Seite:Die Gartenlaube (1860) 691.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

„Denke an Deinen guten Namen, Vater!“ rief Mary in ängstlicher Bitte; Kreuzer aber hatte den Blick über die ihn umgebenden Männer laufen lassen, hatte gesehen, wie die Augen bei Erwähnung einer möglichen Verantwortlichkeit die Blicke des Advocaten zu vermeiden suchten, wie eine Bewegung sich unter ihnen zeigte, als möchte Jeder bei der ersten Gelegenheit sich zurückziehen, und sein braunes Gesicht überflog ein dunkeles Roth des Aergers. Mit einem finstern Kopfnicken wandte er sich nach dem Advocaten: „’s ist schon recht, lassen Sie uns den kürzesten Weg suchen!“ und in der nächsten Secunde waren Beide, an den Häusern hineilend, zwischen den Menschen verschwunden.

Der Richter hatte nach einem erneuten Versuche, sich Gehör zu verschaffen, soeben mit einem trüben Kopfschütteln seinen Platz verlassen, und ein betäubendes Geschrei folgte seinem Verschwinden, als an derselben Stelle sich das unwillig verzogene Gesicht und die breite Gestalt des alten Farmers erhob.

„Kreuzer, Kreuzer! Hurrah für Kreuzer!“ rief es jetzt von allen Seiten; der Angerufene aber ließ finster den Blick über die Masse schweifen, und kaum schien es der mahnenden Rufe zur Ruhe zu bedürfen, um den soeben noch unstillbaren Lärm in ein erwartungsvolles Schweigen zu verwandeln.

„Hab’ ich hier Bekannte darunter?“ begann jetzt der Alte mit weithin tönender Stimme.

„Ja, ja!“ schrie es massenhaft von allen Seiten.

„Gut, denen spreche ich auch nur, und ich möchte ihnen blos hier laut und deutlich sagen, daß von meiner Seite nicht die geringste Ursache zu dem jetzigen Spectakel und was damit zusammenhängt, gegeben worden ist, und daß Jeder für das, was er etwa hier thut, selber die Verantwortlichkeit auf seinen Kopf zu nehmen hat. Das Unglück liegt schwer genug auf mir, als daß ich noch das, was aus der Geschichte hier entstehen muß, auf mich laden mag, und wer jetzt geglaubt hat, mir eine Freundschaft zu erweisen, der kennt nun meine Meinung. Uebrigens denke ich, wenn ich zufrieden bin, kann’s auch jeder Andere sein, der nicht blos des Krawalls halber hier losschreit und sich nichts daraus macht, ob er ordentlichen Leuten damit eine böse Suppe einbrockt. So, und nun mag Jeder thun, wozu er Lust hat.“

Mit einem kräftigen Kopfnicken trat er zurück und verschwand; die erhitzte Menge aber erschien wie plötzlich mit kaltem Wasser übergossen. Wohl wurden an verschiedenen Orten die frühern aufreizenden Rufe laut, aber die Antwort blieb aus, und die Menschen in ihren Bewegungen wandten sich nicht mehr dem Gefängnisse zu, sondern begannen durch einander zu wogen; die Masse schob sich auseinander, bald trennten sich hier und dort einzelne Haufen ab, denen andere nachfolgten, und in einer Zeit, so kurz wie es nach dem erregten Zustande der Menge kaum für glaublich gehalten worden wäre, hatte sich diese in zahlreiche, eifrig sprechende Gruppen zertheilt.

Eine Viertelstunde später gaben nur noch einzelne, vor den verschiedenen Trinklocalen versammelte kleine Haufen Zeugniß von der stattgehabten Aufregung.

Kreuzer hatte, als er die Treppenerhöhung verlassen, sich nach den Häusern zur Seite der Straße gewandt, um schnell dem Gewühl zu entkommen, fühlte aber kräftig seinen Arm gefaßt. Aufblickend sah er in des Majors Gesicht, in welchem sich noch alle Empfindungen, welche der stattgehabte Auftritt in ihm erzeugt, widerspiegelten. Zu seiner Seite befand sich der Advocat.

„Einen Augenblick nur kommen Sie mit mir, Mr. Kreuzer,“ sagte der Erstere, fast krampfhaft die Hand des alten Farmers fassend, „ich habe nicht verstanden, was Sie gesprochen haben, aber ich sehe es an den Menschen um uns; ich kann Ihnen jetzt nicht so danken, wie ich es möchte –“

„Haben mir nichts zu danken, Sir,“ unterbrach ihn der Alte, seine Hand zurückziehend, „wenn ich hier etwas gethan habe, ist es meinethalber und sonst keines andern Menschen wegen geschehen. Wollen Sie sich durchaus bedanken, so thun Sie’s bei der Mary, ohne die es mir gar nicht eingefallen wäre, ein Wort zu reden, und – ja das wollte ich sagen, weil es gerade so paßt – Sie haben jetzt das Mädchen bei Bekannten untergebracht; machen Sie gut an ihr, was sie durch das Unglück in meiner Familie verloren hat. Ich hätte sie nicht von mir gelassen, wenn es angegangen wäre; es ist ein Kind, so brav, als es nur eins gibt, war aber zu fein für uns, sonst wäre wohl auch Alles anders gekommen. Denken Sie daran, Sir, wenn Ihr Sohn ohne großen Schaden durchkommen sollte, daß Sie an der Mary vergelten mögen, was Sie an den Kreuzer’s nicht gut machen können!“ Er nickte ernsthaft und schritt dann zwischen die Menschen hinein.

