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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

Goldpapier zu bedecken. Selbst bei den bessern Truppen scheint eine Ueberladung mit Putz herrschend gewesen zu sein. Die Markgräfin von Bayreuth hat für übertriebene Toilette immer den Ausdruck: „sie sah aus wie eine deutsche Komödiantin.“ Bedenkt man nun, daß die damalige Rococotracht an sich schon die überladenste war, die es jemals gegeben hat, so können wir uns eine Vorstellung davon machen, wie die deutschen Komödiantinnen ausgesehen haben mögen. Bei dem männlichen Personale blieben namentlich die Unterkleider der herrschenden Mode unantastbar, und darum war allerdings der Besitz schwarzer Sammetbeinkleider für jeden Schauspieler eine Sache von Bedeutung. Mochten römische, assyrische oder mittelalterliche Helden vorgestellt werden, es hatte allemal sein Bewenden mit den kurzen Sammethosen, den weißen Strümpfen und den Schnallenschuhen. Auch der breitschößige Rock und die lange Weste jener Zeit blieben den europäischen Helden aller Zeiten; eine Schärpe darüber, ein Königsmantel um die Schultern vermochten schon viel anzudeuten, und die gepuderte Allongeperrücke, unantastbar unter allen Umständen wie die Sammetbeinkleider, machte sich nicht weniger stattlich unter dem Helme, wie unter dem Federhut. Selbst dem Turbane bequemte sie sich, wenn nur sonst für die orientalischen Stücke fremdartige Oberkleider dazu kamen. Die ersten griechischen und assyrischen Helden gelangten wohl auch zu dem Panzerkleide mit dem beflitterten Reifröckchen und einem federbeladenen Helme; die Schauspieler zweiten Ranges aber mußten freilich zu dem goldpapiernen Behelfe greifen.

Am Schlusse dieser flüchtigen Skizze stehe hier noch eine Schilderung, die Eckhof gab, der Vater der deutschen Schauspielkunst, welcher den traurigen Zustand der damaligen dramatischen Kunst in Deutschland noch aus eigener Anschauung und Erfahrung kannte, aber auch den Beginn einer bessern Zeit erlebte: „Herumreisende Gauklertruppen, die durch ganz Deutschland von einem Jahrmarkte zum andern laufen, belustigen den Pöbel durch niederträchtige Possen. Der Hauptfehler des deutschen Theaters war der Mangel an guten Stücken; die, welche man aufführte, waren gleich lächerlich vor dem Plane als nach der Darstellung. Eine Komödie, welche man überall am häufigsten spielte, hieß „Adam und Eva, oder der Fall der ersten Menschen“. Sie ist noch nicht völlig verbannt, und ich erinnere mich, daß ich sie in Straßburg habe aufführen sehen. Da sah man denn eine dicke Eva, deren Körper mit schlechter fleischfarbener Leinwand bedeckt war und der man einen kleinen Gürtel von Feigenblättern auf die Haut geleimt hatte. Der gute Adam erschien ebenso lächerlich gekleidet, Gott Vater aber in einem alten Schlafrocke, mit mächtiger Perrücke und einem langen weißen Barte. Die Teufel stellten die Lustigmacher vor. Ein anderer Fehler der alten deutschen Stücke und zwar der meisten ist, daß sie nicht durchgängig niedergeschrieben sind. Die Komödianten besitzen vielmehr gemeiniglich nur den Entwurf davon und spielen Alles aus dem Stegreife. Hanswurst vor allen findet da ein Feld, seinen Einfällen freien Lauf zu lassen. Im Uebrigen war Alles widerwärtig: eine schlechte breterne Bude diente zum Komödienhause; die Verzierungen darin waren jämmerlich; die Acteurs, die in Lumpen gehüllt waren und confiscirte alte Perrücken aufhatten, sahen aus wie in Helden verkleidete Miethkutscher; mit einem Worte, die Komödie war ein Vergnügen nur für den Pöbel. Mitten in dieser Barbarei,“ setzt Eckhof hinzu, „wagte eine liebenswürdige Frau den Vorsatz zu fassen, das deutsche Theater zu reinigen und ihm eine vernünftige Form zu geben.“ Von Sachsen sollte die Reformation auch der Bühne ausgehen, und zwar merkwürdiger Weise durch einen Pedanten und eine Frau – durch Gottsched und die Neuberin. Der Erste entsetzte sich über die liederliche Zügellosigkeit, die in den Stücken herrschte und die er zu beseitigen strebte, während die Zweite Geschmack und Decenz wiederherzustellen sich bemühte. In Leipzig stand die Wiege der neuen deutschen Schauspielkunst.

