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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

seinem Leben hing die Selbstständigkeit des Herzogthums. Wenn er starb, fiel es an Koburg. Auch war er sammt dem ganzen Hofe sehr beliebt, weil er mild regierte und für Kunst und Literatur sich interessirte. Koburg vernahm mit großer Freude die Nachricht von der Erkrankung des Herzogs, und machte bereits allerlei kriegerische Anstalten, um gleich nach dem gehofften Todesfalle das Ländchen besetzen zu können. Aber alle diese Vorbereitungen erwiesen sich als voreilige, denn der Herzog genas. Diese Ländergier nun verspottete Schiller in einem Liede, das Reinwald in den Meininger wöchentlichen Nachrichten ziemlich gemildert abdrucken ließ. Um zu zeigen, in welchem Tone es abgefaßt ist, mögen nur folgende Zeilen hier stehen:

„In Juda – schreibt die Chronika –
War Olim schon ein König,
Dem war vom Dan bis Berseba
Bald Alles unterthänig,
Und war dabei ein weiser Fürst,
Dergleichen selten finden wirst.

Nun wird erzählt, daß der König erkrankte und der Vetter auf seinen Tod hoffte:

Doch während daß der Vetter schon
Nach deiner Krone schielte
Und auf dem noch besetzten Thron
Schon Davids Harfe spielte,
Lagst du, o Fürst, beweint vom Land,
Noch unversehrt in Gottes Hand.“


Schluß folgt.




Blätter und Blüthen.


Vom italienischen Kriegsschauplatze. König Ferdinand II. war ein Tyrann, das verkörperte Princip des Absolutismus, aber ein Tyrann von Geist und Energie. Er war Niemandes Werkzeug; Alles war Werkzeug in seiner kraftvollen und mächtigen Hand. Er hat viel für Neapel gethan. Als er die Regierung übernahm, war Alles in einem Zustande der Auflösung und des vollständigen Verkommens; aber Alles, was er geschaffen hat, schuf er für sich, zur Befestigung seiner absoluten Regierung und seiner Dynastie. Das Wohl des Landes stand bei ihm in zweiter, das Wohl der Unterthanen in gar keiner Reihe. Er baute prächtige Schlösser und Paläste und schuf feenhafte Gärten, um selbst darin zu wohnen, er schuf eine vortreffliche Armee von 137,000 Mann und eine Flotte von 149 Kriegsschiffen, um damit seine absolute Regierung gegen jeden Angriff zu vertheidigen, von welcher Seite er auch kommen möge. Um die Volksbildung kümmerte er sich gar nicht; für Anlegung von Schulen und Universitäten hatte er keine Mittel, oder vielmehr die absichtliche und vollständige Vernachlässigung der Volksbildung war ihm ein Mittel zu seinen Zwecken. Für Handel und Industrie hat er nichts gethan. Neapal hat weder Manufacturen noch Fabriken. Der Handel nach auswärts mit einheimischen Producten wurde möglichst erschwert, nicht befördert, denn alle commerziellen und industriellen Verbindungen des Landes mit andern europäischen Ländern stimmten mit der vollständigen Abgeschlossenheit, worein er das Land Neapel versetzt zu sehen wünschte, nicht überein. Handel und Verkehr befördern die Bildung des Volkes und bringen Ideen und Gedanken mit, welche seinen absolutistischen Regierungsprincipien schnurstracks entgegenliefen. Darum haßte der König alle industriellen und commerziellen Beziehungen mit dem Auslande. Am liebsten hätte er das Land mit einer so hohen chinesischen Mauer umzogen, daß selbst die Luft des Himmels hätte draußen bleiben müssen. Er baute deshalb weder Straßen noch Eisenbahnen. Alle Straßen im Lande sind in einem fabelhaft schlechten Zustande; durch ganz Calabrien, von Reggio bis Neapel, geht eine einzige Straße, und auch diese Straße wäre wahrscheinlich gar nicht vorhanden, wenn die Römer sie nicht vor zweitausend Jahren gebaut härten.

