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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

und Gönner aller echten Museusöhne, in voriger Woche seine anziehenden Vorträge über alte Geschichte begann, da sprach er über die drei Hauptmeinungen und Ansichten vom Sinne und Zwecke des menschlichen Lebens, vom Eudämonismus, vom Depravatismus und vom Abderitismus. Die Abderitisten behaupten, es gebe im Menschenleben keinen Fortschritt und keinen Rückschritt, sondern einen beständigen Kreislauf. Es sei in der Welt nicht besser und schlechter geworden, werde auch nicht besser oder schlechter, sondern es bleibe im stagnirenden Zustand Alles beim Alten. Die Depravatisten suchen nachzuweisen, daß in allen menschlichen Verhältnissen nur ein Rückschritt stattgefunden habe und daß die Welt fortwährend den Krebsgang gehe. Die Eudämonisten endlich begründen die Ansicht, daß die Welt und das Menschenleben immer und überall im erfreulichsten Fortschritt begriffen sei. Es kann keinem Zweifel unterworfen sein, welcher der drei Ansichten wir huldigen müssen: wir sind natürlich Eudämonisten. Wir glauben an den Fortschritt und huldigen dem Fortschritt. Den besten Beleg für unsere Ansicht finden wir im Studentenleben. Welch ein Fortschritt ist hier bemerkbar! Wie schrecklich z. E. war das Loos eines Fuchses in der Vorzeit![1] Man nannte Euch damals mit den entwürdigendsten Namen, man nannte Euch Gelb- und Rap-Schnäbel, Mutter-Kälber, Raupen, Spulwürmer und endlich Feixe[2] oder Feuxe, woraus dann endlich durch Corruption der Name Fuchs entstanden. Ein alter Heidelberger Comment definirt den Fuchs als „ein Stück Fleisch ohne Sinn, Witz und Verstand“. Der spätere Hallische Comment zeugt zwar von einem Fortschritt, indem er schon humaner, aber doch noch im Ganzen wenig schmeichelhaft sagt: „Die Füchse sind schlau, sie denken aber nicht.“

„Erbarmenswert!, war die Behandlung der Füchse, am erbarmenswerthesten aber in dem traurigen Act, wo, wie die Puppe zum Schmetterling, so der Fuchs zum Jungburschen sich entfaltet, die sogenannte Deposition der Beane. Man zog dem Fuchs eine Ochsenhaut über den Kopf und sägte dann die am Kopftheil noch befindlichen Hörner ab und er wurde so pecus campi[3] cui ut rite praeparentur, cornua deponenda essent. Mit diesem Ablegen der Hörner war aber das pecus campi noch lange nicht zum Studenten reif. Es wurde erst noch geschoren, gehobelt, gewaschen, mit Kamm, Bohrer, Säge, Hammer und Zange behandelt. Endlich brach man ihm den Bacchantenzahn, d. h. einen in den Mund gesteckten Schweinszahn aus. Wie viel lieblicher ist Euch das Loos gefallen, meine Söhne! Wie human werdet Ihr behandelt! Schon die Begriffs-Bestimmung, die man jetzt von einem Fuchs gibt, indem man ihn als „eine Legion von Ueppigkeiten“ definirt, bezeugt dieses. Statt aller jener Verationen nur ein höchst mildes Tentamen, eine Art colloqium. Schicket Euch jetzt zu demselben an, und antwortet laut und unerschrocken auf die Euch vorgelegten Fragen: „Warum ist den Gastwirthen, selbst unsern ehrenwerthen Burgvogt nicht ausgenommen, nie recht zu trauen?“

Fuchs 1: „Weil sie die Studenten immer prellen.“

„Nein, mein Sohn, weil sie immer etwas im Schilde führen.“

„Worin sind Napoleon und alle Buchhändler sich ähnlich?“

Fuchs 2 schweigt, und die Andern schwiegen secundum ordinem.

„Sie haben in Leipzig die größten Niederlagen.“

„Mein Sohn, wodurch unterscheidet sich der Stubenofen von der Stadt Ofen?“

Fuchs 3: „Der Stubenofen ist schwarz, und – und – und –“

„Nein, mein Sohn, dort in dem Stubenofen wird alles gar, und in der Stadt Ofen ist alles Ungar. Das solltest Du wissen, mein Sohn, da du so viel mit den Siebenbürgen umgehst.“

„Was ist für eine Aehnlichkeit zwischen dem jetzt auf unserm Commershaus, der Tanne, domicilirenden Geheimrath von Goethe und einem englischen Boxer?“

Alle Füchse schweigen.

