Seite:Die Gartenlaube (1860) 703.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Wie arm auch Garibaldi war, so fand er doch eines Tages einen Legionair, noch ärmer als er selbst. Der arme Teufel hatte nicht einmal ein Hemd. Garibaldi führte ihn in einen Winkel, zog hier sein Hemd aus und gab es ihm. Als er nach Hause kam, bat er seine Anita um ein anderes. Anita schüttelte aber den Kopf. „Du weißt doch,“ sagte sie zu ihm, „daß Du nur eins hast; hast Du’s weggegeben, desto schlimmer für Dich.“ Und nun blieb Garibaldi ohne Hemd, bis Auzani ihm ein neues verschaffte.

Aber Garibaldi war auch unverbesserlich.

Eines Tags hatte man ein feindliches Schiff gefangen genommen. Garibaldi vertheilte die Beute unter seine Gefährten. Nach geschehener Theilung rief er seine Leute zu sich, einen nach dem andern, er befrug sie über ihre Familienverhältnisse. Den Bedürftigsten gab er einen Theil von seiner Beute. „Nehmt das, es ist für Eure Kinder!“ Es fand sich außerdem eine ansehnliche Summe Geldes auf dem Schiff vor, aber Garibaldi sendete sie an den Schatz von Montevideo und weigerte sich, auch nur einen Pfennig davon anzurühren. Einige Zeit später war der Beuteantheil so gut vertheilt, daß ihm für sein Haus nicht mehr als drei Kreuzer blieben.

An diese drei Kreuzer knüpft sich eine Anekdote, welche Garibaldi selbst Dumas erzählt hat.

Er hörte eines Tages sein Töchterchen Teresita laut aufschreien. Da er das Kind anbetete, so lief er herbei, um zu sehen, was es gäbe. Es war eine Treppe herabgefallen und hatte sich das Gesicht blutig aufgeschlagen. Garibaldi, der nicht gleich wußte, wie er es trösten sollte, besann sich auf die drei Kreuzer, welche sein ganzes Hausvermögen bildeten und die man für wichtige Ereignisse aufbewahrt hatte. Er nahm seine drei Kreuzer und eilte ein Spielzeug einzukaufen, welches sein Kindlein beruhigen könnte. Vor der Thüre begegnete ihm ein Diener des Präsidenten Joaquin Suarez, der ihn im Auftrag seines Herrn zu einer wichtigen Mittheilung abholen sollte. Er begab sich daher sogleich zum Präsidenten, vergaß den Grund seines Ausgangs und hielt mechanisch seine drei Kreuzer in der Hand. Die Conferenz währte zwei Stunden, denn es handelte sich wirklich um wichtige Gegenstände. Nach Verlauf dieser zwei Stunden kehrte Garibaldi nach Hause zurück; das Kind war besänftigt, Anita dagegen äußerst unruhig. „Man hat die Börse gestohlen!“ rief sie ihm zu, sowie sie ihn erblickte.

Jetzt erst dachte Garibaldi an die drei Kreuzer, die er noch in der Hand hielt. – Er war der Dieb.

Um diese Zeit vernahm Garibaldi, daß Pius IX. auf den päpstlichen Stuhl erhoben worden sei. Man weiß, wie sich die Anfänge seiner Regierung gestalteten. „Wie Viele,“ so schreibt Garibaldi, „glaubte auch ich an eine Aera der Freiheit für Italien. Ich beschloß sogleich, um ihn in den hochherzigen Entschlüssen, die ihn belebten, zu unterstützen, ihm meinen Arm, wie den meiner Waffengefährten anzubieten. Diejenigen, welche an eine systematische Opposition meinerseits gegen das Papstthum glauben, können leicht aus dem Schreiben, das ich im Verein mit Auzani an den Nuntius Seiner Heiligkeit richtete und welches obengenannte Bitte enthielt, ersehen, daß dem nicht so war; meine Hingebung galt der Sache der Freiheit im Allgemeinen, auf welchem Punkte der Erde sich auch diese Freiheit Bahn brach. Man wird jedoch einsehen, daß ich meinem Lande den Vorzug gab und bereit war, unter demjenigen zu dienen, der berufen schien, der politische Messias Italiens zu werden.“ Allein Garibaldi und Auzani warteten vergebens auf Antwort vom Nuntius oder vom Papst, dennoch beschlossen sie mit einem Theile ihrer Legion nach Italien abzureisen. Ihr Zweck war, die Revolution da zu unterstützen, wo sie bereits in Waffen stände oder sie wachzurufen, wo sie noch schlief, z. B. in den Abruzzen. Leider hatte jedoch keiner von Allen einen einzigen Kreuzer in der Tasche, um die Ueberfahrt bestreiten zu können.

