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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Nachdem er dies Billet geschrieben halte, zog er heftig die Schelle mit befahl dem eintretenden Bedienten, sofort einiges Nöthige ein zupacken und den Wagen zu einer Fahrt nach Jena[1] anspannen zu lassen. Es war an einem Freitag, und unwillkürlich summte der Alte mit den „Lustigen von Wien“ vor:

„Freitag geht’s nach Jena fort,
Denn das ist, bei meiner Ehre,
Doch ein allerliebster Ort.

Samstag ist’s, worauf wir zielen,
Sonntags rutscht man auf das Land,
Zwätzen, Burgau, Schneidemühlen
Sind uns alle wohlbekannt.

In der Nähe der Schneidemühle nahm der Dichter Quartier. Von der Saal-Vorstadt aus gelangt man über eine große steinerne Brücke nach Camsdorf zu dem Gasthof zur Tanne, von dem aus man eine prachtvolle Aussicht in das Saal-Thal nach Zwätzen und Kunitz hin hat. Besonders reizend ist diese Aussicht von den Erkerstuben aus. Diese bezog Goethe und genoß dort noch einen herrlichen Abend. Die Studenten brachten dem gefeierten Dichter-Heros noch ein Ständchen mit freudigem Lebehoch.

Während dies in Saal-Athen vorging, erfreute sich die Bevölkerung Ilm-Athens in der Hunde-Komödie. Macaire hatte die blutige That vollbracht und den Leichnam, wie er glaubte, ganz unbeobachtet, bei Seite geschafft; aber der treue Hund hatte treu gewacht und that sogleich die ersten Schrille, um die schwarze Unthat an’s Licht zu bringen. Stürmischer Beifallsjubel begrüßte ihn. Dieser Beifall wuchs von Scene zu Scene, während der Hund den schändlichen Macaire immer deutlicher als den Mörder seines Herrn kennzeichne!, so daß sich dieser vor dem vierbeinigen Rächer nicht mehr zu retten weiß. Es wird endlich beschlossen, daß Macaire durch ein Gottesurtheil im Zweikampf mit dem Hunde seine Unschuld darthun soll. Der Kampf begann. Macaire, mit einer Keule bewaffnet, drang wüthend auf seinen Widersacher ein, der sich indessen geschickt in ein altes Faß zurückzog, welches ihm neben einem stacheligen Halsbande gleichsam als Schußwaffe gestaltet war. Lautlos und mit zurückgehaltenem Athem erwartete die Menge den Ausgang. Als aber endlich nach mehreren Gängen der Hund den rechten Augenblick ersah, Macaire, während er zu einem vernichtenden Schlage ausholte, unterlief, bei der Gurgel faßte, niederwarf und so lange würgte, bis er seine Unthat gestand: da brach ein Beifallssturm los, wie ihn selbst Iffland und Devrient in ihrer höchsten Blüthe nicht erfahren hatten. Der Verbrecher wurde der gerechten Strafe überliefert und der Vorhang fiel.

Unter stürmischem Hervorruf ging derselbe wieder in die Höhe, der Hund erschien, diesmal auf zwei Beinen, und machte dankend sein Compliment vor den applaudirenden Herren und Damen. Schade, daß keine Lorbeerkränze zur Hand waren! Der Großherzog sprach sich mit großer Befriedigung über die gelungene Darstellung aus, und man verfehlle nicht, durch die Bemerkung, wie nahe es daran gewesen sei, daß Goethe durch seinen Eigensinn ihn um diesen Genuß gebracht habe, seinen Unmuth zu reizen. In diesem Unmuth schrieb er folgendes Antworts-Billet nach Jena an Goethe:

„Aus den mir zugegangenen Aeußerungen habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß der Geheimerath von Goethe wünscht, seiner Function als Intendant enthoben zu sein, welches ich hiermit genehmige. Karl August.

Der Dichter war außer sich, als ihm diese Zeilen zugingen, und wurde es noch mehr, als er vernahm, daß eine Abschrift davon allen Theater-Mitgliedern mitgetheilt worden sei.

Karl August hat mich nie verstanden!“ so rief er im Gefühle bitterster Kränkung aus. „Wie hätte er mir sonst solches zufügen können? mir, mit dem er dreiundvierzig Jahre in dem Verhältniß des Freundes zum Freunde gestanden, mit dem er einst in einem Grabe ruhen zu wollen erklärt hat! Und das Alles um eines Hundes willen herbeigeführt durch eine erbärmliche Schauspielerintrigue! Eine neue Begründung für jenes warnende Wort: Verlasset Euch nicht auf Fürsten.

Wenige Wochen vorher waren dem Dichter von Wien aus glänzende Offerten gemacht worden, und er hatte damals nicht im Entferntesten daran gedacht, davon Gebrauch zu machen. Jetzt ging er ernstlich mit dem Gedanken um, Weimar auf immer zu verlassen und nach der Kaiserstadt am Donaustrande überzusiedeln.

