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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Friedrich Kaufmann, trotz seiner fünfundsiebenzig Jahre noch mit aller Energie eines rastlos schaffenden Geistes begabt, erzählt nicht ohne Rührung, daß sein Vater der Sohn sehr armer Eltern war, und daß sie ihm in frühester Jugend durch den Tod entrissen wurden. Ein Strumpfwirker in Chemnitz nahm ihn in die Lehre, jedoch, seiner Neigung zu mechanischen Arbeiten folgend, verließ er nach drei Jahren diese traurige Profession und ging nach Dresden. Hier kam er in das Haus eines sogenannten Genie’s, das sich nicht allein mit Verfertigung von Regenschirmgestellen, sondern auch mit der Reparatur von Uhren und ähnlichen Arbeiten beschäftigte, und schon nach anderthalb Jahren, als sein Lehrmeister starb, war er im Stande, das Geschäft selbstständig fortzusetzen. Sein großes Talent für mechanische Arbeiten brach sich bald Bahn, und nachdem er viele neue Uhren nach eigener Construction gefertigt hatte, wagte er sich, obgleich ohne musikalische Vorkenntnisse, an die Verfertigung von Spieluhren und mechanischen Musikwerken. Bereits im Jahre 1789 ward ein solches, in dem er Harfe und Flöten vereinigt hatte, als „alle bis dahin bekannten Spieluhrwerke weit übertreffend“ anerkannt und vom Kurfürsten (nachmaligem Könige) von Sachsen angekauft. Dies spornte seinen Fleiß von Neuem an, und schon 1800 galten seine Arbeiten in Italien, Oesterreich und Rußland als Meisterwerke und wurden dahin versandt.[1]

Zu Anfang dieses Jahrhunderts griff bereits sein Sohn, unser Friedrich Kaufmann, von Jugend auf ein großes Talent für Musik verrathend und sorglichst in derselben unterrichtet, dem Vater bei seinen Arbeiten thätigst unter die Arme, und beide Künstler erregten durch schnell aufeinander folgende Erfindungen die allgemeinste Aufmerksamkeit. Im Jahre 1806 vollendeten Beide ein großes Musikwerk mit natürlichen Trompeten und Pauken, dem sie den Namen „Belloneon“ gaben, und das, noch ehe es ganz vollendet war, vom Könige von Preußen angekauft und im Schlosse von Charlottenburg aufgestellt ward. Dieses Instrument, welches sich besonders zur Aufführung von Märschen, Chören und Fanfaren eignet, gab zu einem Vorfalle Veranlassung, der in den damaligen preußischen Zeitungen in folgenden Worten erzählt wird, und den wir als historisches Curiosum nicht unerwähnt lassen wollen:

„Nach der unglücklichen Schlacht bei Jena nahm Napoleon sein Hauptquartier im Schlosse von Charlottenburg. Er hatte sich kaum zu Bette begeben, als die preußische Cavallerie-Attaque durch die Stille der Nacht schmettert. Napoleon glaubt sich überfallen, fährt erschrocken von seinem Lager, stürzt an’s Fenster und läßt Alarm schlagen. Alles eilt unters Gewehr. Die Attaque wird noch einmal geblasen – und sonderbar genug – im Schlosse. Ein aus dem Marmorsaale herbeieilender Adjutant löst endlich das Räthsel. In jenem Saale steht das Belloneon, welches Se. Maj. unser König von dem Akustiker Kaufmann in Dresden, kurze Zeit vor jener unglücklichen Schlacht, hatte verfertigen lassen, und welches auf Befehl des Königs mit allen Trompeterstücken der preußischen Cavallerie versehen worden war. Napoleon’s neugierige Begleiter hatten das Schloß durchstöbert und waren auch zum Belloneon im Marmorsaale gekommen. Dieses merkwürdige Instrument wurde mit echt französischer Neugierde von allen Seiten untersucht und betastet. Man berührte zufällig ein kleines Knöpfchen, welches das Werk in Bewegung setzt, und so kam es, daß eine Cavallerie-Attaque von 12 Trompeten den Imperator aus dem Schlafe aufschmetterte.“

Bei fortgesetztem Studium kam Friedrich Kaufmann auf den Gedanken, alle die Töne, deren die Trompete fähig ist, auf einem einzigen Instrumente hervorzubringen, und es gelang ihm, eine Maschine zu erbauen, welche in Gestalt einer Figur in mittelalterlicher Kleidung eine Trompete an den Mund setzt und mit fertigstem Zungenstoße Alles bläst, was lebenden Trompetern möglich ist. Ja es gelang ihm, auf einem und demselben Instrumente zwei Töne zugleich hervorzubringen, was nur unter höchst beschränkten Verhältnissen und höchst selten lebenden Bläsern gelingt. Diese Hervorbringung der Doppeltöne ist als akustisches Experiment beachtenswerth, und ein Carl Maria von Weber schrieb über diesen „Trompet-Automat“ in anerkennendster Weise.