In Calabrien reist Niemand, wer nicht dringendst dazu gezwungen ist, und dieser muß sich zwanzig Mann Bedeckung mitnehmen, sonst ist er nicht sicher, todtgeschlagen oder wenigstens ausgeplündert zu werden. Alle die Geschichten, welche man von calabrischen Räubern erzählt, wie sie Reisende gefangen nehmen, sich nach ihren Verhältnissen erkundigen und hohe Summen für ihre Freilassung erpressen, sind wahr; sie sind noch heute an der Tagesordnung. In Sicilien gibt es außer der Straße von Palermo nach Catanea gar keine Straßenverbindung. Wer im Innern der Insel zu thun hat, kann nur zu Maulesel oder zu Pferde hingelangen, und auch dann nur unter sicherer Bedeckung. Ich habe einen Bekannten in Messina, der ein großes Gut im Innern der Insel hat, und es niemals sah. „Ich muß mich ganz auf meinen dortigen Intendanten verlassen, dem ich die Besitzung für eine gewisse Summe in Pacht gegeben habe,“ sagte er zu mir. „Es ist für mich zu mühselig, weitläufig und – auch gefährlich, selbst hinzureisen; ich habe es für einen Spottpreis gekauft; ich wollte, ich wäre es wieder los.“ Alles Korn, was zur Verschiffung in die Häfen nach Palermo und Messina gebracht wird, wird durch Maulesel dorthin befördert. Dem Maulesel werden drei Säcke Getreide aufgeladen; einen frißt er unterweges, der zweite wird gestohlen, nur der dritte kommt häufig an. Trotz alledem ist der Handel Siciliens mit Getreide und Südfrüchten bedeutend; so fruchtbar ist das Land. Die Römer nannten Sicilien bekanntlich schon die Kornkammer Italiens. Eisenbahnen gibt es natürlich in Neapel nicht. Die kurzen Eisenbahnsteige von Neapel nach Gaeta, Caserta, Pompeji und Salerno legte König Ferdinand einzig und allein aus selbstsüchtigen Zwecken an, um schnell nach seinen Lustschlössern und Festungen hinkommen zu können und um schnell Soldaten, Kanonen und Häscher nach Neapel bringen zu können. Neapel könnte die erste Handelsstadt Europa’s sein; seine Lage zwischen Afrika, dem Orient und dem Occident, seine vortrefflichen Häfen berechtigen es dazu, und Neapel ist als Handelsstadt ohne alle Bedeutung. Der Handel Neapels ist in Livorno und in Genua zu suchen. Neapel selbst hat kaum hundert Firmen von einiger Bedeutung, und die Inhaber dieser Firmen sind Deutsche, Franzosen und Engländer. Die Dampfschifffahrt zwischen Neapel, Messina, Palermo und dem Orient ist meistens in den Händen auswärtiger Kaufleute und Gesellschaften.

Persönlich war König Ferdinand ein jovialer und geistvoller Herr. Selbst seine persönlichen und politischen Feinde wissen nicht genug von seiner persönlichen Liebenswürdigkeit zu erzählen. In seiner Regierungsweise, in seiner Härte und Energie gegen seine Feinde war er ein zweiter Tiberius oder Nero. Jedes Gesetz war ihm gleichgültig; sein Wille war sein Gesetz. Die von ihm beschworene Constitution vom Jahre 1848 wurde niemals durch ein Gesetz abgeschafft; sie existirt rechtlich noch heute. Trotzdem ließ er gegen seine Feinde die Tortur und den Stock anwenden; er ließ die Verdächtigen ohne Urtel einsperren und hielt sie zehn Jahre lang im Kerker; schon der Ausdruck der Freude oder der Betrübniß auf dem Gesichte genügte, um Jemanden auf die Liste der Verdächtigen zu bringen. Er ließ die politischen Gefangenen, welche ihm lästig wurden, nach Amerika deportiren, obschon die Strafe der Deportation im neapolitanischen Gesetzbuch nirgends vorkommt. In einem seiner Deportationsdecrete sind die Namen von elf Personen vorhanden, welche schon gestorben waren, und unter sechszig, welche deportirt wurden, kamen fünf vor, welche ihre Strafe schon ganz verbüßt hatten. Gen. Massari, Mitglied des Turiner Parlaments, wurde in contumaciam zum Tode durch den Strick verurtheilt. Er bewies von Turin aus, daß eine Namensverwechslung stattfinde, daß er während der Zeit, wo er des Verbrechens des Hochverraths in Neapel angeschuldigt wurde, in Mailand gewesen sei. Das Alibi war unzweifelhaft; jeder Gerichtshof hatte es anerkannt; aber Massari blieb verurtheilt.

