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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

ein Schrecken ihren ganzen Körper durchzuckte, den Major herausspringen sah. Als der Angekommene in die offene Thür trat, stand sie, bleich wie die Wand, in der Mitte des Zimmers; Jener schien sich indessen kaum viel an das Aeußere ihrer Erscheinung zu kehren.

„Ich muß Ihnen sagen, Miß,“ begann er, während es wie unterdrückter Humor zwischen seinen Augen spielte, „daß ich es für unrecht halte, einem alten Knaben, wie mir, zwei Jahre lang Dinge nachzutragen, die längst vergessen sein sollten. Es war eine böse Zeit, damals, und es mag manches Wort gefallen sein, von dem ich heute nicht einmal mehr etwas weiß. Jetzt geben Sie mir Ihre Hand – ich sage Ihnen, es thut mir leid, was auch damals geschehen sein mag; wir kannten uns eben zu der Zeit noch nicht – und ich werde’s nicht wieder thun!“

Mary sah den so ungewohnten Ausdruck in dem Gesichte des Sprechenden, sah die ihr entgegengestreckte breite Hand, und ein fast krampfhaftes Zittern überlief ihren Körper. „Ich habe nie mehr verlangt, Major, als daß Sie mich mit andern achtungswerthen Mädchen auf eine Linie stellen!“ sagte sie leise, mit Macht versuchend, ihrer Herr zu werden, und legte ihre Hand in die dargebotene.

„So, das ist also abgemacht, jetzt reut mich auch nicht der Weg hierher;“ lachte der Alte in sichtlichem Vergnügen – Mary hatte ihn noch nie lachen hören – „und nun ziehen Sie sich ein anderes Kleid für die Gesellschaft an, ich warte so lange, und dann gehen Sie mit mir!“

Sie hatte das Zimmer verlassen, ohne sich dessen recht bewußt zu sein; als sie aber die Treppe nach ihrer Kammer hinauf sprang, klang es in ihr wie hundert Engelsstimmen. Sie hatte wohl noch nie so schnell als jetzt ihren Anzug beendet, und doch fühlte sie ihren ganzen Körper zittern; sie nahm sich nur noch Zeit, die Magd von ihrer Entfernung zu benachrichtigen. – Erst als sie, von dem flüchtigen Rappen gezogen, sich ein ganzes Stück von der Farm entfernt fand, kam sie zu eigentlicher, klarer Besinnung. Neben ihr saß wortlos der Major, das Pferd zur Eile treibend, aber mit demselben Zucken des Humors zwischen den Brauen, das Mary bei seiner Ankunft bemerkt; die Felder und Walkstrecken flogen an ihnen vorüber, und bald tauchte vor des Mädchens Blicken das große steinerne Wohnhaus auf, das schon, als ihr George zuerst davon berichtet, ihre Phantasie rege gemacht hatte.

Hinter dem Gebäude klang Musik, als der Wagen auf den geschmackvoll mit Ziergewächsen besetzten Vorplatz rollte; ein Knecht sprang herbei, um das Pferd zu halten, und Mary konnte es nicht vermeiden, sich von ihrem Begleiter aus dem Wagen heben zu lassen.

„Jetzt, damit es in der Freundschaft nicht wieder einen Riß gibt, kommen Sie einen Augenblick hierher!“ sagte dieser, des Mädchens Hand fassend. Sie sah sich in die breite, mit hohen Thüren besetzte Vorhalle geführt, eine der letzteren[WS 1] that sich unter seiner Hand auf – „so, wir sehen uns dann bei der Gesellschaft wieder!“ hörte sie noch, dann aber war ihre ganze Seele in ihr Auge übergegangen – in dem Zimmer vor ihr war James neben dem Fenster aufgesprungen.

Sie standen einander gegenüber, Beide dieselben und doch so verändert – sie in der vollen Blüthe der Jungfräulichkeit, aber wohl nie schöner, als in der Ueberraschung des Augenblicks – er männlich gebräunt und mit kräftig sprossendem Barte.

Eine halbe Stunde später suchte das Paar die auf dem waldigen Grunde hinter dem Hause sich vergnügende Gesellschaft auf; aber schon kam ihm der Major, wie von Ungeduld getrieben, auf dem Wege entgegen. Ein Blick in die Augen Beider schien ihm zu genügen, und er faßte derb des Mädchens Hand. „So, Miß Mary, und nun für jetzt kein Wort weiter, ich habe nur meinem James ein ehrlich gegebenes Versprechen gehalten – habe es gern und mit Freuden gehalten, weil der Junge gescheidter war, als sein Alter, und so wollen wir unsere Rechnungen gegenseitig quittiren!“ Er bog sich nieder und drückte einen warmen Kuß auf des erröthenden Mädchens Lippen. – –

Vier Wochen später zog Mary als junge Frau nach der Osborne’schen Farm, deren Bewirthschaftung James nach seiner Rückkehr übernommen.

