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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

No. 47. 1860.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Onkel Gottliebs Jugendliebe.
Von Ottilie Wildermuth.

In der großen gemüthlichen Eckstube der Oberamtei, die man heutzutage Salon nennen würde, die aber dazumal, vor etwa vierundzwanzig Jahren, noch die Visitenstube hieß, saßen in emsiges Arbeiten und Plaudern vertieft drei junge Mädchen, zwei Gäste und ein Töchterlein des Hauses.

Es war ein vergnügliches Geschäft, zu dem man ihnen diesmal aus besonderer Vergunst dieses Staatszimmer eingeräumt hatte; der große runde Tisch vor ihnen, die Stühle, selbst der Fußboden, der sonst mit seiner alten getäfelten Arbeit so bübsch aussah: Alles war übersät mit leichtem, weißem Stoff, Bandstückchen, farbigen Bändern, Blumen, kurz mit all dem luftigen Apparat eines Ballstaates.

Ein bescheidener Ballstaat zwar möchte es erscheinen im Vergleich mit den Forderungen der Neuzeit: der Stoff, der damals für drei Mädchen hinreichte, würde heute nicht mehr genug sein, die breite Grundlage einer Einzigen zu überziehen, die weiße und rothe Rose und der Kornblumenzweig, mit dem Eugenie und Hedwig hier eine wundervolle Toilette herstellen wollten, hätte nicht den zehnten Theil einer der dicken laublosen Blumenkronen gegeben, mit denen unsere jungen Damen heutzutage als ein Mittelding zwischen Priesterin und Opferlamm die Bälle besuchen.

Nun, wie gesagt, die drei Mädchen, die hier an ihrem Ballstaat schneiderten, thaten es mit großer Befriedigung, in der Stille gewiß, daß sie in diesem Schmuck, wenn nicht bezaubernd und unwiderstehlich, – so hoch verstieg sich ihre Phantasie nicht – so doch recht nett und anmuthig aussehen würden, so gewiß, als dies unsere Mütter in ihren glattanliegenden Kleidern mit spannenlanger Taille, unsere Groß- und Urgroßmütter in Reifröcken und Schleppkleidern, Poschen und Haartouren auch geglaubt haben.

Eugenie, die Tochter vom Hause, putzte sich ein hübsches gewaschenes Mousselinkleid, in dem sie schon einmal als Brautjungfer aufgetreten, mit kornblumenblauen Schleifen aus; Hedwig nähte Spitzen um das nagelneue Kleidchen von schottischem Battist, das diesmal eingeweiht werden sollte; Jeannette aber saß etwas abgewendet von den Andern, wühlte und suchte in altem und neuem Kram von Bändern und Blumen, und Niemand durfte fragen oder wissen, was sie that, was die Neugier der Andern in nicht geringem Maße reizte.

„Höret,“ begann die kleine Hedwig bedenklich, „ich mag nun zählen, wie ich will, so bringe ich nicht mehr als neun Tänzer heraus …“

„Ach geh,“ rief ungläubig Jeannette aus ihrem Schlupfwinkel hervor.

„Gewiß,“ versicherte die Kleine ernsthaft, und rechnete an den Fingern, „da ist der eine Actuar, der andere hat eine Frau, die dazu noch krank ist, der Buchhalter, der Apothekergehülfe und zwei Commis …“

„Nur Einer tanzt,“ warf Eugenie sachverständig ein.

„Und der Doctor,“ fuhr Hedwig fort.

„Ist verheirathet,“ bemerkte Jeannette mit aufgeworfenem Mäulchen.

„Das genirt mich gar nicht,“ versicherte die Kleine genügsam, „ich plaudere eigentlich viel behaglicher mit Ehemännern, nur wundert mich, daß er noch tanzlustig ist.“

„Ach weißt Du, er tanzt um Kundschaft,“ meinte Jeannette, „so ein junger Prakticus muß Alles probiren, hie und da wird Einem übel auf einem Ball, da gibt’s immerhin Gelegenheit, sich nützlich zu machen. Aber Eugenie, nein, wie die dasitzt und phantasirt! freilich, die hat wohl ihr Schäfchen im Trocknen.“

Eugenie ward glühend roth, sie hatte freilich nicht gezählt und gerechnet, obwohl sie sich auch kindisch freute auf das seltene Vergnügen; Einen wußte sie, der heut kommen würde, Einen, den die Mädchen nicht gezählt, und den sie sich wohl hütete, zu nennen, – es war der junge Gutsbesitzer, der seit nicht lange dort drüben auf dem Rauhenstein hauste und allerlei menschenbeglückende Pläne in’s Werk zu setzen begann; – ihr guter Hausfreund, der Doctor, hatte ihr anvertraut, daß er die Einladung der hiesigen Honoratioren zu ihrem Königsball angenommen habe. Sie kannte ihn selbst noch nicht genau, aber bei einer Landpartie in die Thalmühle war sie neben ihn zu sitzen gekommen, und sie hatten allerlei schöne Ideen über Menschenwohl und Völkerglück miteinander ausgetauscht. Es waren ihr indeß noch ganz neue, vortreffliche Pläne über dies Thema eingefallen, und während sie hier ihre Schleifen und Blumen ordnete, dachte sie sich allerlei lange und interessante Gespräche aus, die sie wahrscheinlich mit ihm halten würde, wenn er, was gar nicht zu bezweifeln war, auf dem Balle sie alsbald erkennen und auffordern würde.

Ehe sie die muthwillige Jeannette noch weiter plagen konnte, ehe die kleine Hedwig dazu kam, ihren catalogue raisonné von der Tänzerwelt zu vollenden, kam die Mutter, die gute Mutter, die an solchen Tagen gewöhnlich des Tages Last und Hitze über sich nahm und dem jungen Volk freie Zeit ließ für seine Angelegenheiten. Sie sah aber diesmal ernst und bekümmert aus. „Leg’ die Sachen indeß bei Seite, Eugenie,“ sagte sie, „rühre etwas Wasser mit Johannisbeersaft und trag’s hinunter, bis ich einen Trank koche; die junge Frau unten ist gar nicht gut auf.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_737.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)