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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Constitution, und wir leben ganz gut bei dieser Constitution,“ sagte sie oft zu ihm. Ueber die in der Ebene von Sessa zwischen Gaeta und Capua stationirten Regimenter hat sie eine Revue abgehalten; er blieb in Gaeta – und betete vor dem Bilde der heiligen Jungfrau.

Daß einem so schwachen und schwachsinnigen Manne die Revolution bald über den Kopf wachsen mußte, ist natürlich. Die Königin hat sich alle mögliche Mühe gegeben, ihn zu bewegen, nach Calabrien zu gehen, als Garibaldi in Reggio landete, und sich an die Spitze der Truppen zu stellen. „Ich werde mit Dir zu Pferde steigen,“ sagte sie zu ihm, „und werde mit Dir fechten,“ aber Alles war vergebens. Später ermannte er sich etwas. „Indeß der Stoß war so gewaltig, die Revolution war in Neapel und Sicilien mit so großer Vorsicht und mit so vielen Mitteln vorbereitet,“ sagte zu mir ein sehr wohl unterrichteter Diplomat in Neapel, der die ganze Entwickelung mit angesehen hat, „daß selbst die Energie und der gewaltige Geist König Ferdinands nicht hätten widerstehen können. König Ferdinand hatte allen Ermahnungen des englischen, französischen und sardinischen Cabinets, ein Regierungssystem zu ändern, welches Gladstone mit Recht „die Negation Gottes“ nannte, das Gehör verweigert; dies entsetzliche Regierungssystem ist gefallen, indem englische, französische und sardinische Bemühungen mit vollem Rechte einem so gequälten Lande zu Hülfe kamen. Eine Revolution kann nicht gemacht werden, wenn der Stoff zu derselben fehlt; aber sie kann berbeigeführt werden, wenn so viel Zündstoff vorhanden ist, wie dies in Neapel der Fall war.

Die Garibaldi’sche Armee ist gut ausgerüstet, gut disciplinirt und von einem vortrefflichen Geiste beseelt. Die Nachrichten der Augsburger Allgemeinen Zeitung von einem Widerstand der Armee, von Opposition in derselben und namentlich von einer Opposition in den sicilianischen Truppen sind aus der Luft gegriffen, und kein Wort Wahres daran. Gerade die Truppen, welche kürzlich in Neapel ausgeschifft wurden, und welche aus Messina kamen, sind die Kerntruppen der Armee. Ich sah sie in Neapel einziehen und sah sie in den letzten Gefechten vor Capua. Sie schlugen sich vortrefflich, und die Begeisterung für ihren Führer war eine große und allgemeine. Es war Nachmittags drei Uhr. Ich stand mit dem Intendanten des General Türr im Schlosse von Caserta vor dessen Quartier. Einige Compagnien dieser sicilianischen Truppen kamen aus dem Gefecht zurück, welches seit Morgens acht Uhr gedauert hatte. Sie brachten ungefähr tausend Mann der neapolitanischen Truppen mit ihren Officieren als Gefangene in das Schloß, welche im Gefecht abgeschnitten waren. „Sehen Sie wohl, mein Herr,“ sagte der Officier französisch zu mir, „fast Alle sind Landsleute von Ihnen.“ – „Mein Herr,“ erwiderte ich ihm, „das ist ein Unglück für mein Vaterland.“ Die neapolitanischen Soldaten sahen sehr gleichgültig und dumm aus, und baten um Essen und Ruhe, wozu sofort die Anstalten getroffen wurden. Die Garibaldi’schen Truppen lagerten sich ganz ermüdet auf die Erde. Da kam Garibaldi mit seinem Stabe aus der Schlacht zurück. Auf einmal erhoben sich alle diese ermüdeten Menschen von der Erde, keiner von ihnen blieb liegen. Alle stürzten in den andern Hof und umringten unter dem Geschrei: „Viva Garibaldi, viva l’Italia!“ ihren General. Minuten lang dauerte das Rufen, das ganze Schloß schien von einem Freudentaumel ergriffen, Garibaldi stand auf der Freitreppe, welche zu seiner Wohnung führte, und dankte mit augenscheinlicher Rührung seinen tapfern Streitern. Es gelang mir erst nach einer Viertelstunde, durch die Massen hindurchzudringen, welche Mann an Mann gedrängt standen, um dem General einen Brief des General Cosenz zu übergeben. Garibaldi ist im eigentlichen Sinne des Wortes der Vater seiner Soldaten, welche in fast abgöttischer Verehrung an ihm hängen und deren Blut und Leben er unter Umständen schont, wo es kein anderer General thun würde.