Von Kreuzer’s wurde nichts wieder gehört, so oft sich auch Mary später Mühe gab, wenigstens den Aufenthaltsort des Alten zu erkunden.



Der Minenkrieg.

(Mit Abbildung.)

Die vor Kurzem erfolgte Demolirung der Festungswerke von Jülich hat der preußischen Artillerie Veranlassung gegeben, bei dieser Zerstörungsarbeit umfängliche Versuche im Minenkrieg anzustellen, eine um so nützlichere Uebung für den Soldaten, als sich dieser Zweig der Kriegführung nur selten in Friedenszeiten umfänglich anschaulich machen läßt. Gleichwohl bildet derselbe einen, wichtigen Theil des Belagerungskrieges, zu dessen Anwendung man immer schreiten muß, sobald Hindernisse etwelcher Art dazu nöthigen, die auf der Oberfläche und bei Tageslichte nicht zu erreichenden Zwecke auf unterirdischem Wege im Schooße der Finsterniß zu erstreben. Wer sollte nicht schon von den Schrecknissen des Minenkrieges gehört haben? Ist doch der moralische Eindruck desselben selbst auf das Gemüth des Soldaten, der sich einem furchtbaren, unheimlichen und ebenso geheimnißvollen als vernichtenden Zerstörungsmittel gegenüber weiß, von solch mächtiger Einwirkung, daß oft das bloße Gerücht vom Vorhandensein von Minen hinreichte, die Entschlossenheit und Todesverachtung des Kühnsten zu lähmen. Wir wollen, veranlaßt durch die in Jülich stattgefundenen Uebungen, versuchen, unsern Lesern in Kurzem einen Blick in das Wesen des Minenkrieges thun zu lassen.

Minen sind bekanntlich unterirdisch eingeschlossene Pulverbehältnisse, welche entweder den Zweck haben, das sie umgebende Erdreich durch die Kraft einer entzündeten schwachen Pulverladung nur in soweit zu erschüttern, daß die in der Umgebung der Mine gelegenen Höhlungen des Erdreichs zusammengequetscht werden (daher der Name Quetschminen), ohne daß die Erschütterung sich bis zur Oberfläche des Bodens fortpflanzt, oder mittelst großer Pulvermassen, die man nahe unter die Erdoberfläche legt, die darüber befindlichen Gegenstände in die Höhe zu schleudern (Demolirungs-Minen). Auf freiem Felde gegen Truppen, z. B. zum Schutz von Verschanzungen angelegt, um lediglich Schrecken und Verwirrung unter den stürmenden Feinden zu verbreiten, wozu gewöhnlich einige Pfund eingegrabenes Pulver hinreichen, nennt man diese Art Minen Flatterminen. Indeß hat man im Felde selten die nöthige Zeit zu solchen umständlichen Vorbereitungen, und so bleibt die Anwendung der Minen im Kriege meist auf den Festungskrieg beschränkt, wo sie vom Angreifer wie Vertheidiger benutzt werden, und zwar von jenem, um sich den Weg zu den Festungswerken zu bahnen und diese dann umzuwerfen, von diesem, um durch Anlage von Contreminen die Angriffsarbeiten zu zerstören und den Angreifer unterirdisch zu bekämpfen.

Fast alle neueren Festungen, so z. B. auch die seit den Befreiungskriegen neuerbauten deutschen Bundesfestungen, sind gleich von Haus aus mit Einrichtungen versehen worden, um vom Haupt-Graben der Festung aus das muthmaßliche Angriffsterrain des Feindes durch Anwendung von Minen diesem auch unterirdisch streitig machen zu können, und so wird voraussichtlich bei einer etwaigen Belagerung dieser Plätze der Minenkrieg eine bedeutende Rolle spielen, trotz oder vielleicht gerade wegen der Vervollkommnung unserer heutigen Fernwaffen, wie noch vor wenigen Jahren die Belagerung von Sebastopol zeigte.

Die erste Anwendung der Pulverminen schreibt man Peter Navarro, einem Spanier in venetianischen Diensten zu, welcher sie 1500 bei der Belagerung von Cephalonia, ebenso gegen die Hafenschlösser von Neapel mir Erfolg versuchte. Von da an kamen die Minen allenthalben zur Einführung und fanden insbesondere bei den Türken großen Beifall. Ihre Minenarbeiten bei den Belagerungen Wiens 1529 und 1683, obgleich rein empirisch betrieben, sind erstaunenswerth und setzten die alte Kaiserstadt in harte Bedrängniß. Die heimtückischen Störungen, welche der Gang einer Belagerung durch den Minenkrieg erlitt, bildeten endlich im Laufe des 17. Jahrhunderts ein vollständiges Kriegssystem

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: letztreen
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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 695. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_695.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2021)