Friederike Karoline Weißenborn war zu Reichenbach im Voigtlande 1692 (oder nach der gewöhnlichen Angabe 1700) geboren, die Tochter eines Doctors beider Rechte und erhielt jedenfalls eine Bildung, welche die des weiblichen Geschlechts in jener Zeit weit übertraf. Diese ungewöhnliche Bildung, verbunden mit lebhafter Phantasie, hob sie über viele Vorurtheile hinweg, die ihren Neigungen sich entgegenstellten, während ihre energische Leidenschaftlichkeit sie zunächst in vielfache Conflicte mit ihrem verwittweten, kränklichen und grämlichen Vater brachte, der sich später als Advocat in Zwickau niedergelassen hatte. Leider ist ihre Jugendgeschichte ganz unbekannt, so daß man nicht weiß, wie der Beruf für die Bühne bei dem gebildeten Mädchen aus angesehener Familie sich kundgegeben hat, und welche Kämpfe sie bestehen mußte. Erzählt wird, daß sie hoch in den Zwanzigen stand, als sie einen besonders heftigen Auftritt mit ihrem Vater hatte, der, von Podagraschmerzen gereizt, die Thür verriegelt haben soll, um der unfügsamen, heftigen Tochter eine körperliche Züchtigung angedeihen zu lassen. Aber entschlossen sei das Mädchen durch das Fenster entsprungen und nur durch eine Gartenhecke vor einem tödtlichen Falle bewahrt worden. Sie liebte einen jungen Mann aus Zwickau, Johann Neuber; mit ihm verließ sie die Heimath, um sich einer Komödiantengesellschaft anzuschließen, welche in Weißenfels spielte. Sie war von bewundernswürdig schönem Wuchs und Gliederbau, blond, mit regelmäßigen Zügen und leidenschaftlichem Ausdruck, allen Angaben nach in vielfacher Hinsicht körperlich und geistig der großen Schröder-Devrient ähnlich. Natürlich wurde sie bald die Frau Neuber’s, der ein fleißiger und verständiger Mensch war, aber keinen Funken von Geist besaß und zeitlebens ein schlechter Schauspieler blieb. Die Frau dagegen that sich bald vor allen ihren Genossen hervor, zumal sie Gelegenheit fand, in Dresden, Braunschweig und Hannover französische Schauspieler zu sehen, denen sie, zuerst unter allen Deutschen, die feierliche Grazie der tragischen Declamation und den Vortrag der Alexandriner ablernte. In der Komödie und in den Stegreifpossen zeigte sie Geist, Gewandtheit und humoristischen Uebermuth. Besonders gern spielte sie in Männerrollen, und wenn sie als flotter Student auftrat, erregte sie jedesmal stürmischen Beifall.

In der Ostermesse 1727 erschien sie mit einer Gesellschaft zum ersten Male in Leipzig, und Gottsched, der sich schon mehrere Jahre die Ausbildung der deutschen Sprache und Dichtkunst hatte angelegen sein lassen, glaubte mit Hülfe der ausgezeichneten Schauspielerin seine Pläne sehr wirksam fördern zu können. Die Aufgabe, die er sich stellte und in welche die Neuber bereitwillig und energisch einging, war freilich eine riesengroße und so schwierige, wie wir sie uns jetzt kaum ausreichend vorstellen können. Es handelte sich um nichts Geringeres, als von der Regellosigkeit und der bunten Willkür der damaligen deutschen Schauspiele zu dem steifen Regelzwang der französischen Dramen und Tragödien, also aus einem Extrem zu dem andern überzugehen, und nicht nur das Publicum, welches an das erste gewöhnt und mit demselben zufrieden war, für das zweite zu gewinnen, sondern auch die Schauspieler dafür auszubilden. Vor Allem mußte für geeignete Stücke gesorgt werden, an denen es so gut als ganz fehlte. Selbstschaffende Talente gab es nicht, man übersetzte also fleißig, namentlich französische Tragödien und Komödien, freilich in einer so steifen Ungelenkigkeit, daß man jetzt kaum begreift, wie das damalige Publicum solches Deutsch und solche Verse anhören konnte. So fleißig aber auch die Freunde Gottsched’s waren, so konnten sie doch nicht schnell genug ein allen Anforderungen genügendes Repertoir zusammenbringen, so daß die Schauspieler, um nur ihre Existenz zu sichern, auch gelegentlich wieder Vorstellungen mit allerlei Possen geben mußten. Und das war nicht ihre einzige Noth, wie man aus einem Briefe erkennt, den Neuber an Gottsched aus Nürnberg schrieb und in dem er erzählt: „Bei den Meisten habe es im Anfange gar nichts heißen wollen, wenn gesagt werde: eine Komödie von lauter Versen.“ Indessen konnte er doch auch bald berichten: „Unsere Komödien und Tragödien haben noch so ziemlich Zuschauer. Die Mühe, die zur Verbesserung des Geschmacks angewendet wird, scheint doch nicht gar vergebens zu sein. Es finden sich verschiedene bekehrte Herzen. Leute, denen man es fast nicht hätte zutrauen sollen, sind Liebhaber der Poesie geworden und Viele finden an den ordentlich gesetzten Stücken gutes Belieben.“

„Das allerwichtigste Resultat,“ sagt Devrient, „der Neuber’schen Bestrebungen und des Gottsched’schen Einflusses war, daß die ersten bestimmten künstlerischen Grundsätze, daß Regeln und Mustergültigkeit in die Schauspielkunst kam und dadurch eine Uebereinstimmung, ein Styl, kurz die erste Schule, die man denn die Leipziger nennt, sowie daß literarischer Einfluß auf die Bühne endlich wieder sich geltend machen konnte.“

Das Glück freilich begünstigte die Neuber in ihrer Unternehmung nicht, aben die muthige Frau ließ sich nicht abhalten, auf dem für richtig erkannten Wege fortzuschreiten, ja sie entschloß sich, durch eine öffentliche Kundgebung der Welt zu zeigen, daß an eine Umkehr nicht zu denken sei. Gottsched, dem die Abschaffung

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