Jeder alte Jenenser erinnert sich wohl des allen lreuen Postboten Jahr, der immer mit dem ganzen Gesichte lachte, wenn ihm die Freude zu Theil ward, einen der Musensöhne mit einem längst ersehnten Geldbriefe zu erfreuen. Er war von Kopf bis zu Fuß in Citronengelb gekleidet und hieß deshalb der „Canarienvogel“. Als eben der Unmuth Goethe’s an einem Morgen am höchsten gestiegen war, erschien dieser Canarienvogel auf der Tanne diesmal als Friedenstaube. Er brachte dem Dichter einen Brief mit dem großherzoglichen Siegel. Sein Inhalt zerstreute schnell die Wolken des Unmuths, welche sich um Goethe’s lorbeerumkröntes Haupt gelagert hatten. Der Großherzog hatte sein Unrecht eingesehen, schrieb in sehr versöhnlicher Weise und stellte seinen baldigen Besuch in Aussicht. Einige Tage darauf fuhr er kurz vor dem Antritt einer längeren Reise nach Jena. Die allbekannte Droschke war mit einem Champagner-Korb und vielen andern guten Sachen bepackt. In dem Pavillon des Prinzessinnen-Gartens speiste Karl August mit Goethe ganz allein. Bald hörte man frohes Anklingen der Gläser und durch dasselbe hindurch ein Duo, das ungefähr so lautete:

„Theater hin, Theater her, –
Zwischen uns bleibt Alles beim Alten.“[2]

So war denn das gute Verhältniß zwischen den beiden edeln Männern vollkommen wiederhergestellt; aber zur Wiederaufnahme der Theaterleitung ließ sich Goethe durch keine Bitten bestimmen. Er besuchte auch das Theater nie wieder. Nur am Regierungs-Jubiläum des fürstlichen Freundes machte er eine Ausnahme.

In Jena blieb er noch einige Zeit und nahm mehrfach mit Interesse Kenntniß von den Ereignissen des damals durch de volksthümlichen Bestrebungen der Burschenschaft sehr bewegten akademischen Lebens, was ihm nahe genug lag, da in den untern Räumen der Tanne der Hauptversammlungsort der Burschenschaft war. Eins dieser Ereignisse wollen wir etwas näher betrachten.

In der Geschichte der Weltstaaten ist es sehr zweifelhaft, ob in Babylon oder in Assyrien die erste große asiatische Monarchie sich gebildet hat. Auch darüber sind die Gelehrten noch nicht im Reinen, ob in Afrika Meroe oder Egypten zuerst als Weltstaat sich constituirte. Adhue sub judice lis est. In der Geschichte der Bierstaaten dagegen ist es ganz ausgemacht, daß dem Dorfe Lichtenhain bei Jena die Ehre gebührt, den ersten Bierstaat der Welt in seiner Mitte gegründet zu sehen.[3]

Seit undenklicher Zeit nämlich, und diesen Ausdruck nicht blos im Sinne der ehemaligen Reichsritterschaft, sondern ganz eigentlich genommen, so berichtet schon ein gelehrtes altes Haus der Burschenschaft, bestand in Jena ein wundersamer Brauch. In

  1. Dorthin, zur bügerumkränzten Musenstadt, zogen ihn öfters Erinnerungen aus der frühern Zeit, namentlich die an Loder, mit dem er 1780 sehr interessante osteologische Studien gemacht, und noch mehr die bittersüßen Erinnerungen an Minna (eigentlich Wilhelmine) Herzlieb, die anmuthige Pflegetochter des Buchhändler Frommann, die als Kind schon sein Liebling gewesen, und für die er, der 60jährige, noch mit Jünglingsleidenschaft glühte. Sie soll die Ottilie in den Wahlverwandtschaften sein.
  2. Aehnliche Züge versöhnlicher Gemüthlichkeit finden sich viele in dem Leben des edlen Fürsten. Nur einer davon finde hier einen Platz. Er hatte einst dem Oberstallmeister von Seebach einen harten, ungerechten Vorwurf gemacht; Seebach wollte zu ihm gehen, um sich zu rechtfertigen, wurde aber von einem Freunde davon abgehalten. Am andern Tag kam der Großherzog auf die Reitbahn und übergab dem Oberstallmeister ein neues Gebiß, was man ihm als Probe zugesendet hatte, mit dem Wunsche, sogleich einen Versuch damit zu machen. Die Probe ergab, daß es unzweckmäßig war. Als dies von Seebach aussprach, erwiderte ihm Karl August: „Da habe ich gestern doch Unrecht gehabt!
  3. Viel später, erst am 21. August 1818, wurde von den strengen Altdeutschen die Bierrepublik Ziegenhain gegründet, an deren Spitze ein Landammann stand, umgeben von einem souverainen großen Rath und einem engern als Executiv-Behörde. Staunenswerth waren die Anstrengungen dieser republikanischen Partei, den Monarchisten den Vorrang im – Trinken abzugewinnen. Sie übten sich Tag und Nacht, und zwar mit dem glänzendslen Erfolge. Manche brachten es bis zu 18 bis 20 Stübchen. Noch später, am 3. März 1822, wurde unter Popp I. die Grafschaft Wöllnitz von den Franken errichtet und von den übrigen Corps neuere Herzogthümer in Lichtenhain. Jetzt bestehen in Lichtenhain nur noch zwei Herzogthümer, eins der Sachsen und ein zweites der Thüringer, beide in großem Glanz und Flor. Von den Thüringern sitzt jetzt Tus LXXIV. auf dem Thron. In Ammerbach bestand einige Jahre hindurch ein Großherzogthum unter A. in höchster Blüthe, doch unter seinem Nachfolger F. seinem Fall zueilend.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_715.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)