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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Aber bedenken Sie doch, bester Geheimerath, ein wie großer Thierfreund und besonders Hunde-Liebhaber unser trefflicher Großherzog ist und wie sich Seine königliche Hoheit daher freuen würden über die staunenswerthen Künste des talentvollen Thieres.“

„Ich habe gar nichts gegen die Liebhaberei[WS 1] unseres gnädigsten Herrn, aber sie mag geübt werden, wo sie hin gehört, im Wald und auf der Haide, aber nimmermehr auf dem Theater. Hier lesen Sie doch selbst § 19 unserer Theatergesetze, die auch Sie mit unterschrieben haben, Herr Graf. Hier steht es ja ausdrücklich und mit dürren Worten: „Hunde auf die Bühne mitzubringen, ist streng verboten.““

„Excellenz halten zu Gnaden, dieses Gesetz bezieht sich lediglich auf Haus-, Hof- und Metzger-Hunde und den sonstigen Hundepöbel, welchen ein hundeliebender Schauspieler in die Garderobe mitzubringen versucht sein könnte und der dann, wenn er plötzlich die Bühne beträte, um ohne Gage mitzuspielen, eine ärgerliche Störung veranlassen würde; aber so etwas hat ja gar keinen Bezug auf das wohlgezogene, der Hunde-Aristokratie angehörende Individuum, welches Herr Karsten uns zu produciren die Ehre haben wird. Excellenz lassen ja selbst Ihren Faust so treffend sagen:

Dem Hunde, wenn er gut gezogen,
Wird selbst ein weiser Mann gewogen.
Ja, Deine Gunst verdient er ganz und gar,
Er, des Herrn Karsten trefflicher Scolar.“

„Gehen Sie mir mit Ihren verwünschten Sophismen; es bleibt dabei, die Bestie darf nicht auf’s Theater!“

So schloß ein in Goethe’s Studirstube zu Weimar zwischen dem Dichter und dem Grafen Edelink zuletzt sehr laut und heftig geführtes Gespräch. Zum vollen Verständniß desselben sei es uns vergönnt, Folgendes als Erläuterung anzufügen.

Im Jahre 1790 ward das neue Theater eröffnet, und Goethe übernahm die Leitung mit fast unumschränkter Machtvollkommenheit und mit einem so großen Eifer, daß er alle Proben beaufsichtigte und die einzelnen Schauspieler und Schauspielerinnen selbst einstudirte. Während der Aufführung saß er mitten im Parterre auf einem Sessel, mit seinem Jupiter-Blick den Kreis um sich her lenkend und beherrschend, zuweilen auch, wenn Beifalls- oder Mißfallensbezeigungen des Publicums ihn genirten, mit einem „Quos ergo“ derb drein fahrend. Auf der Bühne war er Despot und doch Alles mit dem Zauber seiner imposanten Persönlichkeit entzückend.

Die höchste Blüthezeit der dramatischen Kunst in Weimar war die der ersten Ausführung des Don Carlos, Egmont und Wallenstein. Obschon der Versuch, ein deutsches Theater zu schaffen, mißlang und auf dem eingeschlagenen Wege mißlingen mußte, so gehört doch das edle Streben der beiden Herren auch in dieser Beziehung zu den erhabensten Erscheinungen in der deutschen Kunstwelt. Schiller starb, und sowie sein Tod überhaupt einen tiefen und schmerzlichen Riß in Goethe’s Herz und Leben verursachte, so lähmte er auch sein Interesse am und seine Thätigkeit für’s Theater. Bald kamen noch andere Ursachen hinzu, die ihm die Leitung der Bühne mehr und mehr verleideten. Die gefeiertste Schauspielerin, die als Frau von Heygendorf geadelte Caroline Jagemann, genoß außerhalb der Bühne die Gunst des Großherzogs im höchsten Grade und wollte sich daher auf der Bühne den strengen Anordnungen Goethe’s nicht fügen. Es entstanden Parteien und Verstimmungen, die vom Winter 1808 an Goethen mehrfach bestimmten, um Enthebung von seinem ärgerlichen Posten zu bitten. Immer aber ließ er sich wieder zur Beibehaltung desselben bereden. Im Jahre 1813 wurde ihm der Hofmarschall, Graf von Edelink, als Mitglied der Intendanz zur Seite gegeben. Doch behielt Goethe die höchste Entscheidung. Frau von Heygendorf wurde indessen immer eifersüchtiger auf des Dichters Einfluß. Sie suchte und fand endlich das rechte Mittel, um Goethe zu verdrängen.

Alle Zeitungen waren damals voll von dem Furore, welches ein neues Melodrama: „Der Hund des Aubry[1] selbst auf den größten Bühnen machte. Jetzt, wo sogar Ziegen als dramatische Künstlerinnen auftreten, würde das gar nicht mehr auffallen, damals aber machte es Aufsehen. Ein gewisser Herr Karsten hatte einen Pudel abgerichtet, der die Titelrolle auf’s Trefflichste spielte, und zog gastirend und das Publicume entzückend überall mit demselben herum. Goethe las die Theaterberichte darüber mit Entrüstung. Der Großherzog aber, dem man namentlich einen interessant geschriebenen Bericht aus Paris in günstiger Stunde vorlegte, wurde neugierig gemacht und zu dem Wunsche veranlaßt, daß man das vierbeinige Talent als Gast nach Weimar einladen möge.