Garibaldi ist momentan der erste und populärste Mann in Italien; er ist es nicht allein als Soldat, sondern auch „comme individu“, wie der Minister des öffentlichen Unterrichts in Neapel, dem ich durch Hrn. Imbriant, Poerio’s Schwager, empfohlen wurde, zu mir sich mit Recht ausdrückte. Er ist alt geworden in den letzten beiden Jahren, die Sonne Siciliens hat ihn sehr gebräunt; sein Haar beginnt grau zu werden. Er sieht älter aus, als er ist. Er hat drei Kinder; sein ältester Sohn dient unter ihm in der Armee, eine Tochter ist, wie man mir sagte, in Neapel, ein zweiter Sohn in einer Erziehungsanstalt in Liverpool. Garibaldi ist immer voran im Gefecht; er setzt sich mehr aus, als der General es thun sollte; aber er hat viel Glück. Wenn die Kugeln um ihn her einschlagen, bleibt er unversehrt. In Begleitung von nur fünf Mann seiner Officiere zog er in Neapel ein. „Mit Staunen habe ich dies angesehen,“ sagte zu mir ein sonst sehr conservativer neapolitanischer Bürger, „ein wohlgezielter Kartätschenschuß hätte ihn und seine ganze Begleitung zerschmettern können.“ Es ist dies ein Seitenstück zu seiner Einnahme von Varese. Garibaldi hat Varese eigentlich ganz allein genommen. Nachdem er die Oesterreicher über seine militärischen Bewegungen getäuscht und Verbindungen in der Stadt angeknüpft hatte, erfuhr er, daß Varese nur von einigen hundert Mann und einigen Officieren besetzt sei. Er ritt den Seinigen voraus und betrat die Stadt im Gefolge weniger Officiere. Er ließ sich in das Gebäude führen, wo die Oesterreicher einquartiert waren, und stieg die Treppe hinauf zu dem Zimmer, in welchem die Officiere saßen.

„Wer sind Sie?“ fragten ihn die österreichischen Officiere.

„Ich bin Garibaldi,“ erwiderte er, „und Sie, meine Herren, sind meine Gefangenen.“

Erstaunt und erschrocken ergaben sie sich. Sie glaubten den General von seiner ganzen Armee begleitet. Eine halbe Stunde später rückte eine Abtheilung der Alpenjäger in Varese ein und besetzte die Stadt. Garibaldi ist bekanntlich in Nizza am 4. Juli 1807 geboren; ist also jetzt 53 Jahre alt. Er ist ein Kind aus dem Volke; sein Vater war Fischer. „Garibaidi,“ sagte man mir in Neapel, und zwar von competenter Seite, „ist ein besserer Soldat, als er ein großer Taktiker ist.“ Ich bin natürlicherweise nicht im Stande, mir darüber ein Urtheil zu erlauben: aber das kann ich jedenfalls behaupten, Garibaldi ist der erste Soldat seiner Armee. Die Generale Türr, Nino Bixio und Oberst Rüstow gelten für die befähigtsten Officiere in der Armee, neben ihnen, vielleicht vor ihnen allen der Kriegsminister, General Cosenz, der eine außerordentliche Unerschrockenheit und persönlichen Muth mit großem Talent als Taktiker verbindet. Ich wurde dem General Cosenz durch den Minister des öffentlichen Unterrichts vorgestellt, und fand in ihm einen noch jungen Mann – er kann höchstens achtunddreißig Jahr alt sein – schlank, groß, blond, elegant in seinem Wesen und in seinen Manieren. Ich würde ihn für einen norddeutschen Edelmann gehalten haben. Er war früher, wie man mir sagte, Officier in der neapolitanischen Armee. Garibaldi ist kein guter Administrator, sagt man in Neapel. Der Vorwurf kann ihn, nach einer Dictatur von wenig Wochen, wohl nicht treffen. Ein ganzes Regierungssystem umzureißen, wie das neapolitanische war, und dafür ein anderes aufzubauen, ist keine Arbeit von vier Wochen. Man muß nur einen Begriff von dieser allgemeinen Versumpfung baben, welche durch die Regierung der Bourbonen in Neapel eingerissen ist, und sich diese Zustände mit eigenen Augen angesehen haben, um den General von einem solchen Vorwurf bis jetzt wenigstens vollständig frei zu sprechen. Alle Regierungsmaßregeln, welche ich in Neapel als die ersten Resultate der Garibaldi’schen Dictatur angesehen habe, zeugen von großem Verstande und vieler Mäßigung. Nur ein Vorwurf ist dem Dictator mit Recht zu machen, und dieser Vorwurf gilt andererseits für eine große Tugend, nämlich der Vorwurf eines edlen, großmüthigen Herzens.

„Warum läßt der General Capua nicht bombardiren?“ fragte ich einen der ersten Officiere der Garibaldi’schen Armee, „die Aufstellung Ihrer Batterie und die Stärke derselben läßt an dem Erfolge des Bombardements ja gar nicht zweifeln.“ – „O, mein Herr,“ erwiderte der Oberst mir, „das ist ein Beispiel von Edelmuth, wie es nicht wieder vorkommt,“ und machte ein äußerst unzufriedenes Gesicht.

