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verschiedene: Die Gartenlaube (1860)

sie, „es gibt mir aber noch keinen Aufschluß, warum Major Osborne mir in einer Weise entgegentritt, wie er es mit keiner andern jungen Lady, und wäre sie noch so arm, thun würde. Ich stehe so ganz allein, daß mich jede grundlose Unfreundlichkeit doppelt schmerzen muß –“

„Es ist gut, ich werde ganz klar und offen zu Ihnen reden, da Sie das zu verlangen scheinen,“ fiel ihr der Major in’s Wort, ohne seine Miene zu ändern, „lassen Sie uns aber zuerst die Hauptsache abmachen, und antworten Sie auf die Fragen des Gentleman hier!“

Er zog einen Stuhl herbei und setzte sich breit nieder; ihm folgte der Hauswirth, welcher mit sichtlichem Interesse der kurzen Scene beigewohnt; der Advocat aber machte erst von einem Stuhle Gebrauch, als auf einen höflichen Wink seinerseits Mary ihren Platz eingenommen hatte. Das Mädchen ward aufgefordert, die Vorgänge, welche den Mord herbeigeführt, zu erzählen; sie that es in klarer Kürze, und der Advocat nickte beifällig.

„Jetzt, Miß, komme ich zu einem andern Punkte,“ fuhr der Letztere fort. „Es wird wahrscheinlich Alles angewandt werden, um Ihr Zeugniß zu verdächtigen; so werden Sie gefragt werten, ob Sie sich nicht einen Grund für diesen so plötzlichen und seltsamen Angriff des Heinrich Kreuzer denken können, ob Sie nicht in einem nähern Verhältnisse zu James Osborne gestanden, durch welches der Verunglückte bei seinem Zusammentreffen mit Ihnen Beiden als Ihr brüderlicher Ehrenwächter hat aufgeregt werden müssen – und um mein Verhalten für alle Fälle regeln zu können, möchte ich Sie bitten, mir vollkommen wahr die Art Ihrer Bekanntschaft mit James Osborne anzugeben – das Verschweigen irgend eines bedeutenderen Umstandes, der während der Gerichtsverhandlungen zum Vorschein käme und auf den ich nicht vorbereitet wäre, könnte das Verderben des jungen Mannes werden, während eine rücksichtslose Offenheit jetzt mir die Macht geben würde, alle ungünstigen Fragen von Ihnen abzuhalten.“

(Schluß folgt.)




Lessing und die Komödiantenprincipalin.

(Mit Abbildung.)

Spät und langsam – langsamer und später als bei den andern Culturvölkern – entwickelte sich in Deutschland das Drama und die Schauspielkunst. Während, von Italien zu schweigen, Frankreich bereits die Dichtungen Corneille’n und Racine’s, sowie die unvergleichlichen Lustspiele Molière’s besaß; während Shakespeare seiner Nation bereits jene Stücke geschenkt hatte, die, wie Wilhelm Meister sagt, „ein Werk eines himmlischen Genius zu sein scheinen, ja die eigentlich gar keine Gedichte sind, denn man glaubt vor den aufgeschlagenen ungeheuren Büchern des Schicksals selbst zu stehen, in denen der Sturmwind des bewegten Lebens sauset und sie mit Gewalt rasch hin und wieder blättert“ – hatte Deutschland bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zwar auch sogenannte Theaterstücke (Gottsched hat die Titel einer großen Anzahl derselben verzeichnet), aber sie konnten sich mit denen der Nachbarländer nicht im Entferntesten messen.

Allerdings hatte es vor dem dreißigjährigen Kriege in Deutschland eine zum Theil sehr ausgebildete Volksbühne gegeben. Leute aus dem Volke waren da die Schauspieler, und Schauspieler dichteten die Stücke. In Nürnberg baute die Zunft der Meistersänger schon 1550 das erste deutsche Schauspielhaus, und Augsburg folgte diesem Vorgange bald nach. Diese Häuser waren indeß nur für den Sommer und für gutes Wetter eingerichtet. Nur die Bühne war bedacht, der Zuschauerraum blieb unbedeckt. Auch an Decorationen und anderen Apparaten scheint es ganz gefehlt zu haben. In dem langen grauenvollen Kriege erst, der in Deutschland so Vieles zerstörte und auch die deutsche Volksbühne vernichtete, bildeten sich Truppen von Komödianten von Profession.

