auf ein Tischchen, sie wagte nicht der kranken Frau näher zu kommen und wußte, so gern sie gewollt, hier nichts zu helfen, sie sah nach dem schlummernden Kindlein und schlich leise wieder herauf.

„Nicht wahr, die Frau ist sehr krank?“ fragte die Mutter.

„Ich meine doch nicht,“ versicherte Eugenie eifrig, „sie hat ja ganz rothe Wangen.“

„Eben diese Hitze ist das Aengstlichste,“ meinte die Mutter.

„O bewahre. Weißt Du, wie Tante Karoline einmal so krank war, die jetzt wieder ganz gesund ist? Gib nur Acht, die Frau Waldmüller wird gewiß wieder gesund!“

Die Mutter schüttelte bedenklich den Kopf und ging selbst zu der Kranken hinunter, während Eugenie, nicht mit demselben fröhlichen Herzen, wieder ihre anmuthige Arbeit aufnahm. Freilich kamen die drei Mädchen gar bald in dem Beschluß überein, daß die Krankheit der Frau Waldmüller gar nicht gefährlich sei und dieselbe wahrscheinlich morgen wieder hergestellt sein werde. Sie kannten selbst nicht den Egoismus ihres jungen Herzens, das nicht gern den Schatten fremden Leides auf seiner Freude leiden wollte.




Es war Nachmittag, der Ballstaat war fertig; ausgebreitet lagen die drei Gewänder mit ihrem Zubehör auf dem Sopha der Visitenstube, von ferne umkreist von den bewundernden jüngern Geschwistern, die Hedwig, die Hüterin der Schätze, immer wieder davon wegscheuchte; etwas ernst, aber recht anmuthig sahen die blauen Kornblumen zu Eugeniens weißem Kleid, sie trugen die Farbe ihrer Augen und mußten hübsch stehen zu der reinen, blühenden Gesichtsfarbe und den dunklen Haaren. Die kleine Hedwig verstand sich nicht auf Toilettenkünste, sie hatte eine ziemlich handfeste Schleife von starkem Rosa an ihrem Kleid vorne befestigt, eben solche an den Achseln, die ihrer etwas kurzen, runden Gestalt das Ansehen einer auffliegenden Taube geben mußten, sie baute aber getrost auf die rothe und weiße Rose, auf ihre siebzehn Jahre und ihr frisches blühendes Gesichtchen.

Die Mutter, die sonst so freundlich Theil nahm an aller Jugendlust, war wieder unten bei der kranken Frau, das ältere Knäblein, das man heraufgebracht, um das Krankenzimmer still zu erhalten, spielte in einem kleinen Gebirge abgängiger Spielsachen, mit denen ihn Oskar, Eugeniens kleiner Bruder, reichlich versorgte.

Da erscholl außen ein Freudengeschrei der zwei jüngern Kinder: „Onkel Gottlieb, Onkel Gottlieb!“ und mit dem überraschenden Lächeln eines Gastes, der sich willkommen weiß, ließ sich der Onkel in’s Zimmer schieben, wo er von den Großen mit demselben Jubel wie von den Kleinen empfangen wurde und nach seiner gewohnten Weise mit ruhigem Lächeln stehen blieb, bis der Begrüßungssturm vorüber war.

Onkel Gottlieb war Verwalter eines freiherrlichen Gutes, etwa sechs Stunden entfernt, ein Junggesell, mit dem löblichen Ehrgeiz so geliebt und so nützlich zu sein, als ob er Weib und Kind hätte. Da der Besitzer seines Gutes im Auslande lebte, so war er vollkommen unbeschränkt und fand in dem alten Schlosse Raum genug zu den höchst werthvollen Gegenständen, mit denen er seine verschiedenen Sammlungen bereicherte, und die er alle seiner Meinung nach um lauter Spottpreise, eigentlich geschenkt erhalten hatte.

Das Schloß, wo Onkel Gottlieb hauste und in stillem Vergnügen seinen Liebhabereien lebte, war das Eldorado für die Kinder der Familie, die alten großen Räume, die weitläufigen Gärten, die reiche Bibliothek, die vielen Gemälde, das Alles war die reichste Nahrung für junge Phantasie. Sie konnten aber dies Glück selten genießen, der Onkel mochte nicht zu oft Gäste empfangen in dem Schloß, das nicht sein Eigenthum war. Dagegen war er ein häufiger, ein gern gesehener und ein äußerst freigebiger Gast, der bei seinen kurzen Besuchen, auf denen er immer liebte zu überraschen, schöne Geschenke mitbrachte und fröhliche Partien veranstaltete. Seine kleinen Reisen zu Verwandten machte er immer zu Pferd, da er behauptete, es sei eine Schande, daß diese männliche und schöne Art zu reisen so abgekommen sei, und sich etwas darauf einbildete, ein vortrefflicher Reiter zu sein und prächtig zu Pferde zu sitzen.