Als es zum Sterben ging, ließ der König seine Familie zusammenrufen und dictirte seinem eigenen Sohne, dem König Franz II., sein Testament selbst in die Feder. Dann ermahnte er alle Familienmitglieder, einig zu bleiben, und sprach zu ihnen die denkwürdigen Worte, die der greise Metternich einstens dem jetzt auch im Exil lebenden Großherzog von Tcscana schrieb: „Wenn wir Alle einig bleiben, können wir für immer zusammen in Italien bleiben; sonst holt uns alle zusammen der Teufel.“ Dann ließ er alle ersten geistlichen Würdenträger, welche in Neapel anwesend waren, kommen und erhielt die Sterbesacramente. Es fehlten Einige; da sagte der König: „Ich sehe, daß Mehrere fehlen; warum kommen sie nicht? sie werden doch wohl eine halbe Stunde übrig haben, um mich sterben zu sehen. Man lasse sie holen.“ Der Monarch behielt seine Besinnung bis zum letzten Augenblick. Derselbe ist übrigens nicht an der schrecklichen Krankheit gestorben, die man gewöhnlich als die Ursache seines Todes anzugeben pflegt. Ferdinand II. starb an der galoppirenden Schwindsucht, die sich bei ihm als Folge eines Fiebers eingestellt hatte, welches er sich durch Unvorsichtigkeit und Erkältung zugezogen hatte.

Sein Sohn Franz II., der jetzt in Gaeta eingeschlossene König, gleicht seinem Vater nicht im Mindesten. Er hat nichts von dessen Geist und Energie; er ist ein schwacher, kranker, halb schwachsinniger Mann. Man erzählt in Neapel furchtbare Dinge über die Ursache dieses körperlichen und geistigen Zustandes. Er sieht elend und kränklich aus, leidet an Nervenzucken, und kann nicht gerade stehen. Er geräth in Verlegenheit, wenn man ihn gerade ansieht und länger mit ihm spricht, tritt an’s Fenster und trommelt in seiner Verlegenheit auf den Fensterscheiben. „Was wird man im Auslande sagen, wenn Sie diesen Mann als einen König präsentiren?“ sagte der Gesandte einer großen auswärtigen Macht in Neapel zu einem von den Ministern kurz der dem Ausbruche der Revolution. Franz II. hat sich nach dem Tode seines Vaters in Regierungssorgen abgearbeitet; aber sein Geist ist zu schwach, um irgend eine Relation aufzufassen, geschweige denn eine Maßregel zu ergreifen. Seinem Vater war Alles Werkzeug zur Durchführung seiner absolutistischen Principien; er selbst war ein Werkzeug in den Händen seiner Stiefmutter und der Priester. Um ihn zu zerstreuen, verheirathete sie ihn. Die junge Königin von Neapel, eine Prinzeß von Baiern, ist eine Frau von Geist und Herz. Sie ist durch diese Heirath die unglücklichste Frau der Erde geworden, und ist sehr zu beklagen. Sie hat sich viel Mühe gegeben, den Geist ihres Mannes aufzurichten und ihn zu einem König zu machen. Bei seiner oft an Stumpfsinnigkeit grenzenden geistigen Schwäche war Alles unmöglich und vergeblich. Halbe Tage lang lag der König betend vor dem Bilde der heiligen Jungfrau. „Stehe doch auf,“ sagte sie zu ihm, „erinnere Dich, daß Du ein König bist; Du bist kein Mönch.“ Kurz nach der Verheirathung ging sie mit ihm am Meeresufer spazieren. Sie wurden von Bettlern umringt, welche um eine Gabe baten. Da zog der König seinen Geldbeutel heraus und suchte darin nach einigen halben Carlins. Die Königin riß ihm den Geldbeutel aus der Hand und warf alles darin enthaltene Gold entrüstet unter die Bettler. Der König fuhr oder ritt nie mit seiner Gemahlin aus; diesen Dienst übernahmen seine Brüder. Sein körperlicher Zustand ist zu schwach; er kann nicht längere Zeit zu Pferde aushalten. Die Königin suchte auf die Regierungsmaßregeln ihres Mannes Einfluß zu bekommen; alle ihre Bemühungen waren bei seiner geistigen Schwäche und bei der Macht, welche seine Stiefmutter und die Priester über ihn erlangt hatten, vergebens. „Ich sehe gar nicht ein, warum Du den Leuten dann durchaus keine Constitution geben willst; wir haben in Baiern auch eine

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