„Wenn die Gefahr vorüberzieht, haben Sie wirklich der jungen Lady das Meiste zu danken, Major,“ sagte der Advocat, den Blick über die Menschen schweifen lassend, „und ich denke, das Schlimmste ist vorüber. Sie war die Einzige, welche das rechte Hülfsmittel erkannte, und als sie sich unter die Menschen warf, verstand ich selbst nicht eher, was sie wollte, bis ich sie den Alten fast zwingen sah, zu reden. Aber wo ist sie jetzt? Wir müssen jedenfalls nach ihr sehen! Und hier ist noch ein guter Gedanke,“ fuhr er fort, als Osborne, vor sich nieder blickend, an seiner Seite hinschritt, „der mir bei dem, was Kreuzer über die junge Lady geäußert, durch den Kopf geschossen ist –“ er schien auf eine Aeußerung seines Begleiters zu warten, Osborne aber gab keine Antwort und schritt, als habe er kaum gehört, mitten durch die sich zerstreuende Menge, dem Hotel zu.

Am nächsten Morgen war das Städtchen nicht weniger gefüllt, als am Tage vorher; ein einziger Blick aber belehrte das kundige Auge von der Verschiedenheit zwischen der heutigen und gestrigen Menge. In merkwürdiger Schnelle hatte sich die Nachricht von dem „dutch Mob“ in der ganzen Umgegend verbreitet und das gesammte Amerikanerthum für den Fall herbeigezogen, daß ein erneueter Auflauf der Deutschen stattfinden sollte. Von diesen ließ sich aber kaum hier und da ein Gesicht blicken, und die Gerichtsverhandlung nahm in voller Ordnung vor den gedrängten Zuschauern ihren Anfang.

Mary, unweit des Vertheidigers auf dem Zeugenplatze, verwandte bleich und ruhig den Blick nicht von dem Richter und dessen nächster Umgebung, selbst nicht, als die entstehende Bewegung unter den Zuhörern die Einführung des Angeklagten verkündete. Sie wußte, daß von heute wieder ein neuer Abschnitt ihres Lebens beginne. Der Major hatte gestern die beiden Mädchen, ohne mit einem Worte des Geschehenen zu erwähnen, wieder nach Hause gefahren, und so lebendigen Antheil auch die Mitglieder der Farmersfamilie an den stattgehabten Vorfällen nahmen und der Farmer ihr zum ersten Male erklärte, sie möge sein Haus, komme was da wolle, so lange als ihre Heimath betrachten, als sie einer solchen bedürfe, so fühlte sie doch mehr als je, daß sie es sich selbst schuldig sei, mit der Freisprechung des jungen Osborne, auf welche sie sicher rechnete, die unmittelbare Nachbarschaft zu verlassen. Sie hatte die bestimmte Ahnung, daß sich James von seinem Vater nicht abhalten lassen werde, ihr zu vergelten, was er ihr schuldig zu sein glaubte; die ganze Weise indessen, in welcher der Major sie behandelt, hatte einen Stolz in ihr wach gerufen, der ihr vorschrieb, eher jeden innern Schmerz und jede äußere Entbehrung zu ertragen, wenn sie dadurch die niedrige Meinung dieses Mannes über sie vernichten konnte, als durch ein Nachgeben ihrer eigenen Neigung alle die hämischen lautgewordenen Voraussetzungen zu rechtfertigen.

Die Anklage auf Mord war verlesen, der Gefangene hatte sein „Nicht schuldig!“ erklärt, und die Vertheidigung rief das einzige vorhandene Zeugniß zum Nachweis auf, daß nur ein Todtschlag, und zwar in Selbstvertheidigung erfolgt, vorliege. Mary gab nach ihrer Vereidigung das Geschehene in allen seinen Einzelheiten, und die anschauliche Klarheit, mit welcher dies geschah, verbunden mit der anfänglich leise bebenden Stimme und dem ruhigen, bleichen Gesichte machten auf Jury und Publicum einen sichtlich günstigen Eindruck. Jetzt erhob indessen der Staatsanwalt den Kopf und erklärte, wie Angesichts des nur zu deutlich ausgesprochenen Mißtrauens, das unter den deutschen Bürgern des County’s herrsche, die strengste Untersuchung eine gebieterische Pflicht werde, und begann hierauf das Unwahrscheinliche eines Angriffs, ganz ohne dazu gereizt worden zu sein, wie ihn der Todte gegen einen langjährigen Nachbar ausgeführt haben solle, darzulegen. Nicht allein diese ersichtliche Lücke in dem Zeugniß schwäche letzteres, erklärte er, sondern auch noch ein anderer Umstand. Nach den Ergebnissen der Coroners-Untersuchung habe der Mord in einem von dem Festplatze abseits gelegenen Theile des Waldes stattgefunden. Sicher aber folge eine junge Lady nur dem intimsten Bekannten so weit ab von der Gesellschaft, und die Anklage sei wohl berechtigt anzunehmen, daß ein Verhältniß zwischen der Zeugin und dem Angeklagten stattgefunden habe, welches die Erstere jetzt auf die natürlichste Weise bewege, die eigentliche Ursache des Streits

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 691. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_691.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)