„Herr Kaufmann,“ läßt er sich 1812 in der Allgemeinen Musik-Zeitung vernehmen, „ist als Erfinder des Harmonichord rühmlichst aufgetreten, seine neuen Schöpfungen aber sind so ausgezeichnet merkwürdig, daß sie verdienen, der Welt so viel als möglich bekannt zu werden. Referent hatte während seines Aufenthalts in Dresden Gelegenheit, den von ihm verfertigten künstlichen Trompeter zu sehen und zu hören. Die höchst einfache compendiöse Maschine blies auf einer ihr angesetzten Trompete mit vollkommen schönem gleichem Tone und fertigem Zungenstoße die Töne

in verschiedenen Aufzügen und Fanfaren. Schon hier sind die Töne a und h nebst den Clarinotinen höchst merkwürdig, aber noch interessanter und an das Unbegreifliche grenzend ist die Hervorbringung von Doppeltönen in der gleichsten Stärke und Reinheit. Referent war sehr überrascht, als er nach einigen einstimmigen Sätzen einen jener muntern Aufzüge in Octaven, Terzen, Quinten und einen sehr schönen Doppeltriller zu hören bekam. Es ist höchst merkwürdig für die Tonerzeugung, daß ein Instrument dasselbe mit eben der Vollendung wie zwei Trompeten hervorbringen kann. Was einer Maschine möglich wurde, sollte wohl dem Vorbilde – dem natürlichen Ansatze – auch nicht unmöglich sein!“

Wie aus Weber’s Bericht hervorgeht, trat kurze Zeit zuvor Kaufmann mit dem von ihm erfundenen „Harmonichord“ auf, einem Instrumente, welches durch Tastatur gespielt wird. Der Form nach ist es ein aufrechtstehendes Flügel-Fortepiano, dessen Saiten jedoch nicht durch Hammeranschlag, sondern durch Reibung eines mit Leder überzogenen und mit Colophonium durcharbeiteten Cylinders zum Ertönen gebracht werden. Der Ton hält so lange an, als der Finger auf der Taste verweilt, und alle Nüancirungen des piano, crescendo und forte, und zwar in anhaltenden, anschwellenden Tönen, werden nur durch schwächeren und stärkeren Druck des Fingers hervorgebracht. „Nichts Sangreicheres läßt sich denken, nicht beschreiben läßt sich der Eindruck – ein Sphärensang! nur erwarte man nicht die Künste heutiger Virtuosität zu hören, dessen ist das Harmonichord in seiner musikalischen Himmelsreinheit nicht fähig. Dem schönen heiligen Traume der Cherubim-Chöre nur dient es und vermag es zu dienen.“ Auch für dieses Musikwerk interessirte sich C. M. von Weber in so hohem Grade, daß er dafür ein großes Concert mit vollem Orchester componirte, welches sich noch als Manuscript im Besitze Kaufmanns befindet.

Wir sehen auf unserem Bilde den ehrenwerthen Meister an diesem seinem Lieblingsinstrumente, dem Harmonichord; ihm zur Seite sein würdiger Sohn und Mitarbeiter, auf den wir noch besonders, bei Besprechung seiner Schöpfung, des „Orchestrions“, zurückkommen werden. Die durch eine mehr als fünfzigjährige Arbeit gekrümmten Finger des Greises entlocken noch mit gleicher Sicherheit wie vor zwanzig Jahren, da wir ihn zum ersten Male hörten, dem Instrumente jene überirdischen Töne, wie wir sie vergebens in unsern Orchestern suchen dürfen; das ehrwürdige weiße Haupt senkt sich mehr und mehr zu den Tasten nieder, je mehr sich der „alte Spielmann“ in seine Phantasiern versenkt – je mehr er uns mit unsern Gedanken der Gegenwart entrückt.

Wie Friedrich Kaufmann’s Vater schon früher Harfe und Flöten in einer Maschine vereinigt hatte, so verbanden jetzt beide Künstler das Pianoforte mit Flöten und Piccolo in einem mechanischen Instrumente und nannten es „Chordaulodion“ (Saiten-Flöten-Gesang). Die von ihnen gemachte, für den Orgelton höchst wichtige Erfindung, sowohl offne als gedeckte Pfeifen mittelst einfachen Mechanismus und durch Verstärkung und Verschwächung des Windes piano, crescendo und forte anzublasen, ohne daß sich dabei der Ton verstimmt oder sonst dadurch leidet, machte es möglich, das mechanische Spiel des Chordaulodion mit einer Art lebendigen Hauches zu beseelen und alle Nüancirungen des crescendo und decrescendo, accelerando und ritardando hervorzubringen. – Mit den genannten Instrumenten machten beide Künstler in den Jahren 1815–1819 eine Kunstreise durch einen großen Theil des europäischen Continents und erwarben sich überall ebenso viel Beifall und Bewunderung durch ihre Talente, als Hochachtung und Zuneigung durch ihren biedern, deutschen Charakter.

1818 starb J. G. Kaufmann in Frankfurt a. M., worauf Friedrich Kaufmann vom Großherzog von Darmstadt einen Ruf als Harmonichord-Spieler in dessen Capelle erhielt, denselben jedoch ausschlug, da ihm vom Könige von Sachsen ein lebenslänglicher

  1. Siehe Universal-Lexikon der Tonkunst.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_710.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)