Die lange Belagerung von Capua hat Garibaldi sehr in seinen Operationen aufgehalten. Die Generale Franz II. hätten wahrlich keine Umstände mit dem Bombardement gemacht. Man hat dies an Palermo gesehen. Und in diesem edlen, großmüthigen Herzen ist auch der Grund des Schwankens in der Garibaldi’schen Politik der letzten vier Wochen zu suchen – ein Schwanken, welches vielleicht in diesem Augenblick, wo ich diese Zeilen schreibe, vor einer bestimmten Richtung geschwunden ist. Garibaldi hat seine persönlichen, republikanischen Ueberzeugungen für jetzt der Einheit Italiens in der Vereinigung mit Piemont und Mittelitalien zum Opfer gebracht.

G. R.


Englische Scharfschützen. Es ist merkwürdig, wie die Scharfschützenbewegung in England in’s Fleisch und Blut des Volks übergegangen ist. Statt, wie bestimmt vorhergesagt worden, nach wenigen Monden selig zu entschlafen, nimmt sie stetig und energisch zu. Es ist den Leuten Ernst. Sie wollen nicht länger vor ihrem treuen Alliirten zittern. Sie sind so weit gegangen, den Unterschied zwischen dem Gentleman und dem andern Sterblichen de facto zu zerstören. Eine sich eben bildende Freiwilligenversorgungscasse umfaßt gleichmäßig alle Mitglieder. Sie haben den halben Sonnabend geopfert. Werkstätten, Fabriken, Läden, Comptoirs, selbst Regierungsbureaux schließen – in überwiegender Mehrzahl – an diesem Tage, wenn nicht Mittag, so doch zu sehr früher Nachmittagsstunde, auf daß Herr und Diener, Meister und Gesell die Büchse zur Hand nehmen und zur Uebung marschiren möge. Und die Leute schießen gut. Ob auch die Invasion, wenn sie je gewagt würde, mit der Landung ein fait accompli wäre – und diese läßt sich durch Freiwillige zu Lande nicht hindern – so dürfte doch manche Rothhose einen brühwarmen Willkommengruß bekommen, den sie fortan nicht wieder vergessen würde.

Aber wie imposant auch immer das Schauspiel einer sich zu ernstem Spiele rüstenden Nation sei, wie bewundernswerth die begeisterte Opferfreudigkeit der Gesammtheit wie des Individuums, so hat doch hier zu Lande der Humbug so rasch sein Spiel mit allem noch so Würdevollen und Ernsten, daß es eine Lust ist. Wenn bei uns zu Lande der Stutzer, wie er sein soll, mit goldenem Stöckchen, märchenschönem Frack und wunderbar gebauten Stiefelchen über die Straße wandelt, so schreitet nunmehr Jones, Brown und Robinson am hellen Tage mit Büchse, Uniform, Commißstiefeln und Gamaschen gleich einem geharnischten Recken umher – blos der Schönheit wegen, raucht außerdem „Scharfschützentabak“ aus „Scharfschützenpfeifen“, trinkt „Scharfschützengetränk“ aus „Scharfschützenflaschen“, liest nur „Scharfschützenzeitungen“, „Scharfschützenmagazine“, „Scharfschützenbücher“, betet Sonntags aus einem „Scharfschützengebetbuche“, erbaut sich in einer „Scharfschützenbibel“ und singt aus einem „Scharfschützengesangbuche“. Außerdem fährt er mit „Scharfschützenextrazügen“ zu „Scharfschützenfesten“ auf „Scharfschützengründe“, tanzt auf „Scharfschützenbällen“ „Scharfschützenpolka’s“ und „Scharfschützenquadrillen“. Jede Zeitung hat ihre Scharfschützenspalte, Punch gibt keine Nummer ohne eine oder die andere Scharfschützencaricatur aus, und daß die Schuster, Schneider und andere löbliche Patrioten sich und ihr Geschäft der Bewegung angeschlossen und nunmehr als „Ihrer Majestät Scharfschützen-Schuster und -Schneider“ figuriren, versteht sich am Ende von selbst. Und es fehlt nicht an allseitiger Aufmerksamkeit. Die Kinder schreien Hurrah, wenn die Recken, Trommel und Pfeife vorauf, stramm und schmuck durch die Straßen marschiren, aus dem Küchengeschoß stürzen berußte Mägde, aus dem Obergeschoß lehnt die Frau und Tochter des Hauses, die Wärterin, das Baby im Arme, lächelt aus der Höhe der Ammenstube, und Heil dem Mägdlein, das hinter dem Perambulator wandelt – sie kann eine lange Strecke mitwandeln!




Von Gerstäcker ist heute, am 1. November, Nachricht eingetroffen. Er schreibt vom 5. Juli von San Lorenzo am Pailon in Ecuador ganz munter und ist guten Muthes. „In zwei Monaten etwa,“ heißt es in dem Briefe an den Herausgeber der Gartenlaube, „denke ich nach den neuen Colonien am Papuzu in Peru, wo die Tyroler wohnen, hinabzuwandern. Bis dahin habe ich noch viel durchzumachen, und dort geht eigentlich meine Reise erst ordentlich an. Anbei den ersten Bericht, dem von jetzt ab regelmäßig weitere Schilderungen folgen werden.“ – Die nächste Nummer schon bringt den ersten Brief.



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_736.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)