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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

in dieser Gattung aus, das noch heute in seinen Grundzügen besteht, wenn es auch jetzt auf wissenschaftlichen Grundsätzen ruht. Insbesondere war der Nutzen des Zeitgewinns, dieses Hauptaugenmerk des Vertheidigers, der Grund, daß die alten Kriegsbaumeister ihre festen Plätze vielfach mit Minensystemen unter dem gedeckten Weg und dem Glacis, d. h. auf dem Begrenzungsterrain der Festung nach außen, versahen. Man erbaute in dem Hauptgraben, vorausgesetzt, daß er nicht zu bewässern war, am Fuße der dem Feinde zugewendeten Grabenböschung, der sogenannten Contreescarpe, einen rings um die Festung laufenden hallenartigen Gang, die sogenannte Haupt- oder Enveloppengallerie, von welcher bereits fertige ausgemauerte unterirdische Gänge (Zweige, Rameaux) sich aller 40–50 Schritt in das Vorterrain erstreckten. Von diesen Zweigen aus gingen wieder niedrige und kürzere Nebenzweige (Horchgänge) seitwärts aus, die, mit den benachbarten zusammen betrachtet, ein vollständiges Gewebe unter dem Boden bildeten. Da man von den Spitzen der Horchgänge aus auf ungefähr 40 Fuß Entfernung unterirdische Arbeiten des Gegners hören kann, so sind die Horchposten im Stande, die Annäherung des Feindes schon von Weitem zu erfahren, denn der Angreifer kann keinen Schritt thun, ohne in die Wirkungssphäre eines der Horchgänge zu gerathen. Der Mineur des Vertheidigers hat hierdurch einen großen Vorsprung. Er baut vom Ende des Horchganges oder des nächstgelegenen Zweiges seinen unterirdischen Gang dem Feinde weiter entgegen, natürlich nur in Holzverkleidung, bis er dem gleichfalls arbeitenden Feinde so nahe gekommen ist, daß er die Mine glaubt wirken lassen zu können. Diese Wirkung wird immer darauf hinausgehen, entweder durch Anlage einer Quetschmine den Minengang des Angreifers zusammenzudrücken und den Mineur zu verschütten, oder, falls es sich darum handelt, ein Angriffsobject des Gegners, z. B. eine Batterie, in die Luft zu sprengen, eine Demolirungsmine anzulegen.

In beiden Fällen wird nun der Minengang an seinem Ende mit der entsprechenden Pulvermenge geladen (entweder mit Kästen oder Beuteln voll Pulver) und hierauf die Leitung zum Entzünden angebracht; schließlich erfolgt das Verdämmen und Verriegeln der Pulverkammer mittelst einer Wand von Holz, Sandsäcken und Rasen, die so stark sein muß, daß sie von der Wirkung des Pulvers nicht zerstört wird, damit sich diese lediglich gegen das in’s Auge gefaßte Object richtet. Zuletzt erfolgt das Zünden der Mine, wozu man die verschiedensten Vorrichtungen besitzt. Das Einfachste ist die sogenannte Zündwurst, eine mit Pulver ausgestopfte Wurst von Leinen oder Baumwolle, welche ihr eines Ende im Minen-Ofen, ihr anderes in den rückwärtigen Minengängen hat. Der sogenannte englische Patentzünder, ein dünnes Tau, welches im Innern wie das Mark in einem Knochen einen feinen Pulverkern hat, ist eine neuerfundene Abart der Zündwurst und wird, da sie hermetisch und wasserdicht hergestellt werden kann, besonders zum Zünden von schwimmenden und unterseeischen Minen angewendet, wie solche die Russen bei der Vertheidigung von Kronstadt etc. unter der Oberfläche des Wassers angebracht hatten. Außer dieser Zündmethode existiren noch eine Menge anderer mechanischer Zündmittel, z. B. die sogenannte Mausefalle, ferner eine Art Gewehrschloß, dessen Drücker mit einer Schnur abgezogen wird. Doch scheinen alle diese Arten in Zukunft durch die Anwendung der Elektricität und des Galvanismus in Wegfall kommen zu sollen, wie der erste gelungene Versuch dieser Art im Großen von den Oesterreichern 1853 im Lager zu Olmütz und neuerdings wieder in Jülich dargethan hat. Man bedient sich dazu gewöhnlicher Volta’scher Batterien, deren Draht durch den Minenofen geführt wird und durch Einwirkung des elektrischen Stromes mit seinem feinen Platin-Ende in Glühen versetzt wird. Die Entzündung erfolgt sicher und fast augenblicklich, ohne den Mineur einer Gefahr auszusetzen, in die er bei andern Zündmethoden leicht gerathen kann.

Doch ist es nicht allein die Mühseligkeit der Arbeit und die Gefahr beim Zünden, welche den Mineur bedroht. Wir erwähnten, daß es vor Allem auf den richtigen Moment des Zündens ankomme; aber selbst wenn es dem Mineur gelungen ist, dem Gegner hierin zuvorzukommen, erwachsen ihm aus seinem eigenen unheimlichen Siege neue Gefahren. Wenn er die Verdämmung weggeräumt hat, um weiterzuarbeiten, oder auch sonst in die Wirkungssphäre einer früher gesprengten Mine geräth, so strömen ihm die in der Erde zurückgehaltenen schädlichen Pulver-Gase entgegen, die ihn minenkrank machen. Hier kann ihn nur schneller Rückzug retten, denn die mit Erbrechen und Uebelkeit beginnende Krankheit endet oft mit dem Tode. Derartige Gasanhäufungen oder schlechte Wetter verhalten sich oft Jahre hindurch. In Festungen, wo vollständige Minensysteme erbaut sind, hat man deshalb auch besondere Ventilatoren in Vorrath, Apparate, welche mittelst lederner Schläuche frische Luft von außen in die Minengänge treiben und die verpestete Luft zum Austritt nöthigen.