Diese Komödiantenbanden konnten sich in Deutschland leicht rekrutiren (bemerkt Ed. Devrient in seiner Geschichte der deutschen Schauspielkunst). Knaben, Jünglinge und Männer waren durch die Schul-, Universitäts- und Bürgerkomödien geübt, Lust und Talent erweckt, und so fehlte es denn nicht, daß schon in den ersten Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts die Wandertruppen sich ansehnlich vermehrt und vervielfacht hatten. Vornehmlich war es die akademische Jugend, die sich, gelockt von dem Beifalle, den sie an Höfen und in Städten fand, gereizt von dem Anscheine eines fessellos poetischen Wanderlebens und dem Zauber der Bühnenthätigkeit, diesen Truppen am schnellsten anschloß. Waren doch die Studenten schon geübt, hatte doch das herumziehende Leben für sie nichts Entwürdigendes, denn die „fahrenden Schüler“ bildeten einen von der Gesellschaft anerkannten Stand. Ja, war es nicht dem eigenthümlichen deutschen Studentenwesen, das sich in phantastischen Zuständen von dem gewöhnlichen Leben abzusondern liebte, ganz und gar angemessen, diese poetisch isolirte Welt im Bühnenleben zu suchen? Gewiß kann es nicht auffallen, daß die am meisten bekannt gewordenen Truppen des siebzehnten Jahrhunderts fast ganz aus Studenten bestanden. Sie wurden von Principalen geführt, welche Besitzer des theatralischen Apparates und Inhaber der nöthigen Privilegien waren, die Thätigkeit im Allgemeinen regelten und deshalb auch Komödiantenmeister genannt wurden. Aber der frische, kecke Sinn der Studententruppen, die, wenn auch roh, doch einen gewissen Schwung sich bewahrten, erhielt sich nicht lange, und die deutschen Komödianten sanken von Stufe zu Stufe tiefer, so daß sie ganz gleich mit Springern, Gauklern und Marktschreiern standen und sich nur aus zusammengelaufenen Leuten allerlei Art rekrutirten, die höchstens ein pedantischer Handwerksgeist zusammenhielt. Zunftgruß und Spruch galt unter ihnen wie bei den Handwerkern, zum Theil bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts. Nach den streng gesonderten Rollenfächern ließ sich Jeder tituliren, z. B. Herr Königsagent, Herr Tyrannenagent, Herr Harlekin. Iffland gibt nach der Tradition, welche ihm selbst noch nahe lag, folgende Schilderung: „Den tragischen Helden mußte der zweite Held zuerst grüßen. Die, welche nur Vertraute spielten, mußten das Haupt entblößen, sowie der erste Held oder Tyrannenspieler sich sehen ließ. An öffentlichen Orten durften die kleinen Lichter den großen sich erst auf herablassende Einladung nähern. Ein Neuling konnte nur durch Dienstjahre das Recht erlangen, in Gegenwart älterer Mitglieder bedeckt zu erscheinen. Ein Wort über das Spiel der Letztern ward für ein Zeichen von Wahnwitz gehalten, und der Tadel eines Stückes galt für ein Verbrechen, das mit Ausstoßung bestraft wurde.“ Die Aufnahme eines neuen Mitgliedes in die Schauspielerzunft geschah unter der größten Umständlichkeit. Bestand er, so richtete der Principal die Frage an den Neuling: „Ist der Herr eines Paares schwarzsammtner Beinkleider mächtig?“ Nur wenn er die Frage zu bejahen vermochte, konnte die Aufnahme wirklich erfolgen. Das Oberhaupt der Bande allein durfte eine mit Gold besetzte Scharlachweste tragen, welche Permissionsweste hieß, weil sie den Besitzer der Privilegien bezeichnete. Jüngere Mitglieder strebten zunächst nach einem Tressenhut, und ihre höchsten Wünsche waren erfüllt, wenn sie Atlasbeinkleider in Rosa oder Carmoisin zu tragen vermochten.

Der gewöhnliche Decorationsbestand war: ein Wald, ein Saal und eine Bauernstube, die zusammen für Alles ausreichen mußten. Was das Costüm anlangt, so hatte man romanische und türkische Kleider für die vorzeitlichen und asiatischen Dramen, während alle mittelalterlichen Stücke in einer phantastischen Tracht gespielt wurden, welcher die damals moderne Kleidung zu Grunde lag. Dieser Tracht durfte bei den Männern ein gesteiftes und beflittertes Röckchen nicht fehlen, sowie auf der gepuderten Frisur ein Helm mit einem Walde gewaltiger Federn. Die Damen behielten unter allen Umständen ihre Frisur, die sie mit Schmuck, Federn und Blumen überluden, verzierten aber ihre ungeheuern modernen Reifröcke in einer Weise, die sie, je wie es paßte, für römisch, türkisch oder mittelalterlich ausgaben. So consequent aber haben wir uns die Behandlung des Costüms bei den Wandertruppen nicht einmal zu denken. Meistentheils lief es bei ihnen nur auf einen barocken Ausputz der täglichen Kleidung hinaus. Bei dem weiblichen Anzug ward mit Federn, Schleiern, Ueberwürfen und Besätzen viel geleistet, und die Buden-Komödiantinnen unterließen nicht sich mit Plunder und Fetzen aller Art und einem verschwenderischen Aufwande von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1860). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1860, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1860)_678.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2021)