In Folge aller dieser Ereignisse fand dann das oben angeführte Gespräch statt.

Graf Edelink entfernte sich mit höfischer Freundlichkeit, und Goethe ging einige Mal mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, und rief dann, als er die Thüre des Vorzimmers hatte zuklinken hören, aus: „Ich durchschaue Alles, es ist eine fein angelegte Intrigue der Heygendorf, ich werde meine Maßregeln nehmen.

Graf Edelink eilte nach dem Residenzschloß und ließ sich beim Großherzog melden.

„Nun, wie steht’s?“ fragte dieser, „hat der Bühnentyrann seinen harten Sinn erweichen lassen?“

„Nichts weniger als das,“ erwiderte der Graf, „obschon ich nichts unversucht ließ, um ihn zu erweichen. Ich sagte ihm, daß ja die Sache selbst von naturgeschichtlichem Interesse sei, da man dabei gewahr werde, in wie weil der thierische Verstand bildungsfähig erscheine. Alles vergebens. Ich stellte ihm vor, wie unrecht es von ihm sei, immer nur auf seinem Kopfe zu beharren und den Wünschen von Ew. Königl. Hoheit selbst in einer solchen Kleinigkeit zu widerstreben. Alles vergebens. Und wenn er sich auf den Kopf stellt, sagte er endlich, so bleibt es doch dabei, die Bestie darf nicht aus das Theater, so lange ich demselben vorstehe.“

„Das hat er wirklich gesagt?“ erwiderte der Großherzog mit Heftigkeit, indem ihm die Zornesader zu schwellen begann.

„Ja, das hat er gesagt,“ erwiderte der Graf, ohne dabei zu erröthen. „Ew. Königl. Hoheit halten nur zu Gnaden, daß ich es zu wiederholen mir erlaubt habe – aber –“

„Schon gut,“ schloß der Großherzog die Audienz, „wir wollen doch sehen, wer hier Herr ist. Schreiben Sie sofort an Karsten, daß er sobald als möglich mit dem Hund hier eintrifft. An Goethe wird davon keinerlei Mittheilung gemacht.“ Er machte die Entlassungspantomime, und der Graf verabschiedete sich mit vielen tiefen Bücklingen.

„Durchgesetzt, endlich durchgesetzt,“ so rief der Graf, sich freudig die Hände reibend, indem er in den höchst eleganten Gartensalon bei der Frau von Heygendorf eintrat.

„Bravo, lieber Graf, bravo!“ rief die reizende Freundin Karl Augusts, indem sie voll Freude in die Hände klatschte. „Ich wußte ja, daß Sie der Mann dazu waren, so etwas durchzusetzen. Nun aber auch weiter an’s Werk, so lange das Eisen noch warm ist und glüht.“

Ohne daß Goethe ein Wort davon wußte, wurde der vierbeinige Mime verschrieben.

Es war in den ersten Tagen des April 1818 gegen Abend, als er mit der Post ankam und im Gasthof zum Elephanten Quartier nahm. Alle Abende fanden sich dort bei Herrn Schwanitz in der räucherigen Wirthsstube, die damals noch durch einen hölzernen Pfahl in der Mitte fast zur ländlichen Schenke gestempelt wurde, eine Gesellschaft auserlesener Gäste ein. Herr Karsten saß mitten unter ihnen und sprach mit Stolz von den glänzenden Leistungen seines dramatischen Zöglings. Am andern Morgen war seine Ankunft in der ganzen Stadt ruchbar und noch bekannter wurde sie, als Herr Karsten am nächsten Abend zu einer der anmuthigen Soireen bei Frau von Heygendorf eingeladen gewesen war. Goethe glaubte indessen, man habe die Angelegenheit fallen lassen, und Niemand wagte es, ihn von der Ankunft des zottigen Mimen in Kenntniß zu setzen. Als er am Tage der Theaterprobe endlich Alles erfuhr, schrieb er an den Großherzog:

„Ew. Königliche Hoheit

wissen, wie mir bis zu diesem Tage das hiesige Theater als eine höhere Bildungsstätte ein Heiligthum gewesen ist. Da nun dasselbe meiner Ansicht nach durch die heutige Aufführung entweiht wird, so werden Ew. Königliche Hoheit es gewiß verzeihlich finden, wenn ich mir die Erlaubniß erbitte, derselben nicht beizuwohnen, sondern mich als beurlaubt ansehen zu dürfen.“

  1. Der Hund ist Zeuge von der Ermordung seines Herrn und dann durch das ganze Stück hindurch unermüdet thätig, um zunächst von dem Mord Anzeige zu machen und, mit einer Laterne im Maul, die Diener des Gerichts zum Leichnam zu führen, dann aber den Thäter zu denunciren und ihn im Zweikampf seines Verbrechens zu überführen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Liehaberei
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_714.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)