Das gefährliche und dunkle Treiben des Mineurs ist nicht mit Unrecht mit der Thätigkeit des Maulwurfs verglichen worden. Auf den Knieen ruhend arbeitet der vorderste Mann der kleinen Arbeiter-Abtheilung mit einer kleinen Schaufel und gräbt sich ein schmales Loch vorwärts, um die daraus gewonnene Erde in einen Sack zu schütten und diesen seinem Hintermanne zu reichen, der ihn nach rückwärts zum Minengange hinaus befördert. Andere sind beschäftigt, das erzielte Loch sogleich mit Holz auszusetzen, wozu man sich einer Art Thürgerüste bedient, um den Minengang vor dem Einsturz zu sichern. Dies Alles geschieht beim Schein einer Laterne, in beengtester Körperstellung und oft bei Luftmangel, denn ist der Gang über 150 Fuß vom Eintritt der freien Luft entfernt, so ist das Athmen oft ganz unmöglich. Weiß sich der Mineur in der Nähe des Gegners, so tritt noch das Bewußtsein der Todesgefahr hinzu. Aus den dumpf zu ihm dringenden Arbeitsschlägen seines Feindes muß sein geübtes Ohr zu errathen wissen, ob derselbe noch vorwärts gräbt, oder bereits ladet oder gar schon verdämmt. Dann wird mit fieberhafter Hast gearbeitet, um dem Todfeind mit der Herstellung der eigenen Mine zuvorzukommen. Auch kommt es vor, daß die Mineure, wenn sie sich sehr nahe sind, gegen einander weiter arbeiten, um sich im persönlichen Kampfe zu begegnen. Dann gilt es meistens der Erste zu sein, ein Loch in den gegnerischen Bau zu machen, nicht größer, als um eine angezündete Stankkugel in den Gang des Feindes werfen zu können, deren aus Pech, Harz, Federn etc. entquillender Dunst diesen erstickt oder so betäubt, daß er seine Arbeit einstellen muß. Bricht der Angreifer unversehens mit seinen Gängen in das Minensystem des Vertheidigers ein, ein allerdings seltener Fall, so kommt es darauf an, so weit als möglich in den Contregallerien vorzudringen und diese an einer Stelle möglichst nahe an den Eingängen einzuwerfen und dadurch dem Vertheidiger die Benutzung dieser Gänge unmöglich zu machen. Unter Umständen kann es dann zu Kämpfen Mann gegen Mann in den Minen kommen, weshalb in einigen Armeen die Mineure mit Windbüchsen bewaffnet wurden. Nicht selten aber sind die Fälle, daß der glückliche Sieger nicht allein die drohende Gefahr von sich abwendete, und den Gang des Feindes auslud oder zerstörte, sondern sich desselben sogar zu seinem eigenen Vortheil bediente, sich in den Localitäten des Gegners einnistete und die eroberte Mine zuletzt gegen den Feind selbst vorrichtete.

Gewöhnlich wird die Aufgabe des Horchdienstes, den man den unterirdischen Sicherheitsdienst nennen kann, besonders dazu bestimmten Mineuren übertragen, die in den Horchgängen, kurzen, niedrigen Seitenschachten von nur einer Elle Höhe und Breite, auf dem Leibe liegend beim Scheine einer Sicherheitslampe eine kleine auf den Boden aufgestellte Trommel beobachten, auf deren Fell Erbsen gelegt werden, die durch ihre mehr oder minder hüpfende Bewegung vermöge der Erschütterung durch die feindlichen Schläge die Entfernung des Gegners andeuten. Ein anderes sinnreiches Mittel bietet die Beobachtung der schwingenden Bewegung leichter an einem eisernen Häkchen aufgehangener Metallglöckchen. – Doch trügt die verschiedene Festigkeit des Bodens, je nachdem derselbe sandig, thonig oder steinig ist, außerordentlich, und da ein genauer Horchmesser noch nicht erfunden ist, so bleibt die Combination der Meldungen verschiedener Horchposten in benachbarten Gallerien noch immer das sicherste Mittel, um den Schluß zu ziehen, wo und womit sich der feindliche Mineur gerade beschäftigt, sicher ist, daß der Dienst des Mineurs der beschwerlichste, aufregendste und ruhmloseste ist, da die Glorie der Bedeutung seines Wirkens im Dunkel der Nacht und ungesehen von der Mitwelt ihm leider nur zu oft verloren geht. Und wie wichtig doch oft dieses Wirken ist, mag das einzige Beispiel zeigen, daß bei der Belagerung von Sebastopol die russischen Mineure die angreifenden Franzosen während dreier Monate vor der Mastbastion auf einer Stelle festhielten, so daß dieselben es zuletzt aufgaben, dieser Bastion näher zu kommen. Mehrere Belagerungen wurden durch die Anwendung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_696.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)