„Beide haben in Faust ihre Hauptforce.“

„Was ist der Tag, mein Sohn?“

Fuchs 3: „Eine Zeit von 24 Stunden.“

„Nein, mein Sohn, es ist Vormittags eine Aufforderung zur Arbeit, und Nachmittags zum Kneipen.“

„Was ist die Sonne?“

Fuchs 4: „Ein großer Feuerball.“

„Nein, mein Sohn, es ist der Glanz des Universums, die Schönheit des Firmaments, die Zierde der Natur und die Glorie des Himmels.“

„Was ist die Erde, mein Sohn?“

„Ein von Menschen bewohnter Planet.“

„Nein, mein Sohn, sie ist die Mutter alles Werdens, die Ernährerin alles Bestehenden, der Fruchtspeicher des Lebens und der Abgrund, der alles verschlingt.“

„Was ist der Lenz?“

Fuchs 2: „Die schönste Jahreszeit.“

„Nein, mein Sohn, er ist der Maler der Erde.“

„Was ist der Herbst?“ – Die Füchse schweigen. – „Er ist der Kornboden des Jahres.“

„Und was ist das Jahr?“

Fuchs 4: „Ein Zeitraum von 365–366 Tagen.“

„Nein, mein Sohn, es ist der vierspännige Wagen der Welt.“

„Mein Sohn, wie viel gehören Rattenschwänze dazu, um die Erde mit dem Monde zu verbinden?“

Die Füchse rechnen in Gedanken und nennen vier, fünf, sechs Billionen.

„Nein, es gehört blos einer. dazu, nur lang genug muß er sein.“

„Bei welcher Nation kriegen die Knaben die meisten Schläge?“

Fuchs 2: „Bei den Russen.“

„Nein, mein Sohn, bei der Declination.“

„Wie würdest Du es anfangen, mein Sohn, um auf dem Bauch und Kreuz zugleich liegen zu können?“

Fuchs 3: „Das ist reinweg nicht möglich!“

„Doch, mein Sohn, wenn Du, was freilich, wie ich hoffe, nie geschehen wird, wenn Du Dich auf dem Ballhause bekneipst, beim Nachhausegehen auf dem Kreuz[4] stolperst und dort vorwärts zu Boden fällst, so hast Du die Ausgabe richtig, wenn auch nicht zu meiner Zufriedenheit, gelöst.“

„Ihr Alle habt übrigens durch Eure Antworten bewiesen, daß Ihr Eure Fuchszeit gut angewendet habt. Wenn Ihr so fortfahrt, so werdet Ihr einst tüchtige Stützen des Reichs werden, und in dieser Hoffnung ernenne ich Euch (hier folgten die üblichen Formalien) zu Jungburschen.“

Hierauf erhob sich der Reichsherold G. mit folgenden Worten: „An die vielen Fragen aus dem Gebiete der Phantasie knüpfe ich noch eine aus der Wirklichkeit. Wer von Euch Füchsen hat sich unterstanden, mein Manifest in Betreff des heutigen Reichstags vom schwarzen Brete abzunehmen?“

Altum silentium.

„Oder hat vielleicht Einer von den übrigen Rittern und Knappen die Proclamation zu sich genommen? ich muß sie haben, um sie im Reichs-Archiv zu hinterlegen. Als ich sie vorhin abholen wollte, war sie verschwunden.“ Alle versichern auf das Bestimmteste, daß sie es nicht gethan und auch nichts davon wüßten.

Da damals schon die Partei der „Altdeutschen“, weil ihnen für ihren streng republikanischen Sinn die monarchische Einrichtung im Lichtenhainer Staat ein Gräuel war, gegen die Lichtenhainer intriguirten und ein Schisma vorbereiteten, so glaubte G., daß einer von ihnen mit frevelnder Hand den Anschlag abgerissen habe. Er heftete daher am andern Morgen einen Zettel an das schwarze Bret, auf welchem er kurz und bündig denjenigen „einen dummen Jungen stürzte“, welcher das Manifest wegzunehmen sich unterfangen habe.

Dummer Junge“, das ist das Zauberwort, welches zwar jedem ehrenhaften Studenten erschütternd durch die Glieder rieselt, aber im Grunde doch sehr segensreich wirkt und manches Unglück

  1. Sie wurden von den „Scheristen“ auf das Entsetzlichste „agirt“ und maltraitirt. Sie mußten unter den Tisch kriechen und mautzen, Nasenstüber aushalten, Schuhe putzen, Bier holen und andere Jungendienste verrichten. Maulschellen und Stockschläge, selbst auf öffentlicher Gasse, waren nichts Seltsames, zuweilen bis zum Tode. Kam ein Fuchs mit wohlgefülltem Koffer, so hieß es: „Fuchs, Du hast wohl leidliche Wäsche mitgebracht?“ Er mußte öffnen, und Jeder nahm sich, was er am nothwendigsten brauchte, der Eine ein Hemd, der Andere ein Paar Strümpfe etc.
  2. d. h. feige Menschen.
  3. animal nesciens vitam studiosorum.
  4. Das Kreuz oder der Kreuzplatz, Töpfermarkt, ist der freie Raum vor der Stadtkirche, auf welchem die Leutra- und Johannisgasse, sowie die Saalgasse münden.
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