Da ritt er denn auf einem wohlgenährten Braunen seinen steten Trott, eine willkommene Erscheinung für alle alten Weiber, Handwerksbursche und barfüßige Jungen auf der Landstraße, denn er hielt geduldig an bei jeder Bitte und ließ keinen Armen unbeschenkt ziehen; der bewundernde Jubel, mit dem ein paar arme Kinder sich in den Regen von halben Kreuzern theilten, das aufleuchtende Gesicht eines müden Handwerksburschen, dem er statt des landesüblichen Kreuzers einen Dreibätzner verabreicht hatte, konnte ihm auf dem ganzen Wege noch wohlthun.

Er kam, wie gesagt, immer unvorhergesehen und wollte ja Niemand lästig fallen. „Ich kann mich mit dem dümmsten Kerl noch gut unterhalten,“ rühmte er oft und nicht ganz mit Unrecht, er hatte Interesse für Alles und ein Herz für Alle. Daß also auch heute sein Bruder, der Oberamtmann, noch in der Amtsstube, die Schwägerin bei der kranken Frau war, bekümmerte ihn gar nicht, er wußte sich bei den Kindern so willkommen als bei den Alten. Nachdem der erste Begrüßungssturm vorüber war und er auch von den zwei jungen Gästen mit einigen Scherzen Notiz genommen hatte, setzte er sich recht bequem in den Lehnstuhl am Fenster, „des Onkels Sessel“ genannt, überlieferte dem jungen Volke, das beutegierig in einiger Entfernung lauerte, eine vielversprechende Tüte und ließ sich ohne Umstände gefallen, daß Eugenie, die seinen Geschmack schon kannte, ihn mit klarem rothem Landwein und sehr anständigen Resten des Mittagsbratens bediente.

„So, so, das ist leichtes Geschütz für den Königsball?“ sagte er, indem er wohlgefällig lächelnd die Ausstellung auf dem Sopha betrachtete, vor der Hedwig immer noch als Hüterin stand; „nu, sei nur ruhig Kleine, Du wirst etliche Tänzer bekommen, ich habe einigen Herren, denen ich unterwegs begegnete, schon ein gutes Wort gegeben und ihnen einen guten Schoppen Elfer versprochen, wenn sie fleißig mit Euch tanzen.“

„Aber Onkel, nein, ich bitte Dich!“ rief Hedwig, die die Späße des Onkels noch nicht so kannte, in tugendhafter Entrüstung, „meinst Du, so wollen wir uns ausbieten lassen?“

„So, so, Ihr meint wohl, Ihr bekommt von selbst Tänzer genug,“ lachte der Onkel, „weil Ihr so schön seid? Ich sag’ Euch, Ihr seid noch lange nicht so schön, wie die jungen Frauenzimmer zu meiner Zeit gewesen sind. Alle Wetter, ihr hätte sollen die Gertrud Engelmann sehen.“

„War das nicht eine Verwandte, Onkel?“ fragte Eugenie.

„Freilich war’s Eine, und was für Eine! Ja, ja, Mädchen, ich habe nichts gegen Euch, aber der dürft ihr Alle zusammen das Wasser nicht reichen! Wißt Ihr denn, Mädchen,“ und der Onkel nahm dazwischen eine Prise, um seine weichgewordene Stimme zu verbergen, „wißt Ihr, daß es heute vielleicht etwa gerade siebenunddreißig Jahre her sind, daß ich hier von diesem Hause aus als ein junger, schmucker Mensch auch meine Dame auf den Ball geholt habe? Ihr wißt ja, unser Vater war Oberamtmann hier, wie jetzt mein Bruder, Eugeniens Vater.

„Ein anderer Bursch war ich damals, als jetzt, das kann ich Euch sagen, schlank und gerade wie ein Grenadier – hätte nicht viel gefehlt, so hätte mich der alte König einmal zum Reiter gemacht – und frisch und gesund, kein Wassertropfen wär’ auf mir stehen geblieben. Ich war in den Ferien daheim, hatte den Preis für eine Arbeit bekommen, Ordnung gehalten mit meinem Geld, wie in meinen Studien, obschon ich überall ein flotter Kerl war. – Merkt’s Euch, Ihr Buben da, dann kommt man anders nach Haus, als wenn sich so ein Lump und Nichtswisser von Studenten daheim in allen Ecken herumdrückt und dem Vater nicht mehr kecklich vor’s Gesicht darf, wenn der in seine unbezahlten Rechnungen geschaut hat. Ich durfte meinem Vater unter die Augen treten! Und als ich zum ersten Mal wieder zu Hause am Tische saß, nach der Preisarbeit, da machte mir der Vater Platz neben sich, schenkte mir ein mit eigner Hand und sagte: „Frau, daß Du’s weißt, der Gottlieb trinkt von nun an aus meiner Bouteille.“ – Na Buben, was meint Ihr, glaubt Ihr nicht, daß Einem das heute noch wohl thut?

„Aber um auf den Ball zu kommen, so wurde an diesem

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