„Ich nahm,“ lassen wir Garibaldi wieder selbst berichten, „meine Zuflucht zu einem Mittel, das bei edeldenkenden Herzen stets anschlägt: ich eröffnete eine Subscription unter meinen Landsleuten. Die Sache ging vorwärts, allein einige schlechte Seelen suchten unter den Legionairen einen Theil gegen mich einzunehmen und diejenigen, die mir zu folgen geneigt waren, davon abzuschrecken. Man redete den armen Kerlen vor, ich würde sie einem sichern Tode entgegenführen, das von mir beabsichtigte Unternehmen sei unmöglich und es sei ihnen ein ähnliches Loos wie das der Brüder Bandiera vorbehalten. Dies hatte zur Folge, daß sich die Furchtsamsten zurückzogen und nur 85 Mann bei mir blieben, von welchen uns noch 29, als sie schon eingeschifft waren, verließen. Zum Glück waren jedoch die, welche bei mir blieben, die Tapfersten, fast alle Waffengenossen aus dem Kampfe von San Antonio. Ueberdies nahm ich einige zuverlässige Orientalen mit mir, und unter diesen meinen armen Neger Aguyar, der bei der Belagerung von Rom fiel. – Die Subscription, an welcher sich vorzüglich ein in Montevideo ansässiger Genuese, Namens Stefano Antonini, betheiligte, ging gut von Statten. Ihrerseits erbot sich die Regierung, uns mit allem, was in ihrer Gewalt stände, zu unterstützen; ich wußte jedoch, wie arm sie war, und wollte daher von ihr nur zwei Kanonen und achthundert Flinten annehmen, die ich auf unsere Brigg schaffen ließ. Allein im Augenblick unserer Abfahrt begegnete uns mit dem Commandanten des Biponte Carolo dasselbe, was die Franzosen zur Zeit der Kreuzfahrt Balduin’s von den Venetianern erfuhren, die sie nach dem gelobten Lande zu schaffen versprochen hatten. Seine Forderung war so groß, daß wir Alles, bis auf unsere Hemden, verkaufen mußten, um ihm gerecht zu werden, sodaß während der Ueberfahrt Einige aus Mangel an Kleidern auf ihren Lagerstätten bleiben mußten.

„Wir hatten bereits eine Küstenstrecke von dreihundert Stunden zurückgelegt und befanden uns beinahe auf der Höhe der Orinocomündungen, als auf einmal, während ich mich eben mit Orrizoni belustigte, Meerschweine vom Bugspriet zu harpuniren, das Geschrei: „Feuer!“ erscholl.

„Vom Bugspriet auf den Schiffsschnabel, vom Schiffsschnabel auf das Verdeck springen und mich am Netz herabgleiten lassen, war das Werk eines Augenblicks. Beim Vertheilen der Lebensmittel hatte der Austheiler die Unvorsichtigkeit begangen, Branntwein aus einem Fasse mit dem Lichte in der Hand zu ziehen. Der Branntwein fing Feuer; der Austheiler verlor den Kopf und statt das Faß wieder zuzuschlagen, ließ er den Branntwein stromweise herausfließen. Die Speisekammer, die von der Pulverkammer durch eine kaum zolldicke Planke getrennt war, bildete einen wahren See von Feuer. Hier sah ich recht, wie leicht auch die Muthigsten der Furcht zugänglich sind, sobald sich die Gefahr ihnen in einer andern Gestalt zeigt, als sie sie zu sehen gewohnt sind. Alle diese Menschen, welche Helden, Halbgötter auf dem Schlachtfelde waren, liefen, rannten gegen einander und verloren den Kopf, zitternd und verstört wie Kinder. Nach Verlauf von zehn Minuten hatte ich, von Auzani, der beim ersten Lärmschrei aus seinem Bett gesprungen war, unterstützt, das Feuer gelöscht.

„Der arme Auzani hütete in der That das Bett, nicht weil er gänzlich von aller Bekleidung entblößt gewesen wäre, sondern weil er schon heftig von der Krankheit ergriffen war, an welcher er bei seiner Ankunft in Genua sterben sollte, an einer Lungenschwindsucht. Dieser bewundernswürdige Mensch, an dem sein grimmigster Feind, wenn er anders einen Feind hatte haben können, auch nicht einen einzigen Fehler zu finden vermochte, wollte, nachdem er sein Leben der Sache der Freiheit gewidmet, daß seine letzten Augenblicke noch seinen Waffengefährten nützlich würden; täglich half man ihm, das Verdeck zu besteigen; als er nicht mehr heraufsteigen konnte, ließ er sich herauftragen, und hier gab er, auf einer Matratze hockend und sich oft auf mich stützend, den Legionairen, die sich um ihn im Hintertheil des Schiffs versammelt hatten, Unterricht in der Strategie. Dieser Auzani war ein wahres Wörterbuch der Wissenschaften, und es würde ebenso schwer sein, alle die Sachen aufzuzählen, die er wußte, als eine zu finden, die er nicht gewußt hätte.

„Zu Palo, ungefähr fünf Miglien von Alicante, stiegen wir an’s Land, um eine Ziege und Orangen für Auzani zu kaufen. Hier erfuhren wir durch den sardinischen Viceconsul einen Theil der Ereignisse, die sich in Italien zugetragen; hier vernahmen wir, daß die piemontesische Constitution proclamirt worden sei und daß die fünf glorreichen Tage von Mailand stattgefunden hätten; lauter Dinge, die wir seit unserer Abfahrt von Montevideo, d. h. seit dem 27. März 1848, nicht wissen konnten. Der Viceconsul erzählte uns, daß er italienische Fahrzeuge mit der tricoloren Flagge habe vorbeifahren sehen. Sofort entschloß ich mich daher, die Fahne der Unabhängigkeit aufzupflanzen. Ich führte die Flagge von Montevideo bei mir, unter welcher wir segelten, und jetzt hißte ich an der Gabel unseres Schiffes das sardinische Banner

